Vienna Institute of Demography

Wie Umweltveränderungen die Migration beeinflussen

2021 | Jahrgang 18 | 3. Quartal

Keywords: Klimamigration, Klimawandel, Meta-Analyse

Mitautor der wissenschaftlichen Studie: Roman Hoffmann

Verbrannte Häuser, vertrocknete Felder oder weggespülte Straßen: Der Einfluss des Klimawandels auf das Leben und die Lebensgrundlagen vieler Menschen wird immer deutlicher. Dass dadurch auch neue Wanderungsbewegungen entstehen, „Klimaflüchtlinge“ zahlreicher werden könnten, ist allenthalben zu lesen. Die Weltbank etwa schätzt, dass bis zum Jahr 2050 bis zu 143 Millionen Menschen vor klimatischen Veränderungen flüchten könnten. Dabei ist die Entscheidung, das eigene Zuhause zu verlassen, immer eine Abwägung zwischen den Vorteilen, die ein neuer Ort oder ein neues Land bieten könnten, und den ökonomischen sowie sozialen Kosten einer Migration. Prognosen oder Modelle, die aufzeigen, wie stark bestimmte Umweltveränderungen die Migration beeinflussen und welche Länder und Regionen besonders betroffen sein könnten, gibt es nur wenige. 

Roman Hoffmann , Anna Dimitrova und Jesus Crespo Cuaresma vom Vienna Institute of Demography sowie Raya Muttarak und Jonas Peisker vom International Institute for Applied Systems Analysis (IIASA) in Wien haben daher eine Metastudie verfasst, die 30 wissenschaftliche Artikel zu dem Thema auswertet und Hotspots der Umweltmigration identifiziert (s. Abb. 1). Die meisten Einzelstudien messen graduelle Änderungen der Temperatur oder des Niederschlags. Deutlich weniger nehmen auch Extrem-Ereignisse wie Stürme, Erdrutsche oder Fluten in den Blick.

Geschätzter Effekt von Umweltveränderungen auf die Migration

Geschätzter Effekt von Umweltveränderungen auf die Migration

Abb. 1: In Lateinamerika, Subsahara-Afrika und in großen Teilen Asiens könnte die Zahl der Klimaflüchtlinge zukünftig deutlich ansteigen. Quelle: Hoffmann et al. (2020)

Insgesamt kommen fast alle untersuchten Studien (27) zu dem Ergebnis, dass Umweltveränderungen die Migration beeinflussen. Im Durchschnitt führt eine Umweltveränderung von einer Standardabweichung zu einem Anstieg der Migration um 0,021 Standardabweichungen. Wenn etwa die Jahresdurchschnittstemperatur in einem Land bei zehn Grad liegt und die gemessenen Jahreswerte dabei im Schnitt um etwa 1,5 Grad nach oben oder unten variieren, dann liegt die Standardabweichung bei 1,5 Grad. Genauso wird die Veränderung der Migration gemessen. 

Im Ergebnis sieht die überwiegende Mehrzahl der Studien einen signifikanten Anstieg der Migration durch Umweltveränderungen, knapp sechs Prozent aber registrierten auch einen signifikanten Rückgang. Um herauszufinden, wie es zu diesen Unterschieden kommt, haben die Wiener Wissenschaftler*innen die insgesamt gut 1800 gemessenen Effekte in den Einzelstudien weiter analysiert. Wie stark und in welcher Weise sich Umweltveränderungen auswirken, hängt demnach nicht nur davon ab, welcher Art die Umweltveränderungen sind, sondern auch von den Eigenschaften der Länder: von ihrem Pro-Kopf-Einkommen, von ihrer geographischen Lage, ihrer Ökonomie sowie kulturellen und soziopolitischen Faktoren (vgl. Abb. 2). Gerade die geographische Abhängigkeit von der landwirtschaftlichen Produktion und das Einkommen eines Landes haben einen starken Einfluss darauf, wie sich Umweltveränderungen auf die Migrationsbewegungen auswirken. 

Effekt auf die Migration in Ländern mit ...

Effekt auf die Migration in Ländern mit ...

