Bevölkerungsprognosen werden meist unter der Hypothese sicherer Erwartungen für die Zukunft mit der Kohorten-Komponenten-Methode erstellt. Dabei werden Annahmen über wahrscheinliche zukünftige Entwicklungstrends der demografischen Prozesse Fertilität, Mortalität und Migration getroffen und auf eine Ausgangsbevölkerung angewandt. Historisch und gegenwärtig zu beobachtende Geburtenziffern, Sterbezahlen und Wanderungen bilden dafür die Grundlage. Somit sind gerade die Annahmen für das Prognoseergebnis entscheidend. Ferner ist der gewählte Zeithorizont für die Genauigkeit einer Prognose relevant: Je geringer die Zahl der Jahre, die in die Zukunft fortgeschrieben werden, umso weniger wahrscheinlich sind Fehleinschätzungen, da die Prognose näher an den Charakteristika der Ausgangsbevölkerung bleibt.
Der Unsicherheit, die dem Blick in die Zukunft aber grundsätzlich innewohnt, begegnen Wissenschaftler, indem sie verschiedene Szenarien für die demografischen Prozesse entwerfen und so eine gewisse Bandbreite an wahrscheinlichen Entwicklungstendenzen abbilden. Doch inwieweit falsche Annahmen für die unterschiedlichen Prognoseszenarien getroffen wurden, ist nur im Nachhinein feststellbar. Wissenschaftler des Rostocker Zentrums zur Erforschung des Demografischen Wandels haben dies am Beispiel der vergangenen Bevölkerungsvorausberechnungen des Statistischen Bundesamtes, das seit den 1950er Jahren Prognosen für Deutschland erstellt, untersucht.
Drastische Änderungen im Geburtenverhalten – wie sie in den 50er und 60er Jahren mit dem Babyboom und in den 70er Jahren mit dem Geburtenrückgang eintraten – wurden in den Schätzungen nicht antizipiert, denn abrupte Richtungswechsel im Geburtenverhalten sind im Allgemeinen selten. Die Folge waren jeweils unter- oder überschätzte Bevölkerungszahlen.
TAB. 1: Anmerkung: LEx = Lebenserwartung im Alter x. Quellen: Prognoseannahmen aus: Bretz, M.: Zur Treffsicherheit von Bevölkerungsvorausberechnungen. Wirtschaft und Statistik (2001)11: 906–921. Daten aus: Human Mortality Database, Destatis.
Die Sterblichkeit ist ein demografischer Prozess, dessen Verbesserungen langsam und kontinuierlich ablaufen – wie es der stetige Anstieg der Lebenserwartung in den vergangenen 150 Jahren in den Industrieländern gezeigt hat. In Tabelle 1 ist beispielhaft der Vergleich von Mortalitätsannahmen in älteren Bevölkerungsvorausberechnungen des Statistischen Bundesamtes mit den realen Entwicklungen dargestellt. Dieser belegt: Der Anstieg der Lebenserwartung wurde in der Vergangenheit immer wieder unterschätzt. Dass die Lebenserwartung um fast drei Monate pro Jahr wächst, wurde nicht erwartet. Gründe für den Gewinn an Lebenszeit waren vor allem eine günstigere Ernährungs- und Lebensweise sowie medizinische Fortschritte speziell bei der Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Folglich fiel in Prognosen vor allem die Zahl der älteren Menschen oft zu gering aus. Ob die Lebenserwartung auch in den kommenden Jahrzehnten in gleich bleibendem Maße steigt oder ob sie irgendwann ein maximales Limit erreicht, diskutieren Wissenschaftler kontrovers.
Gewiss ist, dass die Lebenserwartung auf der Ebene von Gesamtbevölkerungen heute den wichtigsten Faktor für die Bevölkerungsentwicklung darstellt, während in kleineren geografischen Einheiten Wanderungsströme den bedeutendsten Einfluss ausüben. Im Allgemeinen birgt die Migration zudem die größten Vorhersageschwierigkeiten, denn sie kann durch politische und sozio-ökonomische Veränderungen, Klimaeinflüsse sowie andere unvorhersehbare Ereignisse schnellen Veränderungen unterliegen. In Deutschland haben vor allem die Anwerbung der so genannten Gastarbeiter, die Rückkehr der Spätaussiedler und nach der deutschen Einheit die Ost-West-Wanderungen die Bevölkerungsentwicklung nachhaltig beeinflusst. In älteren Vorausberechnungen wurden Migranten kaum oder gar nicht berücksichtigt, so dass die Bevölkerung unterschätzt wurde.
Insgesamt zeigt sich: Vorhersageunsicherheit offenbart sich in allen Prozessen in langer und in kurzer Frist, treffgenaue Voraussagen sind nicht möglich. Dennoch können demografische Prognosen als verlässliche Wegweiser dienen. Auch weiterentwickelte Prognosemethoden suchen ihren Wert nicht in der Treffgenauigkeit: Der Zusatznutzen neuerer, so genannter probabilistischer Bevölkerungsprognosen besteht eher darin, dass die Unsicherheit eines Ereigniseintritts schon in die Annahmen und somit auch sofort in das Prognoseergebnis einfließt und transparent gemacht werden kann.