Im Jahr 2012 beschloss die damalige Bundesregierung die Demografiestrategie „Jedes Alter zählt“. 2015 wurde diese weiterentwickelt und seitdem als zukunftsoffene Strategie ressort- und ebenenübergreifend umgesetzt. Doch mehr denn je ist heute der demografische Wandel eine Herausforderung für unser Land: Die Fachkräfte fehlen, das Erwerbspersonenpotenzial nimmt weiter ab und immer wieder wird diskutiert, wie die sozialen Sicherungssysteme im Umlageverfahren künftig finanziert werden können – alles zentrale Themen für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands. Es gibt auf diese Herausforderungen bereits heute Antworten, die vielfach auf zahlreichen wissenschaftlichen Analysen aufbauen. Erschöpfend sind die Antworten allerdings noch nicht. Hinzu kommt, dass sich die Bevölkerung verändert hat – immer wieder auch unerwartet und nicht voraussehbar. Die Corona-Pandemie und der russische Angriffskrieg auf die Ukraine sind prominente Beispiele. Sie konnten bei der Entwicklung der Demografiestrategie 2012 noch nicht mitgedacht werden, beeinflussen aber die Bevölkerung in Deutschland – und zwar nicht nur ihre Größe, sondern auch ihr Wohlbefinden. Und dieses Wohlbefinden wiederum hat Auswirkungen auf viele weitere demografische Ereignisse, etwa die Umsetzung von Kinderwünschen, Auswanderung und die Lebenserwartung. Die Demografiestrategie sollte von der nächsten Bundesregierung also weiterhin angepasst und weiterentwickelt werden. Dazu ist demografische Forschung aus erster Hand im wahrsten Sinne des Wortes notwendig. Die Politik muss evidenzbasiert beraten werden, wie sich alle Potenziale aktivieren und weiterentwickeln lassen und wie sich neue politische Maßnahmen auf die Struktur und Zusammensetzung der Bevölkerung auswirken. Dazu haben alle Ressorts einen Beratungsbedarf, denn der demografische Wandel betrifft alle Bereiche und alle Ebenen: von der Nachbarschaft und der Gemeinde über das Land bis zur EU-Ebene. Neben allen anderen Krisen wie dem Klimawandel und kriegerischen Auseinandersetzungen ist der demografische Wandel ein Thema, das exzellente Forschung und Beratung erfordert. Wenn sich dieser Gedanke im nächsten Koalitionsvertrag wiederfindet, ist das ein erster wichtiger Schritt, um die damit verbundenen Herausforderungen anzugehen.
C. Katharina Spieß
ist Direktorin des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB). Sie ist Professorin für Bevölkerungsökonomie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Ihr Forschungsschwerpunkt ist Familien- und Bildungsökonomie.