Vienna Institute of Demography

Ernteeinbrüche in den ärmsten Regionen der Welt

2024 | Jahrgang 21 | 1. Quartal

Keywords: Klimawandel, Exponierte Bevölkerungsgruppen, Gefährdete Bevölkerungsgruppen, Projektionen

WISSENSCHAFTLICHE ANSPRECHPARTNERIN: Anne Goujon

Der Klimawandel verändert die Ernährungssituation sehr vieler Menschen weltweit. Unterdurchschnittliche Niederschläge, tropische Stürme und anhaltende Dürre beeinträchtigen den Anbau von Lebensmitteln immens, sorgen für Ernteausfälle und Vertreibung großer Teile der Landbevölkerung, wodurch der Zugang zu Nahrungsmitteln für weite Teile der Bevölkerung erschwert wird. Diese Extremwetterereignisse sind nicht gleich verteilt. Studien haben gezeigt, dass die Bevölkerung in Afrika am meisten davon betroffen ist. Und genau diese Bevölkerung ist außerdem in einem hohen Maße wirtschaftlich abhängig von der Landwirtschaft, insbesondere in tropischen und subtropischen Regionen, wo schnell wachsende Bevölkerungsgruppen leben. Studien legen nahe, dass eben solche wachsenden Bevölkerungsgruppen, die von Armut und wiederkehrenden Extremwetterereignissen betroffen sind, sich möglicherweise schlechter an die veränderten Bedingungen anpassen können als andere Bevölkerungsgruppen. 

Was ist der repräsentative Konzentrationspfad?

Abb. 1: Der Begriff „repräsentative Konzentrationspfade“ (representative concentration pathway, RCP) wird seit dem Fünften Sachstandsbericht des Weltklimarates, der 2014 veröffentlicht wurde, verwendet. Mit ihm werden vier unterschiedliche Szenarien für die Entwicklung der absoluten Treibhausgas konzentration in der Atmosphäre beschrieben. Die Expert*innen entschieden sich für diesen gemeinsamen Satz an Szenarien, um die verschiedenen Studien besser vergleichen zu können und um die Kommunikation von Modellergebnissen zu vereinfachen. RCP 2.6 entspricht einem Szenario mit deutlichen Anstrengungen beim Klimaschutz, die auch Anstrengungen im Bereich negativer Emissionen einschließen; RCP 8.5 entspricht einem „Weiter-so-wie-bisher-Szenario“. In der vorgestellten Studie wurden Vergleiche gezogen zwischen RCP 2.6, was einem Temperaturanstieg von 2 Grad Celsius bis zum Ende des Jahrhunderts entspricht, und RCP 6.0, was einem Temperaturanstieg von circa 3,5 Grad bis Ende des Jahrhunderts entspricht. Quelle: Fünfter Sachstandsbericht des Weltklimarats, Wikipedia.

Ein Forschungsteam, zu dem auch Anne Goujon vom Wittgenstein Centre (IIASA, OeAW, Universität Wien) gehört, hat nun für verschiedene Regionen der Erde untersucht, wie stark die dort lebende Bevölkerung von den Ernteeinbrüchen betroffen sein wird. Als Maßstab nehmen die Wissenschaftler*innen den Anteil der Bevölkerung, der von einem Rückgang der landwirtschaftlichen Erträge um 20 Prozent betroffen sein wird. Für ihre Untersuchung, die in der Fachzeitschrift „Population and Environment“ publiziert wurde, nutzten die Wissenschaftler*innen zwei Szenarien der sogenannten „repräsentativen Konzentrationspfade“ (representative concentration pathways, RCPs), die jeweils mögliche Entwicklungen der Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre bis Ende des Jahrhunderts beschreiben. (Die Szenarien sind in Abb. 1 erklärt.) Das eine Szenario (RCP 2.6) beschreibt einen optimistischen Weg der Reduktion der Treibhausgase und damit verbunden einer Reduktion der globalen Erwärmung um unter 2 Grad Celsius, womit das Ziel, auf das sich die Unterzeichnerstaaten im Pariser Abkommen zur Reduktion von Treibhausgasen geeinigt haben, erreicht wäre. Dem gegenüber stellen die Forscher*innen ein realistischeres Szenario (RCP 6.0), das einer globalen Erwärmung von 3,5 Grad Celsius entspricht. Diese beiden Szenarien haben die Wissenschaftler*innen dann mit weiteren Szenarien, den sogenannten „gemeinsam genutzten sozioökonomischen Pfaden“ (shared socioeconomic pathways, SSPs) verschränkt. Die SSPs sind fünf Narrative, die unterschiedliche Entwicklungen unserer Gesellschaft bis zum Jahr 2100 beschreiben (siehe Abb. 3). Szenario „SSP1: Nachhaltigkeit“ beschreibt zum Beispiel die bestmögliche Entwicklung ausgehend von der aktuellen Situation. Das Szenario „SSP2: Mittlerer Weg“ beschreibt ein Grundszenario, das von der Fortsetzung historischer Trends ausgeht. Der Zustand der Ökosysteme verschlechtert sich weiter, während die Intensität des Ressourcen- und Energieverbrauchs jedoch insgesamt abnimmt. Im Szenario „SSP3: Regionale Rivalitäten“ wird eine langsame wirtschaftliche Entwicklung erwartet, die durch wachsende Ungleichheit, zunehmenden Nationalismus und schwache Institutionen weltweit gekennzeichnet ist. Die Forscher*innen untersuchten, welche Auswirkungen die verschiedenen Kombinationen aus RCPs und SSPs auf die landwirtschaftlichen Erträge in unterschiedlichen Regionen der Welt haben.

