Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB)

Soziale Mobilität in Deutschland: Vom Schuhputzer bis zum Arzt

2019 | Jahrgang 16 | 1. Quartal

Keywords: Soziale Mobilität, Intragenerationale Mobilität, Karrieremobilität, Wachstumskurven, Kohortenanalyse, NEPS

Autor der wissenschaftlichen Studie: Nico Stawarz

Die 1980er Jahre waren eine denkbar schlechte Zeit, um ins Berufsleben zu starten. Verglichen mit Berufseinsteigern aus den 1950er Jahren lag die Wahrscheinlichkeit, die Karriereleiter herunterzurutschen, sowohl bei Frauen als auch bei Männern mehr als doppelt so hoch. Das heißt, der Anteil der Personen, die nach 20 Jahren im Beruf eine schlechtere soziale Position innehatten als zu Beginn ihres Berufslebens (s. Abb. 1), ist in dieser Generation vergleichsweise groß, wie Nico Stawarz vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung in Wiesbaden in einer aktuellen Studie zeigt. Dennoch seien die Berufsbiografien im untersuchten Zeitraum nicht bedeutend instabiler geworden, schreibt der Soziologe, denn in den jeweiligen Geburtskohorten weisen mindestens drei Viertel aller Personen eine stabile soziale Position auf. 

Abb. 1: Die meisten Menschen haben stabile Berufskarrieren, die sich durch eine leichten Anstieg mit zunehmender Berufserfahrung auszeichnen. Bei Abstiegs- und Aufstiegsmobilen hat sich dagegen das BerufsPrestige im Laufe der Zeit deutlich verringert bzw. erhöht. Quelle: GLHS, NEPS, eigene Berechnungen

Stawarz hatte für seine Untersuchung Daten aus der German Life History Study (GLHS) und der National Educational Panel Study (NEPS) verwendet und im Hinblick auf soziale Mobilität ausgewertet. Weil sich der Arbeitsmarkt in den vergangenen Jahrzehnten erheblich ausdifferenziert und flexibilisiert hat, geht Stawarz der Frage nach, inwieweit sich diese Veränderungen auf den Verlauf des Arbeitslebens und die soziale Mobilität ausgewirkt haben: Wie entwickelt sich die soziale Position über 20 Jahre hinweg? Wie viele Auf- und Absteiger gibt es in den unterschiedlichen Generationen? Und gibt es Bevölkerungsgruppen, für die ein Auf- oder Abstieg besonders wahrscheinlich ist? 

Die soziale Position, gemessen über das berufliche Prestige, wird dabei nach einer internationalen Klassifikation ermittelt, die vom Schuhputzer bis zum Arzt auf einer Skala von 13 bis 78 Punkten reicht und sich nach der beruflichen Stellung richtet. Im Schnitt betrug dieser Wert 40 Punkte zu Beginn der Berufskarriere und erhöhte sich mit steigender Berufserfahrung um 0,16 Punkte pro Jahr. Über die Jahre stieg der Prestige-Wert für die Berufseinsteiger an, so dass jüngere Generationen mit einem deutlich höheren Wert starteten als etwa die Zwischen- und Nachkriegsgenerationen. Zum Teil, so schreibt Nico Stawarz, sei dies auf eine Zunahme von qualifizierten Tätigkeiten, Angestellten und Positionen im öffentlichen Dienst zurückzuführen. Über die untersuchten Jahrzehnte gab es zunächst einen Anstieg der Beschäftigten im sekundären Sektor (unqualifizierte und qualifizierte Arbeiter) und dann im tertiären Sektor (einfache und höhere Angestellte). 

Weil hinter den großen Trends und einem relativ hohen Anteil von stabilen Berufskarrieren auch viele sehr unterschiedliche Karrieren versteckt sein könnten, die hinter diesen Durchschnittszahlen verborgen bleiben, wandte Nico Stawarz für seine Analyse sogenannte Mischverteilungsmodelle (Growth Mixture Models) an. Mit dieser explorativen Methode können die Berufskarrieren von Personen anhand des Verlaufs der sozialen Position klassifiziert werden. Demnach lassen sich die Verläufe grob in drei verschiedene Gruppen aufteilen: Die Abstiegsmobilen, die mit 8,3 % die kleinste Gruppe stellen, die Aufstiegsmobilen, die 12,3 % ausmachen und die Gruppe mit stabilen Karrieren, zu der das Gros, nämlich 79,4 Prozent der Befragten gehören. Während die Abstiegsmobilen zumeist mit einem vergleichsweise hohen Berufs-Prestige in das Arbeitsleben eintraten und dann ihre soziale Stellung einbüßten, erhöhte sich das soziale Prestige in der Gruppe mit den stabilen Karrieren nur leicht und bei den Aufstiegsmobilen sehr deutlich (vgl. Abb. 1). Letztere starteten im Vergleich zu den Abstiegsmobilen zumeist mit einem niedrigeren Prestige-Wert ins Erwerbsleben. 

