Temporäre Beschäftigungsformen, wie Befristung oder Zeitarbeit, sind ein Charakteristikum westlicher Arbeitsmärkte. Im Durchschnitt haben über alle 27 EU-Mitgliedsstaaten hinweg fast elf Prozent der abhängig Beschäftigten temporäre Jobs. Sowohl das Fehlen eines unbefristeten Vertrags als auch lange Pendelwege wirken sich negativ für die Beschäftigten aus. Studien haben beispielsweise gezeigt, dass längere Arbeitswege mit mehr Stress, geringerem Wohlbefinden und einer geringeren Arbeitszufriedenheit einhergehen. Diese Faktoren spielen Studien zufolge für die Menschen eine so wichtige Rolle, dass sie für einen kürzeren Arbeitsweg auch finanzielle Einbußen in Kauf nehmen würden.
Ob Menschen tatsächlich bereit sind, längere Arbeitswege in Kauf zu nehmen, hängt von einer Vielzahl an Faktoren ab. So spielen Geschlecht, Kinder, Wohnregion, ob jemand in Teilzeit arbeitet oder eine*n Partner*in hat, eine Rolle (s. Abb. 1). Darüber hinaus scheint die Art der Arbeitsverträge entscheidend zu sein. Für temporär Beschäftigte lohnt es sich aufgrund der unsicheren und kurzfristigeren Beschäftigungsperspektive weniger, für einen neuen Job umzuziehen, sodass bei ihnen von längeren Pendelwegen auszugehen ist. Gut erforscht sind diese Zusammenhänge aber bisher noch nicht, eine Lücke, die nun ein Team aus Forscher*innen rund um Inga Laß vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung ein Stück weit geschlossen hat.
Faktoren, die die Länge des Arbeitsweges beeinflussen
Abb. 1: Die Länge des Arbeitsweges hängt von vielen Faktoren ab. Ein entscheidender Faktor ist die Art des Arbeitsvertrages.
Für ihre Studie verglichen die Forscher*innen Daten aus Deutschland und Australien. Die Daten für Deutschland lieferte das Sozio-oekonomische Panel (SOEP), die für Australien der Household, Income and Labour Dynamics in Australia Survey (HILDA Survey). Die verwendete Stichprobe beschränkte sich auf Erwerbstätige im Alter zwischen 18 und 64 Jahren. Daraus ergab sich eine Stichprobe von 44.806 Erwerbstätigen im SOEP und 22.158 Erwerbstätigen im HILDA Survey. Das Besondere an der Studie sind die angewandten längsschnittlichen Analysemethoden.
Bei Längsschnittanalysen werden Daten zu den einzelnen Personen nicht nur zu einem einzigen Messzeitpunkt, sondern über einen längeren Zeitraum erfasst. So war es möglich, den kausalen Effekt der Beschäftigungsform auf die Länge des Pendelweges genauer zu bestimmen. Um sich ein detaillierteres Bild machen zu können, schauten die Autor*innen sich zudem nicht nur die Unterschiede zwischen unbefristeter und temporärer Anstellung allgemein an, sondern unterschieden bei den temporären Arbeitsverträgen auch noch zwischen drei Kategorien: befristete Verträge, Zeitarbeit und – für Australien – Gelegenheitsarbeit.
Die Wissenschaftler*innen fanden heraus, dass in Deutschland alle Formen temporärer Beschäftigung mit längeren Arbeitswegen einhergehen. Anders in Australien: Hier ist nur die Zeitarbeit mit längeren Pendelzeiten verbunden; die Pendelzeiten bei den anderen temporären Beschäftigungsformen ähneln denen von Personen mit unbefristeter Festanstellung. Hierfür haben die Forscher*innen folgende mögliche Erklärung: In Australien können befristete Verträge längere Laufzeiten haben als in Deutschland und sind daher möglicherweise mit einer größeren wahrgenommenen Arbeitsplatzsicherheit verbunden, was wiederum dazu führen könnte, dass australische Arbeitnehmer*innen mit befristeten Verträgen eher dazu neigen, näher an ihren Arbeitsplatz zu ziehen. Zu längeren Arbeitswegen führt in beiden Ländern vor allem die Zeitarbeit. Menschen mit einem Zeitarbeitsvertrag haben im Schnitt fünf bis 17 Prozent längere Arbeitswege. Dieser starke Zusammenhang ließe sich dadurch erklären, so die Forscher*innen, dass Zeitarbeitende einer besonders hohen Arbeitsplatzunsicherheit und häufig wechselnden Arbeitsorten ausgesetzt sind, sodass ein Umzug näher an den Arbeitsplatz in den meisten Fällen nicht praktikabel sei. Bei befristeten Verträgen ist der Unterschied in der Länge des Pendelns zur Dauerbeschäftigung geringer als bei der Zeitarbeit: In Australien gibt es keinen Unterschied, in Deutschland müssen befristet beschäftigte Männer im Durchschnitt sechs Prozent und Frauen knapp vier Prozent mehr Strecke zur Arbeit zurücklegen. Die kürzesten Arbeitswege haben australische Gelegenheitsjobber, was damit zusammenhängen könnte, dass Gelegenheitsjobs häufig nicht attraktiv genug sind, um dafür lange Arbeitswege in Kauf zu nehmen. Außerdem sind Gelegenheitsjobs häufig eher in der näheren Umgebung verfügbar.
Insgesamt deuten die Ergebnisse der Studie darauf hin, dass es keinen allgemeinen Effekt temporärer Beschäftigung auf die Länge des Arbeitsweges gibt. Vielmehr variiert der Zusammenhang erheblich je nach Beschäftigungsart und Länderkontext. Ein besonderes Augenmerk gelte jedoch den Zeitarbeitenden, so die Autor*innen. Temporäre Arbeitsverträge sind im Schnitt schlechter bezahlt und die Arbeitsplätze weniger sicher. Wenn sie dazu noch längere Arbeitswege in Kauf nehmen müssten, kumulierten sich bei diesen Arbeitnehmer*innen die Nachteile des Jobs, wie erhöhter Stress und vermindertes Wohlbefinden, neben der ohnehin schon schlechteren Bezahlung.