ISSN 1613-8856

Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB)

Vermeidbare Todesfälle

2019 | Jahrgang 16 | 4. Quartal

Keywords: Vermeidbare Sterblichkeit, Stadt-Land-Unterschiede, Ost-und Westdeutschland, Dekompositionsanalyse

Autor der wissenschaftlichen Studie: Michael Mühlichen

Fast drei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung ist die Lebenserwartung für Männer im Osten Deutschlands noch immer niedriger als im Westen. Allerdings ist dieser Unterschied zum Teil auf die sehr hohe Lebenserwartung in den südlichen Bundesländern zurückzuführen, die allesamt zu Westdeutschland gehörten. Hier ist die durchschnittliche Lebensdauer nicht nur höher als im Osten, sondern übertrifft auch die im Nordwesten deutlich. Um die unterschiedlichen Verhältnisse in Ost und West besser untersuchen zu können, hat Michael Mühlichen in seiner Studie daher die kulturell und historisch ähnlich geprägten Ostseeanrainer Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern für einen Vergleich herangezogen. 

Der Wissenschaftler des Wiesbadener Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung untersuchte, wie sich die Sterblichkeit bei unter 75-Jährigen in den beiden Bundesländern seit der Wiedervereinigung bis zum Jahr 2011 entwickelt hat. Dabei zeigt sich, dass die Stadtbewohner in Mecklenburg-Vorpommern schon vor der Jahrtausendwende eine ähnlich hohe Lebenserwartung hatten wie Städter in Schleswig-Holstein – bei den Frauen lag sie im Osten bald sogar schon höher als in Schleswig-Holstein. In den ländlichen Regionen aber haben zumindest die Männer in Mecklenburg-Vorpommern eine deutlich höhere Sterblichkeit. 

Interessanterweise fallen die Stadt-Land-Vergleiche in den beiden Bundesländern genau entgegengesetzt aus: Während in Mecklenburg-Vorpommern die Lebenserwartung in den Städten höher ist als auf dem Land, ist es in Schleswig-Holstein genau andersherum. Veränderungen in der Altersstruktur der jeweiligen Bevölkerung – etwa ein Anstieg der Sterbefälle aufgrund einer höheren Anzahl älterer Menschen – wurden dabei stets herausgerechnet. 

Abb.1: Vor allem bei Männern aus den ländlichen Regionen Mecklenburg-Vorpommerns ist noch viel Spielraum für Verbesserungen. Quelle: statistische Landesämter, Forschungsdatenzentrum der Statistischen Ämter der Länder, eigene Berechnungen 

Um genauer zu analysieren, worauf die Unterschiede zurückzuführen sind, hat Michael Mühlichen die Daten zu den Sterbefällen mit Angaben zu Todesursachen ergänzt. Dadurch lässt sich genauer feststellen, inwieweit Sterbefälle durch eine bessere medizinische Versorgung – z.B. bei Schlaganfällen – oder durch gesundheitspolitische und präventive Maßnahmen – z.B. zur Bekämpfung von Alkoholmissbrauch oder Tabakkonsum – vermeidbar gewesen wären. Um zu geringe Fallzahlen in bestimmten Gruppen zu vermeiden, wurden für jedes Jahr auch die Werte in den zwei vorangehenden und nachfolgenden Jahren berücksichtigt. Daher erstreckt sich der Analysezeitraum nur von 1992 bis 2009. Auch hier sind es vor allem die Männer in den ländlichen Regionen Mecklenburg-Vorpommerns, die – trotz eines starken Rückgangs – noch immer höhere Sterberaten verzeichnen als die übrigen Bevölkerungsgruppen, sowohl bei der medizinisch als auch bei der präventiv vermeidbaren Sterblichkeit (s. Abbildung). Diese Ergebnisse weisen auf eine schlechtere medizinische Versorgung in den dünn besiedelten Regionen und riskantere Verhaltensmuster in Bezug auf Tabak- und Alkoholkonsum bei den Männern im Osten hin, die durch sozioökonomische Nachteile wie ein geringes Einkommen und Arbeitslosigkeit sowie selektive Migration – also die Abwanderung junger, gesunder, gebildeter Menschen – verstärkt werden können. Mühlichen nennt mehrere Beispiele, wie man diesen Entwicklungen entgegensteuern könnte: indem zum Beispiel die Erreichbarkeit medizinischer Versorgung in dünn besiedelten Gebieten ausgebaut, die Bildung und Erwerbschancen der Männer im Osten verbessert und die Maßnahmen zur Prävention erweitert werden. Letzteres gilt im Übrigen auch für Stadtbewohnerinnen in Schleswig-Holstein. Sie schneiden bei der präventiv vermeidbaren Sterblichkeit deutlich schlechter ab als die drei anderen Frauengruppen – hauptsächlich weil der Anteil der Raucherinnen unter ihnen besonders hoch ist. 

Literatur

  • Mühlichen, M.: Avoidable mortality in the German Baltic Sea region since reunification: convergence or persistent disparities? European Journal of Population 35(2019)3, 609-637.
    DOI: 10.1007/s10680-018-9496-y

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Aus Ausgabe 2019/4

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