Vienna Institute of Demography

Soziales Engagement hält Senioren geistig fit

2009 | Jahrgang 6 | 2. Quartal

Keywords: Kognitive Alterung, Kognitive Reserve, Soziales Engagement, Verhaltensrisiken

Isabella Buber, Henriette Engelhardt, Alexia Prskawetz und Vegard Skirbekk

Eine aktuelle Studie des Wiener Instituts für Demographie (VID) in Zusammenarbeit mit der Professur für Bevölkerungswissenschaft an der Universität Bamberg befasst sich mit dem Zusammenhang von kognitiven Leistungen älterer Menschen und deren sozialem Engagement anhand der Daten des Survey of Health,Ageing and Retirement in Europe (SHARE). Die erste Welle dieses als Panel angelegten Alterssurveys wurde in den Jahren 2004 und 2005 erhoben und enthält sowohl Angaben zur gesundheitlichen und ökonomischen Situation als auch Informationen über Freizeitaktivitäten und Freiwilligenarbeit. 

Die Studie betrachtet Menschen im Alter von 50 bis 79 Jahren, wobei Personen mit Erkrankungen der Hirngefäße, Krebs oder Parkinson ausgeschlossen werden. Der Datensatz beinhaltet 23.000 Personen in zwölf Ländern: Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Israel, Italien, Niederlanden, Österreich, Schweden, Schweiz und Spanien. Neben einer relativ groben Einschätzung der kognitiven Fähigkeiten durch Fragen nach der zeitlichen Orientierung enthält SHARE vier international gebräuchliche Maße für kognitive Leistungen: Merkfähigkeit, Erinnerungsfähigkeit, Wortflüssigkeit und numerische Fähigkeiten. „Merkfähigkeit“ umfasst die Anzahl der erinnerten Wörter aus einer Liste von zehn zuvor vorgelesenen Begriffen (zum Beispiel „Butter”, „Arm”, „Brief”). Die „Erinnerungsfähigkeit“ gibt die Anzahl der nach einer gewissen Zeit erinnerten Wörter aus derselben Liste wieder. „Wortflüssigkeit“ gibt die Anzahl der Tiere an, die innerhalb einer Minute genannt werden, und „numerische Fähigkeiten“ sind ein Maß für mathematische Leistung basierend auf vier Fragen. 

Prinzipiell wird zwischen fluiden und kristallinen Intelligenzleistungen unterschieden, die durch unterschiedliche Entwicklungsverläufe gekennzeichnet sind. Während fluide Intelligenz erheblichen alterskorrelierten Verlusten ausgesetzt ist, sind kristalline Fähigkeiten bis ins hohe Alter kaum rückläufig und können sogar ausgebaut werden. Die am VID durchgeführte Studie konzentriert sich auf die Erinnerungsfähigkeit älterer Menschen, also kognitive Fähigkeiten, die eher fluide Intelligenz widerspiegeln. Von Interesse ist die Anzahl der Begriffe, an die sich die Befragten nach einer gewissen Zeit noch erinnern konnten. 

Abb. 1: Durchschnittliche Anzahl der erinnerten Wörter. Quelle: SHARE 2004 (eigene Berechnungen).

Erste deskriptive Ergebnisse zeigen, dass mit zunehmendem Alter die Anzahl der erinnerten Wörter abnimmt (Abbildung 1). So konnten sich 50-Jährige in Österreich und Deutschland im Schnitt an fünf Begriffe erinnern, knapp 80-Jährige nur noch an zwei (eine Abnahme der Erinnerungsfähigkeit ist in allen zwölf betrachteten Ländern zu beobachten). 

In einem weiteren Schritt wurde mittels eines stochastischen Frontier-Modells der Einfluss verschiedener Faktoren auf den Rückgang der Erinnerungsfähigkeit im Alter untersucht. Neben Alter und Bildung wurden verschiedene Risikofaktoren berücksichtigt, wie Rauchen, Alkoholkonsum, Übergewicht und körperliche Aktivitäten, aber auch ökonomische und gesundheitliche Aspekte. Von besonderem Interesse ist das soziale Engagement, das in SHARE in unterschiedlicher Form abgefragt wurde: Besuch von Fortbildungskursen, Freiwilligenarbeit, Hilfestellung für Familienmitglieder, Freunde oder Bekannte, Mitgliedschaft in Sport- oder anderen Vereinen, Besuch einer religiösen Einrichtung, Engagement in einer politischen Organisation oder Gemeindeeinrichtung. Auch Erwerbstätigkeit wurde unter dem Begriff des sozialen Engagements subsumiert. 

Es zeigt sich, dass alle betrachteten Formen sozialen Engagements, insbesondere der Verbleib in der Erwerbstätigkeit, sowie Bildung (gemessen als höchster erreichter Bildungsabschluss) die Erinnerungsfähigkeit fördern, während sich Risikofaktoren wie körperliche Trägheit, Fettleibigkeit, Rauchen und Alkoholkonsum nachteilig auf die kognitive Leistung auswirken. 

Zu beachten ist jedoch, dass die vorliegende Studie auf Querschnittsdaten beruht und die Ergebnisse möglicherweise durch Kohorteneffekte mitbestimmt sind: Ältere Jahrgänge schneiden eventuell schlechter ab, weil unter ihnen der Anteil von Personen mit geringer Bildung höher ist. Der verstärkte Zugang zu Bildung in den vergangenen Jahrzehnten könnte ein Grund für die bessere Erinnerungsfähigkeit bei jüngeren Kohorten sein. Auch ist zu beachten, dass der kausale Zusammenhang zwischen höheren kognitiven Fähigkeiten und höherem sozialen Engagement in der vorliegenden Arbeit nicht völlig erklärt werden kann. Eine vorsichtige Folgerung könnte dennoch sein, dass Bildungsinvestitionen und das Fördern von sozialem Engagement während des gesamten Lebenslaufs den Menschen helfen könnten, dass sich ihre kognitiven Leistungen im Alter nicht verschlechtern. Dies könnte ihnen den Verbleib im Erwerbsleben selbst in höheren Altersklassen ermöglichen.

Literatur

  • Engelhardt, H., I. Buber, V. Skirbekk and A. Prskawetz: Social engagement, behavioural risks and cognitive functioning among the aged. Vienna Institute of Demography of the Austrian Academy of Sciences, Vienna 2008, 48 pp. (European demographic research papers; 2008/1).

Aus Ausgabe 2009/2

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