ISSN 1613-8856

Rostocker Zentrum zur Erforschung des Demografischen Wandels

Migration und Lebenserwartung

2025 | Jahrgang 22 | 1. Quartal

Keywords: Binnenmigration, Lebenserwartung, Niederlande, Registerdaten, Sterbeursachen, Zerlegungsanalyse

Wissenschaftlicher Ansprechpartner: Maximilian Frentz-Göllnitz

Man weiß aus verschiedenen Studien, dass Migrant*innen in Europa eine geringere Sterblichkeit aufweisen als Nicht-Migrant*innen. Es gibt verschiedene Hypothesen, mit denen sich dieser Unterschied möglicherweise erklären lässt: Da gibt es zum einen die Selektions-Hypothese, bei der man annimmt, dass nur bestimmte Gruppen von Menschen, nämlich die sozioökonomisch besser gestellten, migrieren. Eine andere Hypothese besagt, dass es einen kausalen Zusammenhang zwischen der Migration und der Gesundheit gibt. Der Unterschied könnte zum Beispiel daher rühren, dass sich Migrant*innen an das (bessere) Gesundheitsverhalten ihrer neuen Gemeinschaft anpassen. Die dritte Hypothese lautet, dass einfach Datenartefakte ursächlich für den Unterschied sind. 

Ursachen für die Benachteiligung von Binnenmigrant*innen

Ursachen für die Benachteiligung von Binnenmigrant*innen

Abb. 1: Alters- und ursachenspezifische Beiträge zur Benachteiligung von Binnenmigrant*innen bei der Lebenserwartung im Alter 10 + nach Geschlecht. Quelle: Statistics Netherlands, eigene Berechnungen der Studienautor*innen

Bisher hat sich die Gesundheitsforschung auf die internationale Migration fokussiert. Deutlich weniger wurde zu sogenannten Binnenmigrant*innen geforscht, also Menschen, die innerhalb eines Landes umziehen. Und bei der Binnenmigration wurde bisher kaum untersucht, welche Todesursache wie mit Gesundheit zusammenhängt. Diese Forschungslücke hat nun ein Team um Maximilian Frentz-Göllnitz vom Rostocker Zentrum zur Erforschung des Demografischen Wandels ein Stück weit geschlossen. Für ihre Studie haben die Forscher*innen Daten des Statistikamts der Niederlande genutzt und sich für den Untersuchungszeitraum 2015 bis 2019 angeschaut, ob eine Person mindestens einmal zwischen den 40 niederländischen COROP-Regionen (eine Einteilung des Landes für statistische Zwecke) umgezogen ist. Sie verglichen dann die Lebenserwartung dieser Binnenmigrant*innen mit der Lebenserwartung von Menschen, die nicht umgezogen sind. In ihre Analyse bezogen sie außerdem die Todesursachen, das Alter und das Geschlecht mit ein. 

Die Ergebnisse sind auf den ersten Blick überraschend, da sie im Gegensatz zu den Ergebnissen von Forschungen über internationale Migration stehen. Insgesamt haben nämlich Menschen, die innerhalb der Niederlande umgezogen sind, im Schnitt eine deutlich niedrigere Lebenserwartung als diejenigen, die nicht umgezogen sind. Zwar übertraf die Sterblichkeit der Binnenmigrant*innen in den meisten Altersgruppen die Sterblichkeit der Bleibenden, aber vor allem im hohen Alter zeigten sich große Unterschiede. So ist die durchschnittliche Lebenserwartung bei Migranten 2,5 Jahre niedriger als bei Männern, die nicht umgezogen sind (siehe Abb. 1). Bei den Frauen war der Unterschied sogar noch größer: Die Binnenmigrantinnen haben eine Lebenserwartung, die 3,5 Jahre niedriger ist als die von Frauen, die nicht umziehen. Die Wissenschaftler*innen stellten fest, dass die Anhäufung von Risiken wie lebensstilbedingte und externe Erkrankungen/Todesursachen weniger relevant für den Unterschied in der Lebenserwartung zwischen Migrant*innen und Nicht-Migrant*innen ist. Der Unterschied zwischen beiden Gruppen ließe sich vor allem mit einer erhöhten Sterblichkeit aufgrund von neurodegenerativen Erkrankungen (Demenz, Alzheimer und Parkinson) und Herz-Kreislauf-Erkrankungen erklären, was wiederum besonders die Altersgruppe 75+ sowie Frauen betreffe, so die Forscher*innen. Die Wissenschaftler*innen gehen von einer Selektion beim Faktor „Gesundheit“ aus, also dass genau diejenigen umziehen, die auf Hilfe oder Pflege angewiesen sind und aus diesem Grund zu Verwandten oder ins Pflegeheim übersiedeln. Da dies insbesondere die Frauen betrifft, weist Maximilian Frentz-Göllnitz darauf hin, dass diese älteren Frauen eine vulnerable Gruppe der Gesellschaft sind, auf die man stärker ein Augenmerk richten sollte.

Literatur

  • Frentz-Göllnitz, M., A. Remund, C. Harmsen, L. Stoeldraijer, J. van der Toorn, G. Doblhammer and F. Janssen.: Contributions of causes of death to differentials in life expectancy by internal migrant status in the Netherlands: a population register based study, 2015–2019. SSM – Population Health 27(2024)101690, 1–9.
    DOI: 10.1016/j.ssmph.2024.101690

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Aus Ausgabe 2025/1

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