Max-Planck-Institut für demografische Forschung

Hauptursachen: Unfälle und Mängel im Gesundheitswesen

2011 | Jahrgang 8 | 2. Quartal

Keywords: Lebenserwartung, Ungleichheiten, Todesursachen

Mitautor der wissenschaftlichen Studie: Vladimir M. Shkolnikov

Mitautorin der wissenschaftlichen Studie: Sigrid Gellers-Barkmann

Die am meisten genutzte Maßzahl für die Lebensdauer einer Bevölkerung ist das mittlere Sterbealter, das in der Sterbetafel der Lebenserwartung bei Geburt entspricht. Sie beschreibt, wie lange ein Durchschnittsbürger lebt. Neben der Lebenserwartung ist man an anderen Größen, die die Verteilung der Sterbealter beschreiben, interessiert. Insbesondere werden Maßzahlen untersucht, die über die Unterschiede im Sterbealter zwischen Individuen innerhalb einer Bevölkerung Aufschluss geben. Anders ausgedrückt, sie zeigen, inwieweit sich einzelne Mitglieder der Population hinsichtlich ihrer Lebensdauer im Durchschnitt vom mittleren Sterbealter unterscheiden; diese Maßzahl wird hier Disparität genannt. 

In einer neuen Studie des Max-Planck-Institutes für demografische Forschung, Rostock, ist der Zusammenhang zwischen der Disparität und der Lebenserwartung analysiert worden. Dabei zeigte sich, dass eine starke negative Korrelation zwischen der Lebenserwartung und der Disparität besteht: In den meisten Fällen entspricht eine Zunahme der Lebenserwartung über die Zeit einer Abnahme der Disparität. Auch ist die Lebenserwartung meistens höher in Ländern mit geringeren Unterschieden im Sterbealter. 

Seit den 1970er Jahren ist jedoch ein Zuwachs in der Lebenserwartung zu erkennen, der mit konstanter oder sogar zunehmender Disparität einhergeht. Diese Entwicklung kann einerseits durch ein Verschieben der Sterbealter in höhere Alter erklärt werden. Andererseits ist es schwierig, die Sterblichkeit im jungen und mittleren Erwachsenenalter weiter zu reduzieren, da diese bereits auf einem sehr niedrigen Niveau ist. 

In der Rostocker Studie wird die Sterbealterdisparität anhand einer besonderen Maßzahl untersucht. Diese beschreibt die durchschnittlichen Verluste an Lebenszeit, die dem Tod zuzuschreiben sind. Der Ansatz folgt dem Gedanken, dass jede Person vorzeitig stirbt und so die noch verbleibenden Lebensjahre verliert. Ein Beispiel: Ein Mann, der im Jahr 2007 in den USA im Alter von 50 Jahren gestorben wäre, hätte noch eine Restlebenserwartung von 29 Jahren gehabt.

Abb. 1: Trends im Zusammenhang von verlorenen Lebensjahren  und Lebenserwartung bei Geburt für Männer in England und Wales, Japan, Schweden und den USA ab dem Zeitpunkt, wenn die Lebenserwartung 60 Jahre erreicht hat (England und Wales 1946-2003, Schweden 1946-2005, Japan 1951-2004 und die USA 1946-2004. Quelle: Human Mortality Database.

Trotz der starken negativen Korrelation zwischen der Lebenserwartung und dem Verlust an Lebensjahren kann der Saldo dieser beiden Größen zwischen einzelnen Ländern variieren. In Abbildung 1 sind die Trends im Zusammenhang der verlorenen Lebensjahre und der Lebenserwartung  für die USA, England und Wales, Japan und Schweden seit dem zweiten Weltkrieg dargestellt. Bei einer Lebenserwartung von ungefähr 75 Jahren für Männer in den USA im Jahre 2004 betrug der durchschnittliche Verlust an Lebensjahren fast 13 Jahre. Insgesamt ist zu erkennen, dass die USA einen hohen Grad an Lebenszeitverlusten haben. Japan, England und Wales sowie Schweden stehen eindeutig besser da: In diesen Ländern haben Männer einen geringeren Verlust an Lebenszeit bei gleicher Lebenserwartung. Dies bedeutet, dass hier die Disparität in der Sterblichkeit geringer ist. 

Es ist interessant, die Werte für die USA mit denen aus England und Wales zu vergleichen. Obwohl der Unterschied in der Lebenserwartung zwischen diesen Ländern relativ gering ist, kann man in den USA einen bedeutend höheren Verlust an Lebensjahren erkennen. So bewirkte im Jahre 2002 die Anzahl der vorzeitig verstorbenen Personen in den USA einen Verlust von 12,8 Lebensjahren gegenüber der Lebenserwartung, während diese Differenz in England und Wales bei 11,1 Jahren liegt. 

Sucht man nach den Gründen für die Unterschiede zwischen den USA sowie England und Wales, zeigt sich, dass diese bei Männern durch eine höhere Sterblichkeit in den USA im Alter bis 69 Jahre verursacht werden. Abbildung 2 stellt die Unterschiede zwischen den Ländern nach den häufi gsten Todesursachen dar. Zu sehen sind die Verluste an Lebenszeit in den USA relativ zu England und Wales nach Todesursachen. Die relativ hohen Verluste an Lebensjahren in den USA resultieren insgesamt hauptsächlich aus den Todesursachen Herzerkrankungen, Diabetes, Verkehrsunfälle und Gewaltverbrechen. Zur Interpretation: In den USA ist der Verlust an Lebensjahren durch Herzerkrankungen knapp 0,2 Jahre höher als in England und Wales, durch Verkehrsunfälle knapp 0,3 Jahre höher. Schaut man sich die Lebenszeitverluste über die Zeit an, kann man feststellen, dass diese hauptsächlich den Herz-Kreislauf- sowie Krebserkrankungen in höheren Altersklassen zuzuschreiben sind. 

Abb. 2: Unterschiede im Verlust an Lebensjahren zwischen England und Wales sowie den USA für Männer im Alter von 0 bis 69 Jahren nach Todesursachen.

Insgesamt lässt sich schlussfolgern, dass besonders hohe Verluste an Lebensjahren in den USA auf Unzulänglichkeiten im Gesundheitswesen für die erwerbstätige Bevölkerung zurückzuführen sind. Sozio-ökonomische und regionale Ungleichheiten, Verletzungen, Verbrechen mit Schusswaffen und tödliche Verkehrsunfälle tragen außerdem zu den hohen Verlusten bei.  

Literatur

  • Shkolnikov, V.M., E.M. Andreev, Z. Zhang, J. Oeppen and J.W.Vaupel: Losses of expected lifetime in the Uni- ted States and other developed countries: methods and empirical analyses. Demography 48(2011)1: 211- 239.
    DOI: 10.1007/s13524-011-0015-6

Titelseite dieser Ausgabe

Aus Ausgabe 2011/2

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