Bei vielen beginnt es mit einem scheinbar harmlosen Schmerzmittel. Doch opioidhaltige Arzneimittel lindern nicht nur Schmerzen, sie können auch rauschartig wirken und abhängig machen. Genau das ist in den USA bei vielen Patienten passiert, denen die entsprechenden Medikamente oft jahrzehntelang und mitunter leichtfertig von ihren Ärzten verschrieben wurden. In der Folge nahm die Zahl der Drogensüchtigen und Drogentoten in den USA zuletzt drastisch zu. Torsten Sauer, Marcus Ebeling und Roland Rau vom Rostocker Zentrum zur Erforschung des Demografischen Wandels zeigen in einer Analyse, welche Generationen von der Opioid-Epidemie besonders betroffen sind und wie sich die Krise über die Zeit entwickelt hat.
Um zu sehen, ob die Opioid-Epidemie vorwiegend bestimmten Generationen oder Jahren zugeordnet werden kann, haben die drei Wissenschaftler die Sterberaten von 15-bis 75-Jährigen in der Zeit von 1999 bis 2016 untersucht (s. Abb.1). In dem so genannten Lexis-Diagramm lässt sich besonders gut erkennen, ob die Sterberaten eher in einzelnen Kalenderjahren ansteigen (vertikale Linie), ob bestimmte Altersstufen (horizontale Linie) oder eher Generationen (diagonale Linie von links unten nach rechts oben) betroffen sind.
Sterberaten aufgrund einer Überdosis Drogen/Medikamente
Abb. 1: Die Abbildung zeigt, in welchem Alter und in welchen Geburtsjahrgängen es besonders viele Sterbefälle aufgrund einer Überdosis an Drogen gegeben hat. Senkrechte dunkle Streifen deuten darauf hin, dass es in bestimmten Kalenderjahren besonders viele Sterbefälle gegeben hat. Diagonale Linien zeigen, dass bestimmte Geburtenjahrgänge besonders betroffen waren. Quelle: National Center for Health Statistics, Human Mortality Database, US Census Bureau, eigene Berechnungen
Dass Letzteres der Fall ist, zeigen die schrägen dunklen Bereiche im Diagramm: Die späten Babyboomer, die zwischen 1956 und 1966 geboren wurden, verzeichnen besonders hohe Zunahmen der Sterberaten sowie auch die ersten männlichen Millennials, die im Zeitraum von 1979 bis 1989 zur Welt kamen. Weil damit im Prinzip vor allem die Babyboomer und ihre Kinder betroffen sind, werfen die drei Demografen die Frage auf, ob eventuell das gesundheitsschädigende Verhalten der Elterngeneration an die Kinder weitergegeben wird.
Neben diesen Generationseffekten lässt sich anhand des Diagramms aber auch ein klarer kalendarischer Höhepunkt ausmachen: Die durchgehende dunkle vertikale Linie bei den Männern deutet darauf hin, dass in den Jahren 2015 und noch deutlicher im Jahr 2016 die Drogen-Sterblichkeit stark angestiegen ist. Von den 20-Jährigen bis zu den 65-Jährigen verzeichnen alle Altersklassen eine teils drastisch erhöhte Sterberate aufgrund einer Überdosierung von Drogen.
Dass der Anstieg der Drogen-Sterblichkeit auch die Hauptursache für den Rückgang der Lebenserwartung in den USA ist, können Torsten Sauer und seine Kollegen zeigen, indem sie den Anteil der verschiedenen Todesursachen am Rückgang berechnen (s. Abb. 2). Dabei zeigt sich, dass die Drogensterblichkeit bei den 20- bis 60-Jährigen den größten negativen Effekt hat. Und er wäre noch deutlich stärker ins Gewicht gefallen, wenn es nicht zeitgleich gute Erfolge bei der Bekämpfung von Krebs und Atemwegserkrankungen gegeben hätte, die einem stärkeren Absinken der durchschnittlichen Lebenserwartung entgegenwirkten.
Abb. 2: Eine Analyse der Todesursachen macht deutlich: Der Rückgang bei der Lebenserwartung ist vor allem bei den Männern zwischen 20 und 60 Jahren hauptsächlich auf übermäßigen Drogenkonsum zurückzuführen. Quelle: National Center for Health Statistics, Human Mortality Database, US Census Bureau, eigene Berechnungen
Die drei Demografen vermuten aufgrund ihrer Analyse, dass die Opioid-Krise auch in der näheren Zukunft nicht so schnell abklingen wird. Denn in dem Lexis-Diagramm (Abb.1) nehmen die dunklen Felder mit den Kalenderjahren weiter zu. Auch ganz aktuelle Zahlen bestätigen diese Einschätzung: In der Zeit von 2014 bis 2017 ist die Sterblichkeit aufgrund einer Überdosierung von Drogen jedes Jahr um weitere 16 Prozent gestiegen. Es seien daher weitere Maßnahmen nötig, um die Epidemie zu bekämpfen und das unnötige und vermeidbare Sterben in so jungen Lebensjahren zu stoppen, schreiben Torsten Sauer und seine Kollegen.