Der Effekt tritt schnell ein, lässt allerdings auch schnell wieder nach: Innerhalb eines Jahres nach der Geburt von Nichte oder Neffe wächst die Wahrscheinlichkeit für ein eigenes erstes Kind auf das 2,3-Fache des Wertes für Frauen mit kinderlosen Geschwistern an. Nach drei Jahren liegt sie nur noch etwa ein Drittel darüber (siehe Abb. 1). Die Geburt zweiter und folgender Kinder hingegen wird fast gar nicht davon beeinflusst, ob Frauen zuvor Tante geworden sind (die Wahrscheinlichkeit steigt um maximal fünf Prozent).
Abb. 1: Anstieg der Zeugungswahrscheinlichkeit nach dem Tante-Werden im Vergleich zu Frauen mit kinderlosem Geschwister (Quelle: Amtliche Statistik Norwegen, eigene Berechnungen).
Forschern war schon lange bekannt, dass die Entscheidung für Nachwuchs auch durch den Einfluss des sozialen Umfelds geprägt wird, einschließlich der eigenen Familie. Bisher war es jedoch schwierig, die einzelnen Einflüsse auseinander zu halten. Alexia Prskawetz vom Vienna Institute of Demography und Torkild Lyngstad von der Universität Oslo gelang es nun, anhand von Daten norwegischer Geschwisterpaare den Effekt von Geschwistern zu belegen. Mittels eines ökonometrischen Modells haben die Autoren Geburtenneigung und -timing der Frauen abhängig von vorherigen Geburten der Geschwister erklärt. Den Demografen lagen erstmals besonders umfangreiche Daten von über 110.000 Paaren mit Angaben zu Geburten, Ausbildung, Einkommen und Familienstand vor.
Die Autoren betrachteten Geschwister, die zwischen 1955 und 1974 geboren wurden und einen Altersabstand von maximal 19 Jahren haben. Bei drei Vierteln aller Geschwisterpaare liegen die Geburtsjahre der Geschwister aber nicht mehr als vier Jahre auseinander. Da nur der Einfluss auf die Kinder von Frauen untersucht wurde, ist ein Teil jeden Paares immer weiblich, der andere kann ein Bruder oder eine Schwester sein. Die Mütter der untersuchten Frauen hatten genau zwei Kinder, und lagen damit für die damaligen norwegischen Verhältnisse unter dem Durchschnittswert. Sie könnten den beiden Geschwistern daher andere Verhaltensmuster und Familienvorstellungen vermittelt haben, als dies derzeit die Norm war. Die damalige Beschränkung auf zwei Kinder bedeutet möglicherweise, dass ein überdurchschnittlicher Anteil dieser Mütter erwerbstätig war oder aus höheren Bildungsschichten stammte.
Warum die Frauen aus den Geschwisterpaaren auf die Geburt von Neffen und Nichten reagieren, lässt sich aus der Studie zwar nicht direkt folgern. Anhaltspunkte dafür waren in den norwegischen Daten nicht enthalten. Die Forscher hatten das Ergebnis ihrer Arbeit dennoch erwartet. Denn es stützt die Vermutung, dass kinderlose Frauen die Unsicherheit bei ihrer eigenen Nachwuchs-Entscheidung abbauen, indem sie beobachten, wie die Geschwister mit ihren Kindern und ihrer Rolle als Eltern umgehen. Mit ihren Nichten und Neffen machen die Frauen erste eigene Erfahrungen, wie kleine Kinder zu versorgen und zu betreuen sind, und welche Anstrengung, aber auch Lebensfreude sie bedeuten.
Wissenschaftlich beschreibt einen solchen Effekt die „Theorie sozialer Vergleichsprozesse“: Demnach passen Menschen ihr Verhalten dem von Mitmenschen an, die ihnen sozial ähneln. Da viele Geschwister sich in diesem Sinne gleichen, orientieren sie sich aneinander. Konkret kann das etwa dazu führen, dass das eine Geschwister das andere einfach imitiert. Es kann sich aber auch für ein ähnliches Verhalten entscheiden, weil es vom anderen viel darüber gelernt hat. Oder es könnte demselben sozialen Druck einer dritten Partei nachgeben – im Fall der Geburten etwa dem von Eltern, die sich weitere Enkel wünschen.
Dass es für die Geburt des zweiten Kindes kaum eine Rolle spielt, ob vorher eine Nichte oder ein Neffe zur Welt kam, könnte daran liegen, dass die Eltern nun bereits Erfahrung mit ihrem eigenen Kind haben. Sie wissen bereits, worauf sie sich mit einem weiteren einlassen. Die zusätzliche Information durch die Geschwister kann die Unsicherheit vor der Entscheidung für das Kind nur noch wenig reduzieren – denn diese Unsicherheit besteht kaum mehr. In diesem Sinn ist die Geburt des ersten Kindes im Lebenslauf von Frauen ein wesentlich bedeutenderes Ereignis als die Geburt weiterer Kinder.
Beeinflusst auch das Verhalten von Freunden und anderen nahe stehenden Personen die Fertilität auf diese Weise? Die Ergebnisse der Studie von Prskawetz und Lyngstad lassen sich zwar nicht direkt auf außerfamiliäre Beziehungen übertragen. Dennoch legen sie nahe, dass dort ähnliche Mechanismen existieren. Dafür sprechen auch die Erkenntnisse qualitativer Forschung in kleinen Personengruppen. Sie mit umfangreicheren Daten zu belegen, bleibt die Herausforderung zukünftiger Forschung.