Max-Planck-Institut für demografische Forschung

Winterkinder besser gerüstet gegen Krankheiten

2005 | Jahrgang 2 | 3. Quartal

Keywords: Geburtsmonat, Säuglingssterblichkeit, Semi-Supercentenarians, Saisonale Sterblichkeit

Wissenschaftliche Ansprechpartner*innen: Rembrandt Scholz, Gabriele Doblhammer, Heiner Maier

Hat der Geburtsmonat einen Einfluss darauf, wie alt wir werden? Bei Untersuchungen der Lebensspanne sind Unterschiede nach dem Geburtsmonat in Australien, Österreich, Dänemark und den USA nachgewiesen worden. In Deutschland sind statistische Informationen über das Überleben in dem hohen Alter selten verfügbar. Besonders wenig ist bekannt über Personen, die das Alter von 105 Jahren (Semi-Supercentenarians) erreichen. Nun hatte das Max-PIanck-Institut für demografische Forschung Rostock die Möglichkeit, Daten aus dem Bundespräsidialamt zu nutzen: Der Bundespräsident sendet Personen im Alter von 105 Jahren an zum Geburtstag einen Gratulationsbrief. In der Studie* wurden die Daten der Personen, die von 1989 bis 2002 ein Gratulationsschreiben erhielten, ausgewertet (vgl. Demografische Forschung Aus Erster Hand 1/2004). Die betroffenen Geburtsjahrgänge sind eine stark selektierte Gruppe, die am Ende des 19. Jahrhunderts die extrem hohe Säuglingssterblichkeit von 25 bis 35 Prozent und später zwei Weltkriege mit den Nachkriegszeiten überlebt hat. Die Geburtsjahrgänge von 1881 bis 1898 hatten im Deutschen Reich durchschnittlich einen Anfangsbestand von 1,8 Millionen Personen; insgesamt waren das 32,5 Millionen Lebendgeborene. 

In Abbildung 1 sind die Häufigkeit der Geburtsmonate der Lebendgeborenen und die Häufigkeit der validierten Semi-Supercentenarians in Deutschland dargestellt (als altersvalidiert gelten Personen, deren Altersangaben das Standesamt des Geburtsortes bestätigt hat). Zu sehen ist, dass unter den Semi-Supercentenarians deutlich weniger Juni-Geborene, aber mehr September- und Dezember-Geborene sind, als man es von der Verteilung der Geburtsmonate erwarten würde. 

Abb. 1: Verteilung der Geborenen der Geburtsjahrgänge 1881 bis 1898 nach Geburtsmonaten und die Verteilung der Geburtsmonate bei 925 altersvalidierten Semi-Supercentenarians (1989 bis 2002) in Deutschland

Abbildung 2 stellt einerseits das Risiko, den 105. Geburtstag zu erleben, nach Geburtsmonat dar (blaue Linie): Die im Dezember geborenen Semi-Supercentenarians haben eine um 16 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit, dieses Alter zu erreichen als der Durchschnitt des Geburtsjahrganges. Hingegen ist es für im Juni geborene Personen um 23 Prozent weniger wahrscheinlich, den 105. Geburtstag zu feiern, als für den Durchschnitt der Geburtsjahrgänge. Das heißt, es gibt nicht-zufällige Abweichungen von der Geburtsverteilung, die erklärungsbedürftig sind. Allerdings können Erklärungen nicht aus der Studie an den deutschen Höchstaltrigen abgeleitet werden. Daher gibt Abbildung 2 andererseits die Verteilung der Lebenserwartung nach dem Geburtsmonat von über 50-jährigen Personen in Dänemark (rote Linie) an: Vor allem für im Frühjahr Geborene ist die Lebenserwartung geringer als die durchschnittliche Lebensdauer des Geburtsjahrganges, während sie für im Herbst und Winter Geborene überdurchschnittlich hoch ist. Darin ähneln sich die Verteilungsmuster der Überlebenden nach den Geburtsmonaten in Deutschland und Dänemark. 

Abb. 2: Relatives Überlebensrisiko von der Geburt bis zum Alter 105 nach dem Monat der Geburt in Deutschland und die Verteilung der Lebenserwartung nach dem Monat der Geburt von über 50-Jährigen in Dänemark

Die dänischen Daten können Aufschluss über Ursachen geben. So korreliert das heutige Geburtsmonatsmuster in der Lebenserwartung der 50-jährigen Dänen mit der Säuglingssterblichkeit nach dem Geburtsmonat zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Vor 100 Jahren hatten im Frühjahr geborene Säuglinge ein höheres Risiko, im ersten Lebensjahr zu sterben, als im Herbst geborene. 

Historisch gesehen beeinflussten vor allem saisonal auftretende Infektionskrankheiten in Zusammenhang mit Nicht- oder Abstillen das Niveau und das saisonale Muster der Säuglingssterblichkeit. So führt das Nichtstillen während der heißesten Jahreszeit zu vermehrten Infektionen des Magen-Darm-Traktes, die ein Großteil der Kinder nicht überlebte. Jene Säuglinge, die trotz Infektionen überlebten, trugen ein höheres Risiko für chronische Erkrankungen im Erwachsenenalter mit sich. 

Der Zusammenhang zwischen Geburtsmonat und Überlebenswahrscheinlichkeit bis ins höchste Alter weist auf die Bedeutung der ersten Lebensjahre für Gesundheit und Krankheit im Erwachsenenalter hin. Eine Verbesserung der Lebensumstände von Kindern heute wirkt sich also auf die Gesundheit älterer Menschen in der Zukunft aus.

Literatur

  • Doblhammer, G., R.D. Scholz and H. Maier: Month of birth and survival to age 105+: evidence from the age validation study of German semi-supercentenarians. Experimental Gerontology 40(2005).
  • Doblhammer, G.: The late life legacy of very early life. Springer, Berlin [et al.] 2004, XIII, 204 p. (Demographic research monographs).

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Aus Ausgabe 2005/3

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