Rostocker Zentrum zur Erforschung des Demografischen Wandels

Mehr Fastfood-Läden, mehr fettleibige Menschen

2024 | Jahrgang 21 | 1. Quartal

Keywords: Lokales Ernährungsumfeld, Raumbezogene Analyse, Geografisch gewichtete Regression, Fettleibigkeit, Raumbezogene Verzögerung des X-Modells

Wissenschaftliche Ansprechpartner: Benjamin Aretz

Fettleibigkeit ist eine Volkskrankheit. Die Zahl der übergewichtigen Menschen hat sich weltweit seit den 1980er-Jahren mehr als verdoppelt und in Europa fast verdreifacht. Adipositas ist inzwischen die Hauptursache für an Krankheit verlorene gesunde Lebensjahre in Europa. 
Als einen Hauptgrund für die weite Verbreitung von Fettleibigkeit sehen Expert*innen die Verfügbarkeit von Lebensmitteln, die dick machen. Vor allem die rasante Verbreitung von Fastfood-Läden scheint hier ein entscheidender Faktor zu sein, so legen es mehrere Studien nahe. Insbesondere der leichte Zugang zu ungesunden Nahrungsmitteln durch räumliche Nähe – Fachleute nennen dies „adipogene Umwelt“ – in Kombination mit einem begrenzten Zugang zu gesunden Nahrungsmitteln scheint einen immensen Einfluss darauf zu haben, wie viele Menschen gesundheitsbedrohlich dick werden. Diese Erkenntnisse haben unter anderem dazu geführt, dass die Weltgesundheitsorganisation der Politik empfiehlt, „gesundheitsfördernde Umfelder“ für die Menschen zu schaffen. Politischen Entscheidungsträger*innen stehen theoretisch mindestens zwei Schrauben zur Verfügung, an denen sie drehen können, um das Problem in den Griff zu bekommen: Zum einen können sie auf Makroebene durch Lebensmittelgesetze die Verfügbarkeit von dick machenden Lebensmitteln einschränken oder auf Mikroebene, durch geeignete Stadtentwicklungskonzepte, die Verbreitung von Fastfood-Ketten unterbinden und die Verfügbarkeit von (gesünderen) Lebensmittelläden begünstigen. 

Dennoch sind empirische Belege dafür, dass Fettleibigkeit mit der Verfügbarkeit von gesunder beziehungsweise ungesunder Nahrung zusammenhängt, rar, vor allem für Europa. Es gebe kaum räumliche Analysen zum Zusammenhang zwischen Nahrungsverfügbarkeit und Fettleibigkeit, schreibt das Forschungsteam um Benjamin Aretz von der Universität Rostock und dem Netherlands Interdisciplinary Demographic Institute (NIDI) in einer im Fachmagazin „SSM – Population Health“ erschienenen Studie. Dies sei bedauerlich, da solche Analysen dazu beitragen können, aufzuzeigen, wo Interventionen am dringendsten erforderlich seien, so die Autor*innen. Die Ergebnisse von Studien aus den USA ließen sich aufgrund der erheblichen Unterschiede in der räumlichen Struktur und Bevölkerungszusammensetzung nicht einfach so auf den europäischen Kontext übertragen. 

Die Verfügbarkeit von ungesundem Essen und die Häufung von Fettleibigkeit hängen zusammen

Abb. 1: Die Karte zeigt, wo in den Niederlanden der lokale Zusammenhang zwischen der Zugänglichkeit von Fastfood-Restaurants und Fettleibigkeit besonders stark ausgeprägt ist. Je dunkler die Fläche eingefärbt ist, desto stärker ist dieser Zusammenhang. Gegenden, die aus unterschiedlichen methodischen Gründen nicht in die Auswertung einfließen konnten, sind in Weiß dargestellt. Quelle: Rijksinstituut voor Volksgezondheid en Milieu, Statistics Netherlands, eigene Berechnungen.

