Max-Planck-Institut für demografische Forschung

Für Männer gilt: Viel trinken und früher sterben

2009 | Jahrgang 6 | 4. Quartal

Keywords: Russland, Öffentliche Gesundheit, Sterblichkeit

David A. Leon, Vladimir M. Shkolnikov und Martin McKee

Die Lebenserwartung in Russland betrug 2007 für Männer 61 und für Frauen 74 Jahre. Der Wert für Männer ist besonders niedrig: Deutsche konnten beispielsweise mit 77 Jahren rechnen, und selbst die Einwohner von Bangladesh, eines der ärmsten Länder der Welt, leben länger als Russen. Zudem unterlag die Lebenserwartung in Russland in den vergangenen 25 Jahren auffälligen Schwankungen (siehe Abb. 1). Besonders niedrige Werte sind beispielsweise Anfang der 1990er Jahre, zu Zeiten des Zusammenbruchs der Sowjetunion, und um die Jahrhundertwende während der Währungskrise zu verzeichnen. 

Abb. 1: Lebenserwartung bei Geburt und Zahl der auf Alkoholvergiftung zurückzuführenden Sterbefälle (standardisiert nach Alter) für Männer und Frauen in Russland, 1965 bis 2007 (eigene Berechnungen).

Wie die Abbildung und der Korrelationskoeffizient von 0,94 zeigen, stehen Anstiege und Rückgänge in der Lebenserwartung in einem starken Zusammenhang mit der Entwicklung der Sterblichkeit infolge von Alkoholkonsum. So war Ende der 1980er Jahre eine von Gorbatschow initiierte Anti-Alkoholkampagne erfolgreich: Weniger Russen starben an Alkoholvergiftung, zeitgleich stieg die Lebenserwartung. Im Gegensatz dazu fallen die Jahre, in denen die Lebenserwartung extrem niedrig war (1990 bis 1994, 1999 bis 2003), mit jenen zusammen, in denen besonders viele Personen infolge von Alkohol ums Leben kamen. Geschätzt wird, dass eine akute Alkoholvergiftung drei bis vier Prozent der Sterbefälle verursacht – umso bemerkenswerter ist, dass die Wechselwirkung zwischen dieser Todesursache und der Gesamtlebenserwartung bereits so ausgeprägt ist. Dass Alkohol einen großen Einfluss auf die Lebenserwartung hat, bestätigt sich in Analysen, die weitere, mit Alkohol in enger Verbindung stehende Ursachen wie Leberzirrhose, Unfälle und gewaltsame Tode einbeziehen. Es fällt zudem auf, dass insbesondere Männer im erwerbsfähigen Alter betroffen sind; die Sterblichkeit von Kindern, Jugendlichen und älteren Menschen ist kaum Schwankungen unterworfen. Der Alkoholkonsum und sein Einfluss auf die Gesundheit sind in Russland schwierig zu untersuchen.Viele klassische Analysen sind beispielsweise darauf angewiesen, dass die Menschen ihr Trinkverhalten selbst bewerten; dies führt erfahrungsgemäß zu Unterschätzungen. Auch sind starke Trinker in Studien meist unterrepräsentiert, insbesondere wenn vorausgesetzt wird, dass sie sich zunächst einer klinischen Untersuchung unterziehen. 

Die Izhevsk-Studie*, die 2003 bis 2005 in einer Stadt im Westen des Urals durchgeführt wurde, ging deshalb neue Wege: Statt Männer selbst einschätzen zu lassen, wie viel und wie oft sie trinken, sollten die Lebenspartnerin und andere Angehörige Auskunft über das Trinkverhalten des Studienteilnehmers geben. Gezielt wurden bespielsweise die Häufigkeit mehrtägiger Alkoholexzesse, das Trinken alkoholhaltiger Produkte, wie Kölnischwasser oder antiseptischer Tinkturen, sowie der durch Alkohol bedingte Rückzug aus dem normalen sozialen Leben erfragt. 

Die Ergebnisse lassen darauf schließen, dass unter Männern im Alter von 25 bis 54 Jahren 43 Prozent der Sterbefälle durch übermäßigen Alkoholkonsum verursacht wurden. Überträgt man diese Schätzungen auf ganz Russland, muss man davon ausgehen, dass pro Jahr mehr als 170.000 Menschen im erwerbsfähigen Alter an den Folgen von Alkohol sterben. Auch die Weltgesundheitsorganisation rechnet damit, dass in der Altersklasse 20 bis 44 etwa 30 Prozent der Sterbefälle der Männer und 20 Prozent der Sterbefälle der Frauen auf Alkoholmissbrauch zurückzuführen sind. Besonders prekär ist die Situation in armen und wenig gebildeten Bevölkerungsgruppen. 

Die russische Regierung hat das Problem erkannt. Ein aktueller Bericht geht davon aus, dass drei von vier Russen regelmäßig Alkohol konsumieren und zwei Prozent der Bevölkerung, also etwa 2,8 Millionen Menschen, schwere Alkoholprobleme haben.  Eine Reaktion lässt jedoch noch auf sich warten.

Literatur

  • Leon, D.A., V.M. Shkolnikov and M. McKee: Alcohol and Russian mortality: a continuing crisis. Addiction 104(2009)10: 1630-1636.
  • * Leon, D.A., L. Saburova, S. Tomkins, E.M. Andreev, N. Kiryanov, M. McKee and V.M. Shkolnikov: Hazardous alcohol drinking and premature mortality in Russia: a population based case-control study. Lancet 369(2007)9578: 2001-2009.

Aus Ausgabe 2009/4

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