Da die Lebenserwartung steigt, wächst die Gruppe der hochaltrigen Personen rasch. Doch noch immer ist die absolute Zahl von Personen in den extrem hohen Altersgruppen gering. Daher werden derzeit weltweit Daten gesammelt, um statistisch gesicherte Aussagen zu ermöglichen. In der internationalen Forschungsdatenbank zur Langlebigkeit (International Database on Longevity – IDL –, www.supercentenarians.org) werden diese Daten zusammengeführt. Die Daten aus Deutschland spielen eine wichtige Rolle wegen des großen Bevölkerungsumfanges, des hohen Standards der Dokumentation von Geburtsurkunden und wegen der Anforderungen an den Datenschutz. Seit 1875 ist die standesamtliche Beurkundung von Geburts- und Sterbefällen im Personenstandsgesetz in Deutschland vorgeschrieben, so dass von einer hohen Validität der Altersangaben ausgegangen werden kann.
Um Aussagen zur Sterblichkeit in dem extremen Altersbereich menschlicher Populationen zu treffen, muss die Zuverlässigkeit der Altersangaben überprüft werden. Es hat sich in der Vergangenheit oft herausgestellt, dass bei außergewöhnlich hohen Altersangaben keine nachprüfbaren Belege vorhanden waren und das angegebene Alter nicht zutraf. Zur Erforschung der Langlebigkeit werden in der IDL deshalb nur altersvalidierte, also auf ihre Richtigkeit überprüfte Fälle aufgenommen. Das Max-Planck-Institut für demografische Forschung hat die Altersvalidierung in Deutschland durchgeführt. Diese Studie wurde von dem Datenschutzbeauftragten der Max-Planck-Gesellschaft begleitet.
In Deutschland gibt es kein zentrales Personenregister, sondern dezentral das Melderegister und das Personenstandsregister. Die Namen, Adressen und Geburtsangaben werden in den Meldebehörden geführt und können in einer „Gruppenauskunft“ erfragt werden. Um alle Personen im Alter 105 und älter (Semi-Supercentenarians) zu erfassen, wären Anfragen bei den etwa 13.500 Meldebehörden notwendig. Der Aufwand wäre unvertretbar hoch, zumal in nur weniger als einem Prozent der Meldebehörden Semi-Supercentenarians vorkommen. Daher wurde ein anderes Vorgehen gewählt: Das Bundespräsidialamt erfasst Adressen von Hochaltrigen in Deutschland, da der Bundespräsident zu den Altersjubiläen (100 Jahre und älter) gratuliert. Die Nominierung von Personen zur Gratulation wird von den Meldebehörden organisiert. Das Bundespräsidialamt ist damit die einzige Stelle, die zentral für ganz Deutschland Personeninformationen von Hochaltrigen gesammelt hat. Der Bundespräsident hat den Forschern des Rostocker Max-Planck-Instituts Zugang zu diesen Informationen gewährt.
Mit dieser Studie wurde das Alter von 1487 Personen, die von 1989 bis 2002 ein Gratulationsschreiben zum 105. oder einem höheren Geburtstag erhielten, überprüft. Die Prüfung erfolgte in drei Schritten: 1.Alle Personen von 105 Jahren an wurden nach Angaben des Bundespräsidialamtes erfasst. 2. In den Meldebehörden wurden durch eine „erweiterte Melderegisterauskunft“ Geburtsdatum, -ort, -name und gegebenenfalls Sterbedatum erfragt. 3. Das für den Geburtsort zuständige Standesamt wurde gebeten, die Angaben zum Geburtsdatum zu bestätigen. Wenn die Angaben der Meldebehörde (Melderegister) mit den Angaben des Standesamtes (Personenstandsregister) übereinstimmten, wurde das Alter einer Person als validiert angesehen. Für diese Personen wurden Angaben zu Geschlecht, Geburtsdatum und gegebenenfalls Sterbedatum an die Forschungsdatenbank IDL weitergeleitet.
Abb. 1: Zahl der Personen im Alter 105+ Jahre in Deutschland, nach Validierungsstatus, im Vergleich zur Human Mortality Database, für Frauen und Männer, 1989 bis 2002.