Einfluss des Klimawandels auf die landwirtschaftlichen Erträge in verschiedenen Regionen Afrikas

Abb. 2: Anteil der Bevölkerung, der von einem Rückgang der Produktivität von Nutzpflanzen um 20 Prozent betroffen ist, gemäß SSP3 (regionale Rivalitäten) und RCP-Szenarien in afrikanischen Subregionen 2020–2100. Die europäische Bevölkerung (letzte Spalte) ist im Vergleich wenig betroffen. Quelle: eigene Berechnungen.

Die Wissenschaftler*innen kommen zu dem Ergebnis, dass die Bevölkerungen sehr unterschiedlich vom Klimawandel betroffen sein werden. Wenn man alle möglichen klimatischen und sozioökonomischen Szenarien betrachtet, würde in Afrika der Anteil der Bevölkerung, der bis 2100 von einem Rückgang der landwirtschaftlichen Erträge um 20 Prozent betroffen ist, am größten sein (unter An-nahme von RCP 6.0 und SSP1: 500 Millionen, unter Annahme von RCP 6.0 und SSP3: 1,1 Milliarden Menschen). In absoluten Zahlen allerdings leben die meisten Menschen, die von diesem Rückgang betroffenen sind, in Asien (unter Annahme von SSP1: 747 Millionen, unter Annahme von SSP3: 1,7 Milliarden Menschen). Die Ergebnisse stehen im Einklang mit früheren Analysen zur Ernährungsunsicherheit und zeigen auf, dass die afrikanische Bevölkerung am stärksten vom Klimawandel betroffen sein wird. Obwohl Getreideproduktion und Bevölkerungen über einen Zeitraum von mehr als 50 Jahren in etwa im gleichen Maße gewachsen sind, tragen die Auswirkungen der veränderten klimatischen Bedingungen seit 2017 zu einer erhöhten Ernährungsunsicherheit in vielen afrikanischen Ländern bei. Darüber hinaus deuten einige SSP-Szenarien darauf hin, dass die Bevölkerung in Afrika nicht nur den Auswirkungen des Klimawandels stärker ausgesetzt ist, sondern auch, dass sich der Klimawandel aufgrund des hohen Anteils der Bevölkerung mit niedrigem Bildungsniveau und niedrigem Einkommen in ländlichen Gebieten deutlicher auswirkt. Innerhalb von Afrika gibt es aber noch große Unterschiede, je nachdem, welches Szenario angenommen wird. Vor allem unter Annahme der Szenarien RCP 6.0 und SSP3 (regionale Rivalitäten) wird der Klimawandel insbesondere die westafrikanischen Bevölkerungen besonders hart treffen (siehe Abb. 2). Langfristig gesehen deuten die Ergebnisse der Forscher*innen darauf hin, dass bis zum Ende des Jahrhunderts unter Annahme dieses pessimistischen und extremen Szenarios bis zu 48 Prozent der Gesamtbevölkerung Westafrikas – das entspricht etwa 728 Millionen Menschen – von Rückgängen der landwirtschaftlichen Erträge um mehr als 20 Prozent betroffen wären. In Ostafrika hingegen wären die Auswirkungen am schlimmsten, wenn das SSP4-Szenario (Ungleichheit) eintreffen würde. Unter Annahme des SSP3-Szenarios (regionale Rivalitäten) könnte die hohe Vulnerabilität der Bevölkerung in einigen Teilen der Welt durch das Wiederaufleben des Nationalismus verschärft werden. 

Abb. 3: Die SSPs sind Szenarien der projizierten sozioökonomischen globalen Veränderungen bis zum Jahr 2100. Sie liefern Narrative, die unterschiedliche sozioökonomische Entwicklungen beschreiben. Quellen: IPCC, Deutsches Klimarechenzentrum.

Angesichts der großen Zahl gefährdeter Bevölkerungsgruppen müssten die Bedürfnisse derjenigen berücksichtigt werden, die vom Klimawandel extrem betroffen wären, schreiben die Wissenschaftler*innen. Verringerung von Armut und gute Bildung seien maßgebliche Faktoren, die dazu beitragen könnten, dass sich die betroffenen Bevölkerungen besser an die geänderten Bedingungen anpassen können. Außerdem müsse man die Menschen dabei unterstützen, ihre Landwirtschaft dem Klimawandel anzupassen und ihre Wirtschaft auf andere Sektoren auszuweiten, die weniger anfällig für sich ändernde Umweltbedingungen sind.

Literatur

  • Ghio, D., A. Goujon, F. Natale, A. Alessandrini and T. Petroliagkis: Assessing populations exposed to climate change: a focus on Africa in a global context. Population and Environment 45(2023)4, 1–22.
    DOI: 10.1007/s11111-023-00439-y

Aus Ausgabe 2024/1

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