Vienna Institute of Demography

Geburtenrückgang und Wirtschaftswachstum

2010 | Jahrgang 7 | 3. Quartal

Keywords: Wirtschaftswachstum, Bevölkerungsrückgang, Lohngefälle zwischen den Generationen, Geografie, Planung und Entwicklung

Klaus Prettner und Alexia Prskawetz

Fallende Geburtenraten und Bevölkerungsalterung werden meist mit negativen Konsequenzen für das Wirtschaftswachstum verbunden. Allerdings fehlen nicht nur eindeutige empirische Befunde, sondern auch ökonomische Modelle liefern widersprüchliche Aussagen zu dieser Debatte. Da die momentane demografische Entwicklung – Geburtenrückgang, steigende Lebenserwartung und Bevölkerungsalterung – aber eine neue Situation für die Wirtschaftswissenschaften darstellt, ist es wichtig, alternative Modellansätze zu berechnen, um zu zeigen, wie der demografischen Herausforderung begegnet werden kann. 

In einem neuen Artikel des Vienna Institute of Demography und des Instituts für Wirtschaftsmathematik der Technischen Universität Wien stellen wir ein Modell vor, das die Auswirkungen eines Geburtenrückganges auf die mittel- und langfristigen Wachstumsperspektiven einer kleinen Volkswirtschaft, wie zum Beispiel Österreich, analysiert, deren Technologie durch Forschung und Entwicklung im Rest der Welt bestimmt wird. Wir zeigen plausible Mechanismen auf, durch welche ein Geburtenrückgang das Wirtschaftswachstum erhöhen kann. 

Zunächst setzt der Rückgang der Geburten Ressourcen der Eltern frei, welche idealerweise in die Ausbildung der Kinder fließen. Die durch den Geburtenrückgang verursachte Abnahme des Bevölkerungswachstums führt des Weiteren zu einer höheren Kapitalausstattung der Arbeitskräfte, da die vorhandenen Produktionsmittel auf eine kleinere Bevölkerung aufgeteilt werden (so stehen zum Beispiel jedem Arbeiter in einer Fabrik produktivere Maschinen zur Verfügung). Als Folge werden die Arbeitskräfte produktiver, und es kann mittelfristig (innerhalb von zehn bis 20 Jahren) ein höheres Pro-Kopf-Wachstum des Bruttoinlandsproduktes ermöglicht werden. Langfristig (innerhalb von etwa 30 Jahren und mehr) wird das Wirtschaftswachstum jedoch durch den technologischen Fortschritt im Rest der Welt bestimmt. Das mittelfristig höhere Wachstum in der kleinen Volkswirtschaft, das durch den Geburtenrückgang hervorgerufen wird, führt daher zu einem höheren Wohlstandsniveau. 

Werden alle Altersgruppen analog von einem mittelfristig höheren Wachstum profitieren? Dazu untersuchen wir im zweiten Teil der Studie die Entwicklung der intergenerationalen Lohnunterschiede, die durch einen nachhaltigen Rückgang der Geburtenraten hervorgerufen werden. 

Abb. 1: Relativer Lohnunterschied von jungen im Vergleich zu älteren Arbeitnehmern in verschiedenen Szenarien der Bevölkerungsentwicklung in einer kleinen Volkswirtschaft.

Abbildung 1 zeigt den Lohnunterschied zwischen jungen und älteren Arbeitnehmern innerhalb unterschiedlicher Szenarien jeweils für eine Ökonomie mit konstanter Bevölkerung (hellblaue Balken) und eine Ökonomie mit abnehmender Bevölkerung (dunkelblaue Balken). Solange beide Gruppen von Arbeitnehmern perfekt miteinander substituierbar sind (Szenario 1), wird es zu keinem Unterschied in den relativen Löhnen beider Ökonomien kommen. 

In Szenario 2 nimmt man an, dass jüngere und ältere Arbeitnehmer nicht 100-prozentig substituierbar sind, was dadurch erklärt werden kann, dass ältere und jüngere Arbeitnehmer unterschiedliche Fähigkeiten haben. Physische Kapazitäten, Ausdauer, Seh- und Hörvermögen, kognitive und intellektuelle Fähigkeiten sind tendenziell unter jungen Arbeitnehmern stärker ausgeprägt. Ältere Arbeitnehmer hingegen profitieren vor allem durch ihre größere Erfahrung, bessere Managementqualitäten und weisen eine tendenziell höhere Zuverlässigkeit auf. In Szenario 2 profitieren jüngere Arbeitnehmer in der Ökonomie mit fallender Bevölkerungsgröße, da ihre relative Kohortengröße abnimmt und damit ihre relativen Löhne steigen. Eine ähnliche Argumentation impliziert, dass ältere Arbeitnehmer tendenziell zu den Verlierern eines Geburtenrückganges zählen. Diese Resultate gelten analog für den Fall zweier unterschiedlich schnell wachsender Bevölkerungen. 

Außerdem zeigen wir, dass eine bessere Ausbildung der Arbeitnehmer einer Kohorte meist zu höheren Löhnen in dieser Kohorte führt, dass dies aber nicht immer der Fall sein muss und insbesondere vom Grad der Substituierbarkeit zwischen jüngeren und älteren Arbeitnehmern abhängt. Letzteres ist in Szenario 3 dargestellt. Wir simulieren hier eine höhere Bildung der älteren im Vergleich zu den jüngeren Arbeitnehmern. Gemäß der ökonomischen Standardargumentation würde dies die relativen Löhne der jungen in Bezug auf die alten Arbeitnehmer senken. In unserem Fall ist jedoch die Substituierbarkeit zwischen jungen und alten Arbeitnehmern so gering, dass eine höhere Humankapitalausstattung der älteren Arbeitnehmer in erster Linie zu einer verschärften Lohnkonkurrenz innerhalb dieser Bevölkerungsgruppe führt. Dieser Mechanismus lässt folglich die Löhne der jungen Arbeitskräfte gegenüber den Löhnen der älteren Arbeitskräfte steigen (siehe Abbildung 1). In einer Ökonomie mit sinkender Bevölkerungsgröße (dunkelblaue Balken) wird dieser Effekt sogar noch verstärkt. 

Die Ergebnisse unserer theoretischen Überlegungen zeigen, dass ein Rückgang der Geburtenraten sich nicht zwangsläufig negativ auf die wirtschaftliche Lage auswirken muss. Durch eine höhere Investition in Bildung und einen Anstieg der Kapitalausstattung können daraus sogar positive Effekte auf das mittelfristige Pro-Kopf-Wirtschaftswachstum resultieren. Diesen positiven Impuls gilt es entsprechend zu nutzen, wenn die Nachhaltigkeit des Sozial- und Wirtschaftssystems sichergestellt werden soll. Wie aus unserem Modell jedoch eindeutig hervorgeht, würden nicht alle Bevölkerungsgruppen (zum Beispiel ältere Arbeitnehmer) von diesem mittelfristigen Aufschwung profitieren. Mit flankierenden Politikmaßnahmen könnten diese negativen Effekte jedoch abgeschwächt werden.  

Literatur

  • Prettner, K., and A. Prskawetz: Decreasing fertility, economic growth and the intergenerational wage gap. Empirica 37(2010)2: 197-214.

Titelseite dieser Ausgabe

Aus Ausgabe 2010/3

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