In Großbritannien hat sich der Unterschied zwischen den normal- und untergewichtig geborenen Kindern demnach in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mehr als halbiert. Das zeigen Mikko Myrskylä vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung sowie Alice Goisis und Berkay Özcan von der London School of Economics and Political Science anhand von drei großen Geburtensurveys in Großbritannien. Im Fachmagazin Proceedings of the National Academy of Science (PNAS) beschreiben die Forscher, wie sich die Situation für untergewichtige Säuglinge von 1958 bis 1970 leicht und bis 2001 sehr stark verbessert hat (s. Abb.1). In den Erhebungen sind neben dem Geburtsgewicht auch das Ergebnis eines kognitiven Tests zu Sprachfähigkeiten angegeben, den alle Studienteilnehmer im Alter von zehn bis elf Jahren absolvierten. Auch Informationen zur Mutter und zur Familie wurden erfasst.
Kognitive Fähigkeiten im Vergleich zu Kindern mit normalem Geburtstgewicht
Abb. 1: Deutlicher Rückgang der kognitiven Nachteile: Im Basismodell wird berücksichtigt, ob es sich um das erste Kind handelt und welches Geschlecht es hat. Im erweiterten Modell werden darüber hinaus auch soziokulturelle Merkmale der Mutter erfasst und eingerechnet. Quelle: NCDS 1958, BCS 1970, MCS 2001, eigene Berechnungen
Grundsätzlich zeigte sich, dass Kinder mit geringem Geburtsgewicht eher in sozial schwachen Familien geboren werden. Mädchen, Erstgeborene sowie Kinder von Müttern, die nicht stillten und während der Schwangerschaft nicht gut auf ihre Gesundheit achteten, sind demnach besonders häufig unter den untergewichtigen Säuglingen.
Doch auch wenn diese und weitere Faktoren wie etwa das Alter der Mutter bei der Geburt, ihr Bildungsgrad, ihr sozialer Status und ihr familiäres Umfeld in den drei Erhebungen berücksichtigt wurden, blieb das Ergebnis der Studie im Wesentlichen unverändert: Bei den Probanden, die 1958 oder 1970 mit einem sehr niedrigen Gewicht geboren wurden, waren die Resultate der Sprachtests deutlich schlechter als bei gleichaltrigen Kindern, die ein normales Geburtsgewicht hatten. Bei Kindern, die zwischen 2000 und 2002 geboren wurden, waren die entsprechenden Unterschiede bei den sprachlichen Fähigkeiten zwar immer noch vorhanden, aber deutlich geringer.
Das ist umso erstaunlicher als bei den jüngsten Geburtenjahrgängen (2000-2002) mehr Kinder ein extrem niedriges Geburtsgewicht und damit besonders schlechte Bedingungen hatten. Aufgrund des medizinischen Fortschritts stieg der Anteil der Babys, die bei ihrer Geburt weniger als eineinhalb Kilogramm wogen von 0,1 Prozent im Jahr 1958 auf 0,7 Prozent in den Jahren von 2000 bis 2002. Insgesamt könne davon ausgegangen werden, dass im Jahr 1958 bei den untergewichtigen Kindern nur die gesündesten und stärksten überlebt hätten, während um die Jahrtausendwende auch Kinder überlebten, die wenige Jahrzehnte zuvor noch keine Chance gehabt hätten, schreiben die Autoren. Obwohl es also sehr wahrscheinlich ist, dass der Zustand der zwischen 2000 und 2002 geborenen untergewichtigen Babys schlechter war als bei den 1958 geborenen, sind ihre Ergebnisse beim Sprachtest deutlich besser.
Die Autoren führen diese positive Entwicklung vor allem auf die bessere medizinische Versorgung zurück: Ab 1970 ist in Großbritannien die Intensivmedizin für Neugeborene eingeführt worden. Nach und nach wurden bessere Medikamente entwickelt, es wurden Beatmungsgeräte für Säuglinge bereit gestellt und das Monitoring von Neugeborenen eingeführt. Das hat dazu geführt, dass einer Schädigung des Gehirns besser vorgebeugt werden konnte. Dennoch sind die Nachteile eines geringen Geburtsgewichts auch in den jüngsten Jahrgängen (2000-2002) noch nicht verschwunden.
Um zu verstehen, wie stark sich ein geringes Geburtsgewicht auch heute noch auf die weiteren Lebenschancen auswirkt, wäre es sinnvoll, auch den Einfluss auf weitere Fähigkeiten der Betroffenen zu untersuchen – und auf andere Lebensphasen auszudehnen. So sei weiterhin unklar, schreiben die Autoren, ob die Beeinträchtigungen durch ein geringes Geburtsgewicht nur in der Kindheit oder auch im Erwachsenenalter zurückgegangen sind.