Mehr als die Hälfte der Geschlechterunterschiede in der gesamten Lebenserwartung wird seit den 1970er-Jahren von der Altersgruppe der 60- bis 80-Jährigen verursacht. Die Studie der Universität Rostock und des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung Rostock konzentriert sich daher auf Personen im Alter von 60 bis 80 Jahren in Deutschland. Datengrundlage ist der Lebenserwartungssurvey des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB), Wiesbaden, der Informationen zu Gesundheit, Lebensumständen, Verhaltensweisen, Einstellungen und Sterblichkeit enthält. Die in dieser Studie erfassten Individuen lassen sich nach ihrem Gesundheitslebensstil in vier Gruppen einteilen:
* Gesundheitsinterventionisten: Die Personen in dieser Lebensstilgruppe zeichnen sich dadurch aus, dass sie nie in ihrem Leben geraucht haben, einen stressfreien Beruf ausübten, keinen hochprozentigen Alkohol konsumieren, regelmäßig Obst und Gemüse verzehren und nach dem Körpermasse-Index (BMI) normalgewichtig sind. Dieser Gruppe wird etwa ein Drittel aller einbezogenen Individuen zugeordnet.
* Aktive Bon Vivants: Mit rund 45 Prozent ist diese Gruppe die größte der vier Lebensstilgruppen. Diese Personen sind noch in einem von ihnen überwiegend als stressvoll beschriebenen Beruf tätig oder haben diesen vor weniger als zehn Jahren zugunsten einer anderen Beschäftigung bzw. wegen Eintritts in den Ruhestand beendet. Zudem weisen die Mitglieder dieser Gruppe verschiedene Verhaltensweisen wie ehemaliges oder gegenwärtiges Rauchen, übermäßigen Alkoholkonsum oder Übergewichtigkeit auf, die auf einen eher vergnügungsorientierten Lebensstil schließen lassen. Sie sind aber dennoch der Meinung, stark oder mittelmäßig auf ihre Gesundheit zu achten.
* Gesundheitsnihilisten: Etwa 15 Prozent der Stichprobe entsprechen dem Bild der „Nihilisten“, die vor allem durch eine allenfalls geringe Beachtung der eigenen Gesundheit, starke Übergewichtigkeit sowie sportliche Inaktivität gekennzeichnet sind. Nihilisten gehen allgemein davon aus, dass sie ihre Gesundheit selbst nicht beeinflussen können.
* Frühere Workaholics: Nur etwas mehr als fünf Prozent der Personen in der Stichprobe sind in dieser Gruppe. Die früheren Workoholics sind seit längerem nicht mehr berufstätig, sehen ihren früheren Beruf aber als sehr stressvoll an. Auch sind sie keine Konsumenten hochprozentigen Alkohols.
Tab. 1: Geschlechterspezifische Anteile und relative männliche Übersterblichkeit nach Gesundheitslebensstil in Deutschland: Quelle: Lebenserwartungssurvey des BiB (eigene Berechnungen); ** statistisch signifikant auf dem Konfidenzniveau von 99%.
Um den Einfluss von Lebensstilen auf die Sterblichkeitsunterschiede zwischen Frauen und Männern mit Hilfe dieses Lebensstilkonzepts zu verstehen, ist es interessant, wie sich Frauen und Männer auf die vier Lebensstilgruppen verteilen. Aus Tabelle 1 geht hervor, dass 70 Prozent der Männer zur Gruppe der Aktiven Bon Vivants gehören. Der entsprechende Anteil der Frauen beträgt hier nur rund 20 Prozent. Die Mehrzahl der Frauen lässt sich dagegen mit einem fast 60-prozentigen Anteil dem Gesundheitslebensstil der Interventionisten zuordnen. Da die unterschiedlichen Lebensstile einen unterschiedlich starken Einfluss auf die Sterblichkeit besitzen, lässt sich ableiten, dass die typischen Lebensstile von Frauen und Männern wohl einen nicht unerheblichen Beitrag zur männlichen Übersterblichkeit leisten.
Auch in der Lebensstilgruppe der Nihilisten, deren Sterberisiko am höchsten ist, finden sich anteilig mehr Männer als Frauen, was den Lebensstileffekt als eine der Ursachen für die geringere Lebenserwartung der Männer noch verstärkt. Dass die Frauen in der Gruppe der früheren Workaholics relativ etwas stärker vertreten sind als die Männer, fällt wegen der geringen Fallzahlen dieser Lebensstilgruppe nicht ins Gewicht.
Eine weitere interessante Frage ist, wie sich die Geschlechterunterschiede in der Sterblichkeit innerhalb der einzelnen Lebensstilgruppen darstellen. Dabei zeigt sich, dass die männliche Übersterblichkeit in der Gruppe der Nihilisten mit hoher statistischer Signifikanz am stärksten ausgeprägt ist (Tabelle 1, rechte Spalte). Auch bei den aktiven Bon Vivants bleibt das Sterberisiko der Männer deutlich über dem der Frauen. In der am meisten gesundheitsbewussten Gruppe der Interventionisten ist die männliche Übersterblichkeit dagegen deutlich geringer und nicht mehr statistisch signifikant. Obwohl nicht ganz auszuschließen ist, dass dieses Resultat zumindest teilweise dadurch hervorgerufen wird, dass die Fallzahl unter den männlichen Mitgliedern dieser Lebensstilgruppe sehr gering ist, ist dies ein interessantes Ergebnis. Offensichtlich unterscheiden sich die geschlechtsspezifischen Sterblichkeitsunterschiede ganz erheblich in Abhängigkeit vom jeweiligen Gesundheitslebensstil.
Demnach trägt zur gesamten männlichen Übersterblichkeit in Deutschland bei, dass Männer häufiger ungesündere und Frauen dagegen häufiger gesündere Lebensstile pflegen. Die Lebensstilgruppen, in denen Männer mit den höchsten Anteilen vertreten sind (Nihilisten und Bon Vivants), sind auch jene, in denen die männliche Übersterblichkeit am stärksten ausprägt ist. Dagegen sind die Männer in der Gruppe der Interventionisten, in der ihre Übersterblichkeit gering ist, anteilig am geringsten vertreten.