Von den ursprünglich 1487 Personen konnten 970 validiert werden (Tabelle 1). Das Ergebnis belegt Funktionsfähigkeit und Qualität des staatlichen Personenstandswesens in Deutschland. Dieses konnte über zwei Weltkriege, die Nachkriegszeiten, die Ost-West-Teilung, Reformen und technische Neuerungen erhalten werden. Da die Studie nur auf amtliche Dokumente zurückgriff und kein Kontakt mit den hochaltrigen Personen oder deren Angehörigen vorgesehen war, war es schwierig, den Geburtsort zu identifizieren. In der „erweiterten Melderegisterauskunft“ wird zwar der Geburtsort mitgeteilt, nicht aber der Kreis des Geburtsortes. Es gibt viele Ortsnamen, die mehrfach vorkommen; viele Orte sind durch Eingemeindungen verschwunden. Durch die Kriege sind Verfügbarkeit und Vollständigkeit der Archive eingeschränkt. Ein Negativbescheid bei einer Anfrage des Geburtsortes bedeutet nicht zwangsläufig, dass die Altersangabe nicht validierbar ist. In einem Fall mussten 20 Gemeinden mit gleichem Namen (Neustadt) angefragt werden, um zum Erfolg zu kommen.
Elf Personen konnten über die Meldebehörden nicht nachgewiesen werden. Die verbleibenden 1476 Personen verteilten sich auf drei Gruppen: 1067 Personen wurden in den Grenzen des heutigen Deutschland geboren, 107 Personen im Ausland und 302 Personen in ehemaligen deutschen Gebieten. Der letzte Anteil entspricht etwa dem Geburtenanteil in diesen Gebieten im Deutschland des Jahres 1890.
Tab. 1: Ergebnis der Altersvalidierung
Das Standesamt 1 in Berlin ist für die Beurkundung der außerhalb der heutigen Bundesrepublik Geborenen zuständig und hat einen Großteil der Standesamtsunterlagen der ehemaligen deutschen Gebiete archiviert. Jedoch ist durch Kriegseinwirkungen die Datenlage schlechter als in anderen Standesämtern und eine Altersvalidierung weniger Erfolg versprechend. Für keine der im Ausland geborenen Personen konnte das Alter bestätigt werden. Damit wurde bei der Überprüfung des Alters im höchsten Altersbereich in Deutschland für 66 Prozent eine Validierung erreicht.Werden nur die Personen berücksichtigt, die in den Grenzen des heutigen Deutschland geboren wurden, beträgt die Validierungsrate etwa 92 Prozent.
Die Anzahl der Semi-Supercentenarians, die durch Gratulationsschreiben des Bundespräsidenten erfasst wurden, ist in Abbildung 1 auf den Tag genau abgetragen. Zum Vergleich werden davon unabhängige Bevölkerungsschätzungen (Stichtag: 1. Januar) der Forschungsdatenbank Human Mortality Database (HMD, www.mortality.org) gezeigt. Auf die HMD wird zurückgegriffen, da sie Schätzungen der Bevölkerung nach Einzelalter bis ins höchste Alter enthält. Diese Angaben wären in Deutschland sonst nur mit einem Zensus möglich. In Abbildung 1 ist zu erkennen, dass die beiden Quellen gut übereinstimmen. Abweichungen können mit einer Untererfassung bei den Gratulationsschreiben in den weiter zurückliegenden Jahren erklärt werden: das System der Erfassung und der Nominierung von Personen durch die Meldebehörden im Alter 105 und älter wird durch neue Technik verbessert. Bis 1994 erhielten alle Personen, die das 100. Lebensjahr erreichten, einen Gratulationsbrief auch für alle weiteren Geburtstage. Da die Anzahl der 100-Jährigen in Deutschland so stark gestiegen ist, wurde 1995 das Vorgehen geändert: Gratulationsschreiben werden nur zum 100. Geburtstag und vom 105. an zu jedem weiteren Geburtstag verschickt. Dadurch kommt es vorübergehend von 1996 an zu einer Untererfassung. Abbildung 1 zeigt, dass die Trends der Steigerung nicht durch die Zunahme von Personen mit nicht validierter Altersangabe erzeugt werden. Auch ist zu sehen, dass vor allem Frauen den 105. Geburtstag erreichen; nur etwa zehn Prozent der Semi-Supercentenarians sind Männer.
Abb. 2: Zahl der Personen im Alter 105+ Jahre in Deutschland, nach Validierungsstatus, im Vergleich zur Human Mortality Database, für West- und Ostdeutschland, 1989 bis 2000
Abbildung 2 veranschaulicht die Trends für West- und Ostdeutschland. Das System der Gratulationsschreiben wurde mit der Deutschen Einheit auch in Ostdeutschland eingeführt. Ähnlich wie im Westen hat sich die Zahl der Semi-Supercentenarians in den neuen Bundesländern deutlich erhöht.