Demografische Entwicklungen sind relativ träge und lassen sich daher besser und längerfristig prognostizieren als die meisten anderen sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungen. Wenn man zum Beispiel weiß, wie viele zehnjährige Mädchen heute in einem Land leben, so kann man schon recht gut schätzen, wie viele 70-jährige Frauen es in 60 Jahren (also im Jahre 2070) geben wird. Die einzigen Unsicherheiten liegen dabei in unerwarteten Entwicklungen bei Sterblichkeit und Migration. Für noch nicht geborene Kohorten ist die Prognose allerdings viel schwieriger. Wie viele Kinder es zum Beispiel im Jahr 2030 geben wird, ist bereits höchst unsicher und hängt stark von der noch unbekannten künftigen Geburtenrate ab. Je weiter man in die Zukunft blickt, umso größer wird der Grad der Unsicherheit.
Daher gehen die meisten seriösen Bevölkerungsprognosen derzeit nur bis zum Jahr 2050. Für die zweite Hälfte des 21. Jahrhunderts gibt es nur Szenarien, die gewisse Trends weiterschreiben, und probabilistische Projektionen, die eine enorme Öffnung des Unsicherheitsbereichs zeigen (siehe Abb. 1). In der gegenwärtigen Diskussion um die globale Klimaveränderung ist aber ein längerfristiger Zeithorizont gefragt. Durch die enorme Trägheit des globalen Klimasystems geht hier der Zeithorizont oft weit über unser Jahrhundert hinaus und skizziert Szenarien bis 2200 oder 2300. Dabei stellen sich auch folgende Fragen: Wie viele Menschen werden im 22. Jahrhundert leben? Wie viele Menschen werden von den zu erwartenden Klimaveränderungen betroffen sein? Werden sie in der Lage sein, sich an diese anzupassen?
Abb. 1: Probabilistische Projektionen für die Weltbevölkerung bis 2100 (gelb 95%-Intervall, blau 60%, rot 20%) und Fortschreibung bis 2200 bei 120 Jahren maximaler Lebenserwartung und verschiedenen Geburtenraten (TFR).
Bisher wurden die internationalen Diskussionen zu diesem Thema von der Annahme einer „Stabilisierung“ der Weltbevölkerung geprägt. Diese ging im Wesentlichen auf die langfristigen Prognosen der Vereinten Nationen zurück, die annehmen, dass alle Länder der Welt langfristig auf eine Fertilität um das Bestandserhaltungsniveau der Bevölkerung (je nach Mortalität knapp über zwei Kinder pro Frau) hin konvergieren. Dies ist allerdings eine recht arbiträre Annahme, die jeder wissenschaftlichen Grundlage entbehrt. Deshalb hat eine neue Studie* des IIASA längerfristige Szenarien mit einem breiteren Spektrum möglicher künftiger Entwicklungen in Fertilität und Lebenserwartung berechnet. Als Grundlage dienten die 2008 in „Nature“ publizierten Prognosen** bis zum Jahr 2100, die auf der Basis von 13 Weltregionen errechnet wurden. Da dort substanzielle Annahmen nur bis 2080 getroffen wurden, ist dies der Zeitpunkt, wo die längerfristigen Szenarien ansetzen. Langfristige Fertilitätsraten, die von 1,0 bis 2,5 reichen, wurden mit zwei Mortalitätsszenarien kombiniert, die weitere Verbesserungen in der Lebenserwartung um etwa zwei Jahre pro Jahrzehnt annehmen, aber maximal 90 bzw. 120 Jahre.
Derzeit sehen wir ernorme Unterschiede im Fertilitätsniveau zwischen Europa, wo Niedrigfertilität vorherrscht, und Afrika, wo das Geburtenniveau noch mehr als dreimal so hoch ist. Allerdings gehen alle Weltbevölkerungsprognosen von einer Fortsetzung des demografischen Übergangs aus, der längerfristig auch in den Entwicklungsländern zu Niedrigfertilität führen wird. Nimmt man für die gesamte Welt nach 2080 eine Geburtenrate von 1,5 an, die in etwa dem heutigen Niveau in Europa entspricht, und wird dies an die wahrscheinlichste Entwicklung bis zum Jahr 2080 angehängt, so würde die Weltbevölkerung (bei einer maximalen Lebenserwartung von 90 Jahren) bis 2200 auf 3,5 Milliarden und bis 2300 auf nur 1,1 Milliarden Menschen sinken.
Kombiniert mit einer maximalen Lebenserwartung von 120 Jahren (siehe Abb. 1), würde dies zu 4,4 bzw. 1,7 Milliarden Menschen in den Jahren 2200 bzw. 2300 führen. Eine globale langfristige Fertilitätsrate von 1,7, die uns als wahrscheinlich erscheint, würde bis 2200 zu einer Weltbevölkerung (je nach Lebenserwartung) von 4,9 bis 5,8 Milliarden bzw. bis 2300 von 2,4 bis 3,5 Milliarden führen. Der Anteil an Menschen im Alter von über 80 Jahren würde sich langfristig bei rund 16 Prozent (bei Lebenserwartung von 90 Jahren) bzw. 40 Prozent (bei maximaler Lebenserwartung von 120 Jahren) stabilisieren.
In Hinblick auf den globalen Klimawandel und die Umwelt wird ein langfristiges Schrumpfen der Weltbevölkerung schon lange von Ökologen gefordert, um das Fortbestehen der Menschheit in einer intakten Umwelt zu sichern. Diese Berechnungen zeigen, dass ein derartiges Resultat nicht Folge von Katastrophen sein muss, wie es von vielen als unabwendbare Konsequenz der „Bevölkerungsexplosion“ erwartet wird. Eine solche Entwicklung kann auch friedlich bei weiter deutlich steigender Lebenserwartung erreicht werden, wenn die globale Geburtenrate in den nächsten 70 bis 80 Jahren auf ein Niveau sinkt, das sogar etwas höher als das derzeitige in Europa sein kann. Dies wird aber nur bei weiteren Fortschritten in der Bildung möglich sein***. Eine dann besser gebildete und kleinere Weltbevölkerung wird sich vermutlich auch besser an die Konsequenzen des Klimawandels anpassen können.