ISSN 1613-8856

Wittgenstein Centre for Demography and Global Human Capital

Gekommen, um zu bleiben?

2017 | Jahrgang 14 | 2. Quartal

Keywords: Fluchtwelle, Integration, Bildungsniveau von Geflüchteten, Religiösität von Geflüchteten, Geschlechtergerechtigkeit von Geflüchteten

Mitautorin der wissenschaftlichen Studie: Isabella Buber-Ennser

Österreich war 2015 mit gut 88.000 Asylbewerbern das viertgrößte Aufnahmeland innerhalb Europas. In der europaweit ersten sozialwissenschaftlichen Erhebung im Zusammenhang mit der viel zitierten „Flüchtlingskrise“ wurden hier im November und Dezember 2015 rund 500 Flüchtlinge interviewt. Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen des Wittgenstein Centre for Demography and Global Human Capital veröffentlichten eine erste Auswertung. Ziel war es, nicht nur Köpfe zu zählen, sondern herauszufinden, was in diesen Köpfen steckt. Für DiPAS (Displaced Persons in Austria Survey) wurden in sieben Flüchtlingsunterkünften in und um Wien Interviews auf Arabisch, Farsi/Dari und Englisch durchgeführt. Die Befragten gaben dabei nicht nur Auskünfte zu sich selbst, sondern auch zu ihren (Ehe-)partnern und Kindern. Insgesamt kamen so Daten über knapp 1.000 Geflüchtete in Österreich zusammen, sowie zu gut 400 nahen Angehörigen im Ausland, die später über die Familienzusammenführung nachkommen könnten. 

Bei den syrischen und irakischen Flüchtlingen handelt es sich zumeist um junge Familien. Insgesamt sind 39 Prozent der Befragten verheiratet, drei Prozent verwitwet oder geschieden, 23 Prozent ledig, 30 Prozent sind Minderjährige und weitere fünf Prozent sind erwachsene Kinder, die mit ihren Eltern kamen. Auf Grundlage dieser Daten erlaubt die Studie Schätzungen zum Familienzuzug, über den bereits oft gemutmaßt wurde: Laut DiPAS können auf 100 Geflüchtete (Erwachsene und Kinder) maximal 38 Familienzuzüge kommen, wobei dies überwiegend minderjährige Kinder sein würden (24), und in geringerem Ausmaß Ehefrauen bzw. -männer (14) (vgl. Abb. 1). 

Abb. 1: Wie viele Flüchtlinge kommen über den Familiennachzug nach Österreich? Auch hierauf gibt die Studie Antworten und zeigt, dass hauptsächlich Kinder nachziehen. Quelle: DiPAS 2015

Der Bildung und den beruflichen Qualifikationen wurde in der Befragung besonderes Gewicht beigemessen – gelten diese doch als zentral für  eine Integration in das neue Heimatland. Die Auswertungen durch Isabella Buber-Ennser und ihre Kollegen und Kolleginnen am Wittgenstein Centre belegen, dass die Geflüchteten weit besser gebildet sind als die durchschnittliche Bevölkerung im Herkunftsland (vgl. Abb. 2). Fast die Hälfte der Befragten aus Syrien und dem Irak hat eine Sekundarbildung erhalten. Der Anteil der Personen, die keine Schule oder lediglich eine Grundschule besucht haben, ist mit sieben Prozent bei den syrischen Flüchtlingen weit kleiner als der Anteil dieser Bildungsgruppe in ihrem Heimatland. Dort hat jeder zweite höchstens eine Grundschulausbildung. Bei den Afghanen ist das Bild ähnlich: Hier besitzen 80 Prozent der Bevölkerung keine formale Schulbildung, unter den befragten afghanischen Flüchtlingen in Österreich war diese Gruppe dagegen mit 30 Prozent weitaus kleiner. Die gut Gebildeten, die mindestens einen post-sekundären Schulabschluss haben, stellten unter den geflüchteten Syrern 27 Prozent, unter den Afghanen elf Prozent. In den jeweiligen Heimatländern liegt ihr Anteil dagegen lediglich bei zehn beziehungsweise drei Prozent. Die irakischen Flüchtlinge wiesen ein ähnliches Bildungsniveau auf wie die Menschen aus Syrien, allerdings ist hier der Anteil der gut Gebildeten mit 31 Prozent besonders hoch. 