Für ihre Studie führten die Wissenschaftler*innen Daten aus den Niederlanden aus vier unterschiedlichen Quellen zusammen. Mithilfe von Regionaldaten der Statistikbehörde unterteilten sie das Land in insgesamt 2836 Wohngegenden, die sie außerdem in „städtisch“, „vorstädtisch“ und „ländlich“ unterschieden. Vom Nationalen Institut für öffentliche Gesundheit und Umwelt erhielten sie regionale Daten zu den Gesundheitsdeterminanten. Diese basieren auf Individualdaten, die in den Niederlanden alle vier Jahre bei einem kleinen Prozentsatz der Bevölkerung erhoben werden. Die regionalen Daten zur Verfügbarkeit von ungesunden und gesunden Lebensmitteln lieferte ebenfalls die Statistikbehörde. In die Kategorie „Geschäfte mit gesunden Lebensmitteln“ wurden Gemüseläden, Bäckereien und Reformhäuser sowie klassische Supermärkte einsortiert, wobei die Forscher*innen die Supermärkte noch einmal getrennt betrachteten. Diesen Geschäften stehen die Fastfood-Läden und Imbissstuben gegenüber. Die vierte Quelle, ebenfalls von der Statistikbehörde, lieferte regionale Daten zum sozio-ökonomischen Status (Geschlecht, Alter, Bevölkerungsdichte, Migrationsstatus, Arbeitslosigkeit und Einkommen) und zu den Lebensstilfaktoren (Alkoholkonsum und Rauchen). Neuartig an dieser Studie ist die Herangehensweise: Die Forscher*innen nutzten Regionaldaten und führten räumlich-statistische Modellierungen für die gesamten Niederlande durch, sodass auch regionale Unterschiede in den untersuchten Zusammenhängen adäquat herausgearbeitet werden konnten. Die Forscher*innen kamen zu dem Ergebnis, dass mehr als 14 Prozent aller Niederländer*innen fettleibig sind. Der Anteil der fettleibigen Menschen war in der Stadt etwas größer (14,6 Prozent) als in der Vorstadt (14,2 Prozent) und auf dem Land (14,1 Prozent). Sie stellten fest, dass der Zusammenhang zwischen dem Zugang zu dick machenden Lebensmitteln und Fettleibigkeit nicht nur für die USA, sondern auch für Europa gilt (siehe Abb. 1). Wenn allerdings Fastfood-Restaurants und Läden mit gesunden Lebensmitteln gleichermaßen zugänglich sind, führt das dazu, dass die Menschen trotzdem häufiger fettleibig sind. Dieses Ergebnis stehe im Einklang mit der Theorie der „adipogenen Umwelt“, so die Wissenschaftler*innen. Eine Erklärung für diesen Befund könnte sein, dass Menschen beim Kauf von Lebensmitteln die Option mit dem geringsten Zeitaufwand nutzen. Bei Fastfood entfällt der Aufwand für die Zubereitung der Mahlzeiten. Diese Erklärung wird durch das Ergebnis gestützt, dass ein leichterer Zugang zu ungesunden Lebensmitteln auch in ländlichen Gegenden mit einer höheren Fettleibigkeit verbunden war, obwohl Läden mit gesunden Lebensmitteln dort im Schnitt besser erreichbar sind. 

Ein weiteres interessantes Ergebnis der Studie war, dass es keinen Unterschied machte, ob das ungesunde Essen in unmittelbarer Nähe vorhanden ist oder in der (näheren) weiteren Umgebung. Die weitere Wohnumgebung ist hier definiert als jene Regionen, die an die Region des Wohnortes der Person angrenzen (also eine administrative Grenze damit teilen). Die direkte Umgebung ist jene Region, in welcher eine Person (direkt) wohnt. Gleiches gilt für das gesunde Essen, unabhängig davon, ob die Menschen in der Stadt, in einem Vorort oder auf dem Land leben. Auch dieses Ergebnis stehe im Einklang mit Befunden aus den USA, so die Wissenschaftler*innen. Dortige Studien hätten gezeigt, dass die durchschnittliche Entfernung von zu Hause zu den genutzten Lebensmittelläden 2,6 Meilen beträgt und nur 34 Prozent der Lebensmittelläden, die die Menschen aufsuchten, in der unmittelbaren Nachbarschaft zu ihrem Wohnort liegen. Eine Erklärung für diesen Befund könnte sein, dass Wohngebiete normalerweise weiter von Gewerbegebieten entfernt sind, in welchen es mehr Lebensmittelstandorte gibt als in den Wohngebieten. Das Ergebnis der niederländischen Studie könnte darauf hindeuten, dass die Menschen in der Regel weiter fahren, um den Großteil ihrer täglichen Lebensmittel zu kaufen, zum Beispiel auf dem Weg zur Arbeit oder nach Hause.
 
 

 

Literatur

  • Aretz, B., R. Costa, G. Doblhammer and F. Janssen: The association of unhealthy and healthy food store accessibility with obesity prevalence among adults in the Netherlands: a spatial analysis. SSM – Population Health 21(2023)10332, 1–10.
    DOI: 10.1016/j.ssmph.2022.101332

Aus Ausgabe 2024/1

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