Rostocker Zentrum zur Erforschung des Demografischen Wandels

Demografische Trends zeitnah analysiert

2011 | Jahrgang 8 | 2. Quartal

Keywords: Deutschland, Zusammengefasste Geburtenziffer, Konfidenzintervall, Monitoring der demografischen Entwicklung

Mitautorin der wissenschaftlichen Studie: Gabriele Doblhammer

Mitautorin der wissenschaftlichen Studie: Nadja Milewski

„Demographic Monitoring“ bezeichnet Verfahren zur Abbildung aktueller Bevölkerungsprozesse. Eine solche Methode wurde für die Fertilitätsentwicklung erstmals in Österreich am Vienna Institute of Demography mit dem „Geburtenbarometer“ angewendet (vgl. Demografische Forschung Aus Erster Hand 3/2006). In die Berechnungen der Gesamtfruchtbarkeitsrate (TFR) fließen hier u.a. Informationen über das Alter der Mutter bei der Geburt und die Rangfolge des Kindes ein. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt der am Rostocker Zentrum zur Erforschung des Demografischen Wandels entwickelte „Geburtenmonitor“, der aktuelle Trends in den Geburten in Deutschland abbildet. 

Allerdings ist die Datengrundlage in Deutschland weniger gut als in Österreich. So wird in Deutschland die zusammengefasste Geburtenziffer (TFR) für ein bestimmtes Jahr im Allgemeinen erst im Spätsommer des darauffolgenden Jahres veröffentlicht. Detailliertere demografische Daten, wie das Alter der Frauen bei der Geburt der Kinder oder regionale Verteilungen, werden sogar noch später zur Verfügung gestellt. Ein weiteres Defizit der deutschen Geburtenstatistik ist der Mangel an Angaben zur Dynamik innerhalb eines Kalenderjahres. Für wissenschaftliche oder öffentliche Zwecke werden aufgrund datenschutzrechtlicher Einschränkungen keine Monatsdaten zur Anzahl der Geburten nach Alter der Mütter veröffentlicht. Infolgedessen erhalten Forscher, die an kurzfristigen Entwicklungen der Geburtenzahlen interessiert sind, nur eingeschränkt Zugang zu aktuellen und detaillierten Daten. 

Wie in den meisten anderen Ländern, die eine nationale Statistik führen, ist die monatliche Gesamtzahl der Geburten der einzige kurzfristige Indikator, der für Deutschland zurzeit zur Verfügung steht. Die monatliche Anzahl der Geburten wird vom Statistischen Bundesamt mit einer Verzögerung von etwa drei Monaten veröffentlicht. Sowohl Medienvertreter als auch Politiker neigen dazu, diese Zahl häufig zu zitieren. Wie jedes andere unverfeinerte Maß in der Bevölkerungsforschung weist diese jedoch mehrere gravierende Unzulänglichkeiten auf, welche von der Öffentlichkeit meist außer Acht gelassen werden: Da die Geburtenzahl nicht auf die Anzahl der Frauen im gebärfähigen Alter bezogen ist, sind Deutungen und Vergleiche im Zeitverlauf und nach Region sehr begrenzt. Ohne Angaben zur Anzahl der Frauen im gebärfähigen Alter sowie zur Altersstruktur der Mütter, die in einem bestimmten Monat ein Kind bekommen haben, ist die Zahl der Geburten für die Interpretation des Geburtengeschehens praktisch nutzlos. Kurzfristige Trends und Veränderungen im Geburtenverhalten – d. h. die unterjährige Dynamik – können auf der Grundlage der zurzeit verfügbaren Geburtenzahlen nicht ermittelt werden. 

Mit dem „Geburtenmonitor“ soll das Geburtengeschehen in Deutschland dennoch so differenziert wie möglich dargestellt werden. Dazu wird die zusammengefasste Geburtenziffer (TFR) mittels der vorläufi gen Geburtenzahlen ermittelt, indem die unbekannte Altersstruktur der Mütter sowie die Anzahl der Frauen im reproduktiven Alter auf der Basis der Vorjahreszahlen geschätzt werden. Die TFR wird dabei monatlich berechnet und gibt an, wie hoch die Fertilität von Frauen im Alter von 15 bis 49 Jahren wäre, wenn die Geburtenverhältnisse des jeweiligen Monats über das ganze Jahr gleich wären. Kurzfristige Entwicklungen in der Fertilität, wie wiederkehrende saisonale Schwankungen, werden so sichtbar. Mit nur viermonatiger Verzögerung können damit erste Aussagen über die jüngste Fertilitätsentwicklung für Gesamtdeutschland getroffen werden. Mit sechsmonatiger Verzögerung liegen im „Geburtenmonitor“ die Raten für Ost- und Westdeutschland getrennt vor. 

Tab. 1: Monatliche zusammengefasste Geburtenziffer (mTFR) für Ost- und Westdeutschland im Jahr 2010*:

Für das Jahr 2010 weisen die auf vorläufigen Zahlen beruhenden monatlichen zusammengefassten Geburtenziffern auf einen Anstieg der Fertilität in Ostdeutschland und eine Stagnation in Westdeutschland hin (Tabelle 1). In jedem Monat liegt die TFR der neuen Bundesländer über jener der alten Länder. 

Monatliche Ungenauigkeiten in den vorläufigen Daten führen zu großen Fluktuationen in der geschätzten Fertilität. Im Falle einer stagnierenden Fertilität, wie in den alten Bundesländern, beeinträchtigen diese Schwankungen die Vorhersage der endgültigen jährlichen TFR. Ändert sich jedoch das Geburtenverhalten, wie in Ostdeutschland, können trotz der Schwankungen Trends frühzeitig erkannt werden. 

Der „Geburtenmonitor“ versucht erstmals für Deutschland, das Geburtengeschehen zeitnah darzustellen. Auch wenn diese Art des Monitorings ein frühzeitiges Erkennen von Trends ermöglicht, können die Unzulänglichkeiten der vorläufigen Daten nicht kompensiert werden. Nach wie vor besteht daher die Notwendigkeit, die Daten der amtlichen Statistik früher und differenzierter verfügbar zu machen.

Literatur

  • Doblhammer, G., N. Milewski und F. Peters: Monitor der Entwicklung der Geburtenhäufigkeit in Deutschland: Schätzung von monatlichen und jährlichen zusammengefassten Geburtenziffern auf der Grundlage vorläufiger monatlicher Daten. Comparative Population Studies – Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft 35(2010)2: 279-314 www.comparativepopulation- studies.de/index.php/CPoS/article/view/32/23).

Titelseite dieser Ausgabe

Aus Ausgabe 2011/2

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