Abb. 2: Studien, in denen viele Länder mit mittlerem Einkommen oder hoher landwirtschaftlicher Abhängigkeit vertreten waren, fanden einen besonders großen Effekt auf die Migration. Quelle: Hoffmann et al. (2020)

Wie stark sich die Änderung der Umweltbedingungen auf die Migration auswirkt, hängt dabei auch von der Art der Umweltveränderung ab. So haben etwa Änderungen in der Niederschlagsmenge eher geringe Auswirkungen, vermutlich weil sich hier positive und negative Änderungen gegenseitig aufheben. Veränderungen aber in der Variabilität und Anomalien – wenn es also plötzlich kaum oder umgekehrt sehr viele Niederschläge gibt – haben schon einen stärkeren Einfluss. Auch Extremereignisse wie Fluten und Stürme oder deutliche Veränderungen der Temperatur führen dazu, dass Menschen ihr Zuhause verlassen. 

Beispielhaft ist hier etwa die Region Nordafrika, in der die Trockenheit zugenommen hat und zeitgleich die Zahl der Emigrant*innen gestiegen ist (s. Abb. 3). Und in Südasien zeigt sich eine weitgehend parallele Zunahme von Temperaturanomalien und Migrationsströmen in andere Länder. 

Mögliche Korrelationen von Klimaveränderungen und Migrationszahlen

Mögliche Korrelationen von Klimaveränderungen und Migrationszahlen

Abb. 3: Zusammenhänge zwischen Umweltveränderungen und Migration in verschiedenen Teilen der Welt. Die roten Linien zeigen die Veränderungen in den Umweltbedingungen (Trockenheit/Dürren, Niederschlag, Temperatur) und die dunkelgrauen Balken Veränderungen in der Migration. Quelle: Hoffmann et al. (2020)

Betrachtet man dabei Migrationsbewegungen innerhalb eines Landes sind die Effekte stärker als bei internationaler Migration. Hier ist es vor allem die Bewegung vom oft agrarisch geprägten Land in die Städte, die durch Umweltveränderungen ausgelöst oder verstärkt wird. Verlassen Menschen dennoch ihr Land, dann stammen sie meist aus Ländern mit mittlerem Einkommen. Auch in Ländern, die nicht der OECD angehören oder die stark vom Agrarsektor abhängen, können Umweltveränderungen schneller zu Abwanderung führen, zeigt die Auswertung der Einzelstudien (s. Abb. 2). In Ländern mit sehr niedrigem Einkommen aber sind die gemessenen Effekte deutlich geringer. Zurückzuführen ist das vermutlich darauf, dass den Menschen die finanziellen Mittel fehlen, um ihren Ort oder ihr Land zu verlassen. 

Auf der Grundlage der aus der Metastudie gewonnenen Zusammenhänge werfen die Forscher*innen darüber hinaus einen Blick in die Zukunft: Wo auf der Welt könnten sich Hotspots der Umweltmigration entwickeln? Mit Hilfe eines Datensatzes zu 221 Ländern, in dem die jeweiligen Umweltveränderungen von 1960 bis 2000 sowie die wirtschaftlichen und soziopolitischen Merkmale der Länder im Jahr 2000 erfasst sind, konnten sie eine Karte mit den erwarteten Effekten erstellen (s. Abb. 1). 

Demnach sind vor allem Länder in Lateinamerika und der Karibik, in der Sahelzone und Ostafrika, in West- und Südasien sowie in Teilen Südostasiens von Umweltmigration betroffen. Ursächlich dafür sind zum einen die vielfältigen Umweltgefahren in diesen Regionen sowie ein ausreichend hohes Einkommensniveau zur Finanzierung der Abwanderung. Auch eine starke Abhängigkeit von der Landwirtschaft macht diese Länder oft anfälliger für Umweltveränderungen und treibt die Zahl der flüchtenden Menschen in die Höhe. 

Neben diesen Einblicken in mögliche Hotspots der Umweltmigration sowie in die Zusammenhänge zwischen Umweltveränderungen, Ländercharakteristika und Abwanderung, zeigt die Studie auch neue methodische Ansätze auf. Um die Metastudie erstellen zu können, mussten die in den Einzelstudien gemessenen Effekte harmonisiert und vergleichbar gemacht werden. Dadurch konnten die Autor*innen eine Synthese von Methoden und Messungen vorstellen, die auch als Anleitung für zukünftige Untersuchungen genutzt werden kann.

Literatur

  • Hoffmann, R., A. Dimitrova, R. Muttarak, J. C. Cuaresma and J. Peisker: A meta-analysis of country-level studies on environmental change and migration. Nature Climate Change 10(2020)10, 904–912.
    DOI: 10.1038/s41558-020-0898-6

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Aus Ausgabe 2021/3

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