Bildung in Heimatländern und unter Geflüchteten

Abb. 2: Der Anteil der gut Gebildeten (ISCED 4- 6) ist unter den Flüchtlingen mehr als doppelt so groß wie in ihren Heimatländern. Quelle: DiPAS 2015, Central Bureau of Statistics (2004) for Syria, Centrals Statistic Org. for Afghanistan

Eine positive Selektion durch Migration ist in der Forschung gut dokumentiert: Wer höher gebildet ist und somit über mehr sozioökonomische Ressourcen verfügt, ist mobiler. Der Grund dafür liegt in den hohen Kosten einer Flucht, die ärmere und damit häufig weniger gebildete Schichten schlichtweg nicht bezahlen können. Die DiPAS-Daten ergaben, dass fast jede/r Dritte nach eigenen Angaben mehr als 4.000 US-Dollar pro Person für die Flucht gezahlt hatte. Das liegt weit über dem jährlichen Pro-Kopf-Einkommen der Länder. In Syrien etwa betrug es im Jahr 2010 rund 3.000 Dollar. Da sich der Wechselkurs seither drastisch verschlechterte, stellen derartige Kosten in der Realität eine noch weitaus größere finanzielle Belastung dar. 

Während das Bildungsniveau der geflüchteten Frauen und Männer ähnlich war, ist bei der Einschätzung der eigenen Religiosität ein deutlicher Geschlechterunterschied zu sehen. Hier stuften sich Frauen – parallel zu vielen anderen internationalen Surveys – als deutlich religiöser ein. Auf einer Skala von 1 bis 10 erreichten sie einen durchschnittlichen Wert von 6, die Männer einen Wert von 4,7. 18 Prozent der Frauen gaben an, sehr religiös zu sein, während der Anteil bei den Männern gerade einmal halb so groß war. Darüber hinaus gaben syrische und irakische Flüchtlinge seltener als andere an, stark religiös zu sein. Religiosität nimmt mit steigender Bildung ab, was bisherige Studien bestätigen. Ein Vergleich mit Österreichern derselben Altersgruppe ergibt ein sehr ähnliches Bild bei der Selbsteinschätzung der Religiosität. 

Sobald ihr Asylantrag genehmigt wird, wollen rund zwei Drittel der Befragten eine Arbeit suchen. Knapp ein Drittel – darunter natürlich vor allem die Jüngeren – möchte Schule oder Studium fortführen. Die meisten der Befragten stellen sich darauf ein, dauerhaft in Österreich zu bleiben. Lediglich ein Viertel plant eine spätere Rückkehr ins Heimatland, darunter vor allem Syrer. 

Ein wichtiger Teil der Befragung beschäftigte sich zudem mit den Werten und Einstellungen der Geflüchteten unter anderem zur Geschlechtergerechtigkeit. Entgegen genereller Annahmen lehnen sowohl männliche als auch weibliche Befragte traditionelle Einstellungen eher ab. Auch unter den sehr religiösen Menschen herrschen eher egalitäre Ansichten zum Geschlechterverhältnis vor. Dennoch zeigen sich natürlich Unterschiede zu den Vorstellungen der einheimischen Bevölkerungen in Österreich oder Deutschland. Der Aussage „Wenn Jobs knapp sind, sollten Männer den Vorrang haben“ stimmten Flüchtlinge weit häufiger zu als Österreicher oder Deutsche. Interessanterweise war die Zustimmung zu dieser Aussage aber deutlich geringer als in der Bevölkerung arabischer Länder (vgl. Abb.3). 

Sollten Männer den Vorrang haben, wenn Jobs knapp sind?

Abb. 3: Dass die Männer in der Arbeitswelt den Vorrang vor Frauen haben sollten, denkt eine Mehrheit der Geflüchteten, jedoch deutlich weniger als in den Herkunftsländern. Quelle: DiPAS 2015, World Value Survey, eigene Berechnungen

In der Zwischenzeit sind ähnliche Ergebnisse für Deutschland präsentiert worden. Laut einer Befragung des deutschen Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) unter mehr als 2.300 geflüchteten Erwachsenen gehen die unerwartet hohen Bildungslevel mit positiven Einstellungen zu vermeintlich westlichen Werten wie Demokratie und Frauenrechten einher. In Österreich werden die DiPAS-Schlussfolgerung zum Bildungsniveau der Geflüchteten durch zwei weitere, gänzlich unterschiedliche Datenquellen bestätigt (AMS; Erhebung im Bundesland Salzburg). Gemeinsam mit diesen Studien liefert DiPAS einen ersten, sehr weit gefassten Einblick in die soziodemografischen und kulturellen Charakteristika von Geflüchteten, die sich für weitere Debatten und Entscheidungen als sehr wichtig erweisen könnten.

Literatur

  • I. Buber-Ennser, Kohlenberger, J., Rengs, B., Al Zalak, Z., Goujon, A., Striessnig, E. et al.: Human Capital, Values, and Attitudes of Persons Seeking Refuge in Austria in 2015. PLOS ONE 11(2016)9): e0163481.
    DOI: 10.1371/journal.pone.0163481

Aus Ausgabe 2017/2

Artikel

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