ISSN 1613-8856

Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB)

Stress durch Kinderwunschbehandlung

2018 | Jahrgang 15 | 4. Quartal

Keywords: Fruchtbarkeitsproblem Stress, Zielblockade, Unfruchtbarkeit

Mitautorin der wissenschaftlichen Studie: Jasmin Passet-Wittig

Der Wunsch, ein eigenes Kind zu bekommen, ist bei vielen Menschen sehr stark ausgeprägt. Wenn sich zeigt, dass eine natürliche Schwangerschaft unwahrscheinlich ist, setzt daher für viele Paare ein psychisch belastender Prozess ein: Mache ich etwas falsch? Welche Behandlungen mute ich meiner Gesundheit zu? Wie viel Geld kann und will ich investieren? Und vor allem: Werden die Bemühungen am Ende erfolgreich sein? 

Fast zwei Drittel aller Frauen und Männer am Anfang einer Kinderwunschbehandlung können sich keine Alternativen zu einem eigenen Kind vorstellen. Gerade diese Alternativlosigkeit aber ist es, die den Druck auf Paare mit unerfülltem Kinderwunsch befördert. Das ist das Ergebnis einer neuen Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung.

Durchschnittliche Stressbelastung durch Unfruchtbarkeit und durch die Behandlung in einem Kinderwunschzentrum

Abb. 1: Wer sich keine Alternativen vorstellen kann, ist durch den unerfüllten Kinderwunsch und die Fruchtbarkeitsbehandlung meist sehr viel mehr gestresst als andere. Quelle: PinK Studie, eigene Berechnungen

 Jasmin Passet-Wittig und Norbert F. Schneider werten darin die Daten aus einer Patientenbefragung an sechs verschiedenen Kinderwunschkliniken in Rheinland-Pfalz und Hessen aus. Für die erste Befragung der PinK-Studie (Paare in Kinderwunschbehandlung) im Jahr 2012/2013 machten 441 Klinik-Patienten umfassende Angaben, etwa zu Kindern, Bildungslevel und zur bevorstehenden Behandlung. Darüber hinaus wurde auch erfasst, inwieweit für die Patienten Alternativen zum eigenen Wunschkind in Frage kommen, wie etwa Adoption, Pflegeelternschaft oder ein Leben ohne (weiteres) Kind. Die Stressbelastung der Patienten wurde anhand der COMPI Fertility Problem Stress Skala ermittelt. Dafür beantworteten die Patienten unter anderem Fragen zur Belastung ihrer Ehe/Partnerschaft durch die Unfruchtbarkeit. Das Ausmaß der Belastung konnte dabei zwischen 1 (überhaupt nicht) und 4 (sehr stark) eingestuft werden. Am Ende wurde aus den Antworten eine Punktzahl von 0 bis 29 ermittelt Je höher die Zahl, desto größer der Stress. 

Die höchste Punktzahl ergab sich demnach bei den 61 Prozent der Befragten, die sich keine Alternative zum eigenen Kind vorstellen können (s. Abb. 1). Etwas geringer ist der Stresslevel bei den 25 Prozent der Studienteilnehmer, die sich eine Adoption oder eine Pflegeelternschaft vorstellen können. Am wenigsten gestresst sind dagegen Frauen und Männer, die auch ein Leben ohne (weiteres) Kind in Betracht ziehen (rund 11 Prozent) oder für die beide Alternativen zum eigenen Kind vorstellbar sind (3 Prozent). 

Die Befragung konnte etwa bei einem Drittel der Patienten nach einem Jahr wiederholt werden. Hierfür wurden die Fragen leicht abgeändert, um zu erfassen, inwieweit die Patienten durch die Fruchtbarkeitsbehandlung gestresst waren. Verglichen mit den Werten bei Behandlungsbeginn war das Stresslevel insgesamt etwas niedriger. Doch das ist hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass bei einigen Befragten in der Zwischenzeit bereits ein Kind unterwegs oder zur Welt gekommen war. Noch immer aber zeigt sich, dass Patienten die keine Alternative zum eigenen Kind sehen, am meisten gestresst sind. Wer auch ein Leben ohne (weiteres) Kind als Möglichkeit akzeptiert, ist von der Fruchtbarkeitsbehandlung am wenigsten gestresst. Diese Ergebnisse bestätigen sich auch in einer so genannten Regressionsanalyse. Demnach war der Stresslevel bei Menschen, die sich auch ein Leben ohne (weiteres) Kind vorstellen konnten, rund vier mal niedriger als bei den Befragten, die diese Alternative nicht für sich in Betracht ziehen. 

Die beiden Autoren der Studie unterstützen daher Forderungen nach einer besseren psychologischen Beratung und Betreuung von Paaren in Kinderwunschbehandlung. Die Behandlungen haben überschaubare Erfolgsaussichten. Wer daher schon zu Beginn oder vor einer Fruchtbarkeitsbehandlung lerne, offener gegenüber Alternativen zu sein, habe erheblich weniger Stress und fühle sich weniger ohnmächtig. „Die Offenheit gegenüber Alternativen könnte Patienten in Kinderwunschkliniken davor bewahren, vom Wunsch nach einem eigenen Kind überwältigt zu werden, und würde es ihnen erlauben, mehr Kontrolle über ihre Situation zu haben“, schreiben Passet-Wittig und Schneider.  

Literatur

  • Passet-Wittig, J. and N. F. Schneider: Imaginability of adoption, foster care, and life without a(nother) child and stress in women and men in fertility treatment. Journal of Health Psychology [First published online: 1 March 2018].
    DOI: 10.1177/1359105318758857

Aus Ausgabe 2018/4

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