ISSN 1613-8856

Vienna Institute of Demography

Waffen oder Bildung?

2013 | Jahrgang 10 | 1. Quartal

Keywords: Bevölkerungswachstum, Pakistan, Analphabetenrate, Schulbildung, Geschlechterdifferenzen

Mitautorin der wissenschaftlichen Studie: Anne Goujon

Es ist ein düsteres Szenario, in das sich viele aktuelle Zahlen einfügen: Pakistan gehört zu den zehn Ländern mit den weltweit schlechtesten Schülerleistungen und den höchsten Analphabetenraten, wie Anne Goujon in einer Studie zur Bildungssituation in Pakistan schreibt. Erst seit 2006, so die Wissenschaftlerin des Vienna Institute of Demography, bilden die Menschen, die lesen und schreiben können, die Mehrheit im Land. Und obwohl die Alphabetisierung voranschreitet und die Geburtenraten sinken, bleibt die absolute Zahl der Analphabeten aufgrund des noch anhaltenden Bevölkerungswachstums konstant: Es sind 50 Millionen Menschen.  

Abb. 1: Weniger Waffen, mehr Bildung: Ausgaben für Militär und Bildung in Prozent des Bruttoinlandprodukts von 1980 bis 2008.

Diese verheerenden Zahlen sind das Erbe der vergangenen Jahrzehnte. Im Jahr 1980 etwa waren die Militärausgaben Pakistans rund vier Mal so hoch wie die Bildungsinvestitionen (s. Abb. 1). Zwar sind die Ausgaben seitdem gestiegen, doch ob sich die langsame Wende von der einseitigen Militär-Politik hin zu mehr Bildungsförderung noch rechtzeitig vollzieht, ist ungewiss. Denn Bildungsförderung ist eine Langzeitinvestition: Bis sich eine verbesserte Schulbildung der Kinder durch die gesamte Schicht der Arbeitsbevölkerung, also der 20- bis 64-Jährigen, gezogen hat, vergehen einige Jahrzehnte. Nur mit einer gut ausgebildeten Schicht an erwerbsfähigen Menschen aber könnte Pakistan auch von seiner wachsenden Bevölkerung profitieren. Denn wenn es relativ wenige Alte und Kinder, aber relativ viele Erwerbstätige gibt, könnte dies dem Land eine wirtschaftliche Blüte bescheren. Für Pakistan wäre dieses Verhältnis vor allem in den Jahren 2025 bis 2050 günstig. Viel Zeit, um die Bildungssituation bis zu diesem günstigen Zeitfenster zu verbessern, bleibt also nicht.  

Anne Goujon hat daher gemeinsam mit ihrem Kollegen Asif Wazir untersucht, wie sich die Bildungsinvestitionen Pakistans auf die Zusammensetzung der Bevölkerung nach Bildungsabschlüssen auswirken werden. Dabei geht die Demografin von den Daten des Jahres 2005 aus: Wie viele Männer und Frauen in den unterschiedlichen Altersgruppen haben einen Grundschulabschluss, einen höheren Schulabschluss, eine Universitätsausbildung oder gar keine Ausbildung? Welches Alter erreichen sie durchschnittlich, und wie viele Menschen mit dem jeweiligen Bildungsgrad wandern ein oder aus? Besondere Bedeutung kommt darüber hinaus den Geburtenraten der Frauen in den unterschiedlichen Bildungsklassen zu. Mit Hilfe dieser Ausgangsdaten und einer gängigen Methode der Bevölkerungsprojektion konnte Goujon modellieren, wie sich die Bildungsschichten in den nächsten 40 Jahren entwickeln werden. Dabei ging sie davon aus, dass die Geburtenraten des Landes weiter fallen und um 2025 das Bestandserhaltungsniveau von 2,1 Kindern erreichen werden. Ein ehrgeiziges Ziel, das Pakistan sich selbst gesetzt hat.

Abb. 2: Im Jahr 2005 hatte mehr als ein Drittel der erwerbsfähigen Bevölkerung (20-64-Jährige) keinen Schulabschluss. Dieser Anteil wird bis zum Jahr 2050 mehr (Ziel-Szenario) oder weniger (Trend-Szenario) stark sinken. Quelle: eigene Berechnungen.

Doch selbst wenn dieses Ziel erreicht wird, wächst die Bevölkerung Pakistans bis zum Jahr 2050 auf 300 Millionen Menschen. Wie viele davon dann eine Schul- oder Universitätsausbildung haben werden, hat Anne Goujon in zwei Szenarien modelliert (s. Abb.2). Bei dem ersten, dem so genannten Trend-Szenario, projiziert sie die Bedingungen der letzten 15 Jahre in die Zukunft: Wie viele Kinder begannen durchschnittlich eine Grundschulausbildung, gingen danach auf eine weiterführende Schule und wie viele wechselten schließlich von dort an die Universität? Bei dem zweiten, dem so genannten „Ziel-Szenario“ geht die Demografin davon aus, dass die nationalen und internationalen Bildungsziele erreicht werden: Ab dem Jahr 2015 sollen demnach alle Kinder eine Grundschulausbildung bekommen, alle Bildungsunterschiede zwischen Männern und Frauen verschwunden sein und 80 Prozent der 10- bis 14- Jährigen eine weiterführende Schule besuchen. Die Hälfte der 20- bis 24-Jährigen soll an einer Hochschule eingeschrieben sein. Doch selbst bei diesen wohl kaum zu erreichenden Zielwerten zeigt sich, wie langsam eine verbesserte Bildungspolitik zum Tragen kommt: Im Jahr 2050, also am Ende des Zeitfensters, das Pakistan für einen wirtschaftlichen Aufschwung nutzen könnte, hätten demnach trotzdem noch 11 Prozent der arbeitenden Bevölkerung gar keine Ausbildung (im Trend-Szenario wären es gut doppelt so viele). Auch die Geschlechterdifferenzen wären keineswegs verschwunden (s. Abb. 2). Im Jahr 2025, wenn das günstige Zeitfenster beginnt, sieht es noch schlechter aus. Denn die Ausbildungsgrundlagen der dann 20- bis 64-Jährigen sind größtenteils bereits in der Vergangenheit geschaffen worden: 33 Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung haben zu diesem Zeitpunkt keine Ausbildung. Bei den Frauen sind es sogar 42 Prozent. Zahlen, die deutlich machen, dass Pakistan nicht nur in die Schulausbildung, sondern auch in die Erwachsenenbildung und hier besonders in die Bildung der Frauen investieren muss. Wenn dies nicht geschieht, bleiben die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Möglichkeiten, die Pakistan aus seinem Bevölkerungswachstum ziehen könnte, ungenutzt, so die Autorin. 

Literatur

  • Goujon, A. and A. Wazir: Human capital and population development: Pakistan and the “cannon or butter” dilemma. Understanding Pakistan through human and environmental systems, L.J. Hummel and R.L. Wolfel (eds.), United States Military Academy, West Point, NY, USA, 2011, 157-181.

Aus Ausgabe 2013/1

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