ISSN 1613-8856

Rostocker Zentrum zur Erforschung des Demografischen Wandels

Wer traut sich noch?

2012 | Jahrgang 9 | 4. Quartal

Keywords: Zweiter demografischer Übergang, Nichteheliche Partnerschaften, Bildung und Partnerschaftswahl, Ökonomische Unabhängigkeit, Wertewandel und Selbstverwirklichung

Wissenschaftliche Ansprechpartnerin: Katja Köppen

Die Demografin vom Rostocker Zentrum zur Erforschung des demografischen Wandels untersucht in ihrer Dissertation, wie sich die verschiedenen Formen des Zusammenlebens in Frankreich und Westdeutschland entwickelt haben und welche Rolle Bildung, Erwerbstätigkeit und Schwangerschaft bei der Wahl einer Partnerform spielen. Dabei sind in beiden Länder jene Tendenzen zu beobachten, die Wissenschaftler unter dem Stichwort „Zweiter demografischer Übergang“ zusammenfassen: Hochzeiten werden immer seltener (s. Abb.1), Scheidungen immer häufiger, Kinder werden zwar noch geboren, aber zumeist spät und nicht besonders zahlreich.

Abb. 1: Anteil der Frauen in Deutschland, die ihren ersten Partner gleich heiraten (dunkelblau), die zunächst nur einen gemeinsamen Haushalt führen (nichteheliche Lebensgemeinschaft, hellblau) und die gar keine Partnerschaft eingehen (grau). Quelle: DJI-Familiensurvey, eigene Berechnungen 

Als Begründung für diese Entwicklungen wird unter anderem angeführt, dass Frauen in den westlichen Industrienationen oft erwerbstätig und damit ökonomisch unabhängig sind. Die Ehe, die Hausfrauen und Müttern eine wirtschaftliche Absicherung garantiert, verliere dadurch ihren Nutzen. Ein Rückgang der Eheschließungen müsste dieser Argumentation zufolge vor allem bei gut ausgebildeten Frauen zu beobachten sein. Und tatsächlich zeigt sich sowohl für Westdeutschland als auch für Frankreich: Zum einen gehen Frauen, die zwischen 1965 und 1974 geboren sind, viel häufiger zuerst eine nichteheliche Partnerschaft ein als Frauen der Jahrgänge 1944 bis 1954. Zum anderen tun sie das umso häufiger je höher ihr Bildungsabschluss ist (s. Abb. 1). Dabei ist die nichteheliche Partnerschaft hier als Zusammenleben von mindestens sechs (Frankreich) beziehungsweise zwölf (Deutschland) Monaten Dauer definiert. 

Ein anderes Bild aber ergibt sich, wenn die weitere Entwicklung der Partnerschaften berücksichtigt wird: So sind es in Frankreich vor allem die hoch qualifizierten Frauen, die nach einer nichtehelichen Lebensphase heiraten. Und in Deutschland sind die Heiratsraten von Akademikerinnen Anfang 30 höher als in allen anderen Bildungsschichten. Die Ehe wird hier also oft nur aufgeschoben, bis die Ausbildung und damit eine eher unsichere Lebensphase beendet ist. Die geringeren Heiratsraten können demnach weder in Frankreich noch in Westdeutschland mit der zunehmenden ökonomischen Unabhängigkeit der Frauen erklärt werden.   

Eine zweite Theorie, die Katja Köppen in ihrer Dissertation diskutiert, sieht den Wertewandel hin zu mehr Selbstverwirklichung und weniger sozialer Verantwortung als Auslöser für die demografischen Veränderungen. Gegen eine Generalisierung dieser Theorie sprechen der Autorin zufolge die relativ großen nationalen Unterschiede: So konnte sie zeigen, dass die nichteheliche Partnerschaft in Frankreich dauerhafter und beständiger ist als in Westdeutschland und die Ehe immer häufiger ganz ersetzt. In Westdeutschland dagegen ist die nichteheliche Partnerschaft oft nur Übergangsstadium vor der Ehe, die zudem viel stärker als im Nachbarland mit der Mutterschaft korreliert ist: Zum Ende einer Schwangerschaft ist die Wahrscheinlichkeit für eine Eheschließung in Deutschland sechs mal so hoch wie bei kinderlosen, nicht schwangeren Frauen. In Frankreich dagegen ist sie bei Schwangeren im sechsten bis neunten Monat nicht einmal doppelt so hoch.

Tab. 1: Überblick über die institutionellen Rahmenbedingungen in Frankreich und Deutschland.

Um solche Unterschiede erklären zu können, müssten vor allem historische, kulturelle und institutionelle Gegebenheiten in den Ländern berücksichtigt werden, meint Katja Köppen. So sind die rechtlichen Grundlagen, das Betreuungs- und Steuersystem in Frankreich viel stärker darauf ausgerichtet, dass Frauen finanziell eigenständiger sind und Mütter wieder früher in die Erwerbstätigkeit zurückkehren (vgl. Tab. 1). Auch kulturelle Normen wie sie etwa in dem Begriff der „Rabenmutter“ in Deutschland zum Ausdruck kommen, sorgen dafür, dass Frauen hier später und in geringerem Ausmaß wieder in ihren Beruf einsteigen. 

Literatur

  • K. Köppen: Marriage and cohabitation in western Germany and France. Universität Rostock, Rostock 2011.

Titelseite dieser Ausgabe

Aus Ausgabe 2012/4

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