In vielen Ländern Europas ist die Säkularisierung und damit der Rückgang kirchlich gebundener Religiosität weit fortgeschritten. Indizien sind die steigende Anzahl an Kirchenaustritten sowie rückläufige Zahlen bei Kirchgängern und Priestern. Diese Entwicklungen haben zu der Annahme geführt, dass der Einfluss von Religiosität auf das gesellschaftliche Leben und die Entscheidungen jedes Einzelnen zunehmend kleiner wird.
In einem europäischen Ländervergleich geht unsere Studie daher der Frage nach, in welchem Maß das Geburtenverhalten der Elterngeneration noch durch Religiosität beeinflusst wird. Die Analyse beschränkt sich auf Frauen im Alter bis 40 Jahre. Die verwendeten Daten stammen aus den „Fertility and Family Surveys“, einer Reihe von Umfragen, die während der 1990er Jahre unter der Koordination der Vereinten Nationen durchgeführt wurden.
Angaben zur Religiosität umfassen die Konfessionszugehörigkeit, die Häufigkeit des Kirchgangs, die Frage, ob Gott im Leben eine wichtige Rolle spielt, sowie eine allgemeine religiöse Selbsteinschätzung. Aufgrund höherer Fallzahlen stehen dabei insbesondere Personen mit christlicher Religionszugehörigkeit (Katholiken, Protestanten, Orthodoxe) im Vordergrund. Zur Einschätzung des Geburtenverhaltens analysierten wir die von den Frauen als ideal angesehene Kinderzahl, ihre Absicht, ein zweites oder drittes Kind zu bekommen, sowie die tatsächliche Anzahl geborener Kinder.
Abb. 1: Ideale Kinderzahl religiöser und nicht-religiöser Frauen (laut Selbsteinschätzung), ausgewählte Länder.
Die Ergebnisse der Studie lassen darauf schließen, dass – trotz einer in Europa weit verbreiteten Abkehr der Menschen von der Kirche – Religiosität immer noch einen großen Einfluss auf das Geburtenverhalten hat. So liegt die als ideal angesehene Kinderzahl bei Frauen, die sich selbst als religiös einschätzen, in allen Ländern – mit Ausnahme Bulgariens, Lettlands und Estlands – deutlich höher als bei jenen, die angeben, nicht religiös zu sein (Abbildung 1). Größte Unterschiede bestehen zumeist zwischen Frauen, die sich entweder der christlichen oder keiner Religion zugehörig fühlen. Unterschiede zwischen den verschiedenen christlichen Konfessionen sind allerdings nur in wenigen Ländern feststellbar. Beispielsweise geben in den baltischen Staaten Orthodoxe eine niedrigere ideale Kinderzahl an als Protestantinnen und Katholikinnen.
Dass Werte und Vorstellungen, wie die als ideal angesehene Kinderzahl, durch Religiosität beeinflusst sind, mag nicht überraschen. Doch setzen religiöse Frauen diese Ideale auch in ihrem eigenen Leben um? Planen und bekommen sie tatsächlich mehr Kinder als nicht-religiöse Frauen?
Bei der Absicht, ein zweites und ein drittes Kind zu bekommen, spielt die Kirchgangshäufigkeit der Frauen eine wesentliche Rolle – insbesondere in den Ländern, deren Bevölkerungen vergleichsweise religiös sind, wie in Griechenland, Italien, Polen und der Schweiz. Doch auch in Westdeutschland oder in Lettland wünschen sich Frauen, die mindestens ein Mal pro Monat am Gottesdienst teilnehmen, eher ein zweites Kind als Frauen, die seltener in die Kirche gehen. Die Absicht, ein drittes Mal Mutter zu werden, ist in diesen Ländern aber nicht durch Religiosität beeinflusst.
Auch in Bezug auf die tatsächliche Kinderzahl ist Religiosität relevant. Regelmäßige Kirchgängerinnen bekommen insgesamt mehr Kinder als Frauen, die seltener als ein Mal im Monat den Gottesdienst besuchen. Unterschiede im Geburtenverhalten sind aber vergleichsweise gering in Ländern wie Griechenland, Italien und Spanien, deutlich ausgeprägter in der Tschechischen Republik, Finnland, Slowenien oder der Schweiz.
Insgesamt ist bei den Auswertungen wichtig, wie Religiosität gemessen wird: So geht die Tatsache, regelmäßig Gottesdienste zu besuchen, generell mit einer höheren Fertilität einher als die alleinige Zugehörigkeit zu einer Konfession oder die religiöse Selbsteinschätzung. Häufiger Kirchgang erfordert eine höhere Aktivität seitens des Gläubigen und kann damit als stärkeres Zeichen von Verbundenheit mit dem Glauben verstanden werden.
Der internationale Vergleich zeigt, dass Religiosität in Europa immer noch ein wichtiges Handlungsmotiv im Bereich der Fertilität ist. Doch wie kann Religion Einfluss nehmen?
Erstens ist davon auszugehen, dass Gläubige grundsätzlich mit den Anschauungen ihrer Kirche übereinstimmen. Familie und Kinder sind im Christentum von zentraler Bedeutung. Auch die Betonung der Mutterrolle, die Hochschätzung der Ehe und die Skepsis gegenüber Abtreibungen und künstlicher Verhütung sind Lehren, die eher geburtenfördernd wirken.
Zweitens haben Kirchengemeinschaften die Funktion sozialer Netzwerke. Die Plausibilität kirchlicher Anschauungen wird in der Kommunikation mit anderen Mitgliedern, etwa in gemeinsamen Ritualen und Unterweisungen, bestätigt. Der Kontakt mit kinderreichen Familien beeinflusst die Vorstellung über die ideale Kinderzahl und befördert einen Nachahmungseffekt. Zudem können Kirchgänger bei Fragen rund um das Thema Kinder auf die Unterstützung anderer Mitglieder zählen.
Drittens kann Religiosität helfen, neue und schwierige Lebenssituationen zu bewältigen. Auch die Geburt von Kindern ist ein tiefer Lebenseinschnitt, der potenziell mit Unsicherheit verbunden ist. Sich dieser Aufgabe zu stellen, könnte religiösen Frauen leichter fallen, wenn sie durch ihren Glauben und kirchliche Riten, wie die Taufe, Beistand und Beruhigung erfahren.