Max-Planck-Institut für demografische Forschung

Nur Kind und Küche? Rollenklischee hat ausgedient

2009 | Jahrgang 6 | 2. Quartal

Keywords: Fertilitätsentwicklung, Wirtschaftliche Unabhängigkeit, Geburtenrate, Kinderbetreuung, Geschlechtsspezifische Unterschiede

Dorothea Rieck

In einer Studie, die Mitarbeiterinnen des Max-Planck-Institutes für demografische Forschung für die Vereinten Nationen erstellten, wurden vier europäische Länder – Bulgarien, Deutschland, Frankreich und die Russische Föderation – bezüglich der Einflussfaktoren auf den Kinderwunsch verglichen. Diese vier Länder durchliefen in den vergangenen Jahrzehnten unterschiedliche demografische Entwicklungen. In Deutschland und Frankreich begann die Geburtenrate bereits Mitte der 1960er Jahre gravierend zurückzugehen.Während in Frankreich die zusammengefasste Geburtenziffer (TFR) seit Beginn der 1990er Jahre aber wieder steigt und mit derzeit etwa zwei relativ hoch ist, hat Deutschland mit etwa 1,3 noch immer ein sehr niedriges Geburtenniveau. Bulgarien und die Russische Föderation erlebten während der politischen und ökonomischen Veränderungen in den 1990er Jahren dramatische Rückgänge der Geburtenrate von mehr als durchschnittlich zwei Kindern pro Frau auf heute im Durchschnitt 1,3 (Abbildung 1). 

Abb. 1: Zusammengefasste Geburtenziffern für Bulgarien, Deutschland, Frankreich und die Russische Föderation für die Jahre 1960 bis 2005. Quelle: Council of Europe und Eurostat.

Um die Ursachen dieser Fertilitätsentwicklungen zu analysieren, stehen zwei Fragen im Mittelpunkt der Untersuchung: Welche ökonomischen Faktoren beeinflussen den Wunsch einer Familiengründung? Unterscheidet sich der Einfluss dieser Faktoren bei Frauen und Männern? 

Grundlage der Studie sind Daten des Generations and Gender Surveys, dessen Erhebungen in den Jahren 2004 und 2005 stattfanden. Die Datensätze enthalten detaillierte Informationen zu sozialen, ökonomischen und institutionellen Rahmenbedingungen von Familien. Für die vorliegende Studie wurde die Frage nach dem Wunsch, innerhalb der nächsten drei Jahre das erste Kind zu bekommen, in den Mittelpunkt gestellt. Mittels logistischer Regressionen wurde für 2447 Frauen und 3001 Männer, die zum Zeitpunkt der Befragung kinderlos waren, der Einfluss der Erwerbstätigkeit, Kinderbetreuungsmöglichkeiten sowie finanzieller Rahmenbedingungen auf den Kinderwunsch untersucht. Neben den genannten Faktoren wurden demografische Informationen, wie das Alter der Befragten und der Familienstand, in die Berechnungen einbezogen. 

Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass der Kinderwunsch von Frauen und Männern in Deutschland und Frankreich deutlich geringer ist als in Bulgarien und in der Russischen Föderation. Dieses Ergebnis entspricht den Erwartungen, da in Osteuropa trotz des allgemeinen Geburtenrückgangs fast alle Paare mindestens ein Kind bekommen und dies vergleichsweise früh im Lebensverlauf. 

Abb. 2a: Einfluss der Beschäftigung auf den Kinderwunsch; Abweichung von der Referenzkategorie (Vollzeitbeschäftigung).
Abb. 2b: Einfluss der erwarteten Auswirkungen der Geburt des ersten Kindes auf die Beschäftigungssituation; Abweichung von der Referenzkategorie (weder Verbesserung noch Verschlechtung). Quelle: GGS 2004/05 (eigene Berechnungen).

Ein entscheidender Einflussfaktor auf den Kinderwunsch ist die Beschäftigungssituation. Die Analysen zeigen, dass besonders für Frauen die Berufstätigkeit einen signifikanten Einfluss auf den Kinderwunsch hat. In allen vier Ländern ist der Kinderwunsch positiv mit einer Vollzeitbeschäftigung verbunden (Abbildung 2a).Während in Frankreich und Bulgarien eine Beschäftigung – unabhängig davon, ob es sich um eine Vollzeit- oder Teilzeitstelle handelt – den Kinderwunsch von Frauen verstärkt, trifft dies in Deutschland und Russland lediglich auf eine Vollzeitstelle zu. Bei Männern stellt sich die Situation ähnlich dar. Für die Analyse wurden hier allerdings aufgrund der sehr geringen Fallzahlen die Kategorien „Teilzeit“ und „Nicht berufstätig“ zusammengefasst. Zudem ist anzunehmen, dass Männer eine Vollzeitbeschäftigung anstreben und eine Teilzeitstelle einer noch nicht vollständigen Etablierung auf dem Arbeitsmarkt entspricht. Ebenso wie Frauen tendieren Männer in Vollzeitbeschäftigung deutlich mehr dazu, sich ein Kind zu wünschen, als nicht berufstätige bzw. nur in Teilzeit beschäftigte Männer (Abbildung 2a). Dies trifft besonders auf Franzosen und Russen zu. 