Schaut man auf die Berufskarrieren innerhalb der einzelnen Generationen (vgl. Tab. 1), lässt sich feststellen, dass das Prestige bei Männern im Laufe des Berufslebens stärker ansteigt als bei Frauen. Das gilt besonders für Frauen mit Kindern. Auch Personen, die lange arbeitslos waren, sind häufiger bei den Abstiegsmobilen zu finden. Menschen, die im öffentlichen Dienst arbeiten, haben dagegen meist stabile Berufskarrieren, während viele Firmenwechsel sowohl den beruflichen Auf- als auch Abstieg befördern können. Anders sieht das bei Stellenwechseln innerhalb einer Firma aus: dadurch steigen die Chancen, zu den Aufstiegsmobilen zu gehören. Das Gleiche gilt auch für eine gute Bildung.

Tab. 1: Wer im öffentlichen Dienst arbeitet, hat in der Regel keine großen Aufstiegschancen, muss sich aber auch seltener Sorgen über einen Abstieg machen. In dieser Regressionstabelle geben Zahlen über eins eine entsprechend höhere Wahrscheinlichkeit an, zu der Klasse zu gehören. Zahlen unter eins stehen für eine entsprechend geringere Wahrscheinlichkeit. Quelle: GLHS, NEPS, eigene Berechnungen

Tab. 2: Männer, die in den 1980er Jahren ins Berufsleben startete hatten ein vergleichsweise großes Risiko, zu den Abstiegsmobilen zu gehören.  Quelle: GLHS, NEPS, eigene Berechnungen

Über die verschiedenen Generationen gesehen, zeigt sich ganz klar, dass die so genannte Wirtschaftswunder-Generation, die zwischen 1950 und 1959 ins Berufsleben startete, die stabilsten Karrieren hatte (s. Tab.2). Sie weisen auch die geringsten Zeiten in Arbeitslosigkeit auf. Im Vergleich dazu sind in den ältesten (1932-49) und in den jüngeren Kohorten (1960-89) weniger Menschen mit stabilen Karrieren zu finden. Bei letzteren nimmt zudem der Anteil der Abstiegsmobilen deutlich zu. Der Anteil der Aufstiegsmobilen stieg in den jüngeren Generationen allerdings ebenfalls leicht an. Bei den Frauen lässt sich kein deutlicher Trend über die Generationen feststellen. Insgesamt haben sie seltener stabile Karrieren als Männer und haben ein größeres Risiko zu den Abstiegsmobilen zu gehören. Das gilt anscheinend vor allem für die jüngste Generation, die zwischen 1980 und 1989 ins Berufsleben einstieg. Gerade bei den älteren Generationen könne es zudem sein, dass die Aufstiegsmobilität der Frauen überschätzt wird. Denn eher familiär orientierte Frauen, die keine Karriere anstrebten, sind zu dieser Zeit auf dem Arbeitsmarkt oft gar nicht in Erscheinung getreten und werden daher in den Zahlen auch nicht erfasst. 

Trotz kleinerer Unterschiede zwischen den Generationen und verschiedenen Bevölkerungsgruppen bestätige die Studie mit ihrer neuen Analysemethode frühere Ergebnisse im Wesentlichen, schreibt Nico Stawarz. Auch aus den vorliegenden Zahlen gehe hervor, dass sich der deutsche Arbeitsmarkt und die soziale Mobilität in dem untersuchten Zeitraum von 1932 bis 2009 nicht extrem verändert habe, sondern weitgehend stabil geblieben sei.

Literatur

  • Stawarz, N.: Soziale Mobilität in Deutschland revisited: die Entwicklung der Karrieremobilität in den letzten 80 Jahren. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 67(2015)2, 269-291.
    DOI: 10.1007/s11577-015-0308-7
  • Stawarz, N.: Patterns of intragenerational social mobility: an analysis of heterogeneity of occupational careers. Advances in Life Course Research 38(2018), 1-11.
    DOI: 10.1016/j.alcr.2018.10.006

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Aus Ausgabe 2019/1

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