Diese Ergebnisse werden gestützt, wenn man die Fragen nach den Auswirkungen der Geburt eines Kindes auf die Beschäftigungssituation in die Analysen einbezieht. Sowohl bei Frauen wie bei Männern, die vermuten, dass die Geburt eines Kindes ihre berufliche Situation verschlechtern würde, ist die Chance geringer, sich in den nächsten drei Jahren ein Kind zu wünschen, als bei Personen, die keine Änderung erwarten. Besonders deutlich zeigt sich dies bei Französinnen. Erwarten diese, dass die Geburt eines Kindes eine Verschlechterung ihrer beruflichen Situation zur Folge hat, ist der Kinderwunsch um 63 Prozentpunkte niedriger als bei Frauen, die durch die Geburt eines Kindes keinen Einfluss auf ihre Berufssituation erwarten (Abbildung 2b). 

Ähnlich sieht die Situation bei Männern aus. In allen Ländern ist die Chance einer Familiengründung geringer, wenn die befragten Männer eine Verschlechterung ihrer beruflichen Situation befürchten (Abbildung 2b). Im Gegensatz dazu ist der Kinderwunsch von Männern in allen vier Ländern stärker ausgeprägt, wenn diese von einer Verbesserung ihrer Beschäftigungssituation ausgehen. Verglichen mit Männern, die von der Geburt eines Kindes keinen Einfluss auf ihre berufliche Situation erwarten, erhöht eine erwartete Verbesserung der Beschäftigungslage in Deutschland die Chance, sich ein Kind zu wünschen, um nahezu das Dreifache und in Frankreich um mehr als das Doppelte. 

Darüber hinaus sind Kinderbetreuungsmöglichkeiten bei der Entscheidung für oder gegen ein erstes Kind wichtig. Geben die Befragten an, dass ihr Kinderwunsch stark von der Kinderbetreuung abhängt, ist die Chance geringer, sich ein Kind zu wünschen (Ausnahme sind Franzosen). Vermutlich haben Frauen und Männer, deren Kinderwunsch von den Möglichkeiten einer Kinderbetreuung abhängt, Zweifel bezüglich der tatsächlich verfügbaren Kinderbetreuungsmöglichkeiten. 

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Beschäftigungssituation und die erwarteten Auswirkungen der Geburt eines ersten Kindes auf die berufliche Situation wie auch die Möglichkeiten einer Kinderbetreuung für Frauen und Männer bedeutende Faktoren bei der Entscheidung sind, eine Familie zu gründen. Die Geburt des ersten Kindes stellt eine grundlegende Veränderung der Lebenssituation dar. Besonders für Frauen ist eine beruflich und damit ökonomisch stabile Situation wichtig, wenn sie darüber entscheiden, innerhalb der nächsten Jahre ihr erstes Kind zu bekommen. Für Männer sind die erwarteten Auswirkungen der Geburt eines Kindes auf die berufliche Situation weit mehr für den Kinderwunsch entscheidend als ihre derzeitige Beschäftigungssituation. Zu vermuten ist, dass dabei normative Faktoren den Ausschlag geben. Zudem scheinen soziale Faktoren am Arbeitsplatz eine Rolle zu spielen, etwa ein besserer Kündigungsschutz; dies trifft auf Väter und Mütter gleichermaßen zu. 

Die Ergebnisse zeigen sich in ähnlicher Weise in allen in die Untersuchung einbezogenen Ländern. Daraus folgt, dass Frauen in ihrer beruflichen und ökonomischen Unabhängigkeit eine essenzielle Voraussetzung für einen Kinderwunsch sehen. Das bedeutet, dass es die Rolle der Frau gegenüber der des Mannes zu stärken gilt. Besonders auf dem Gebiet der beruflichen und finanziellen Sicherheit, aber auch hinsichtlich eines Ausbaus der Kinderbetreuung könnte eine verbesserte Situation der Frauen zu einer stärkeren Umsetzung des Kinderwunsches beitragen.

Literatur

  • Neyer, G., and D. Rieck: Moving towards gender equality. How generations and gender shape demographic change: towards policies based on better knowledge, United Nations Economic Commission for Europe (Ed.). United Nations, New York 2009, 139-154.

Aus Ausgabe 2009/2

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