ISSN 1613-8856

Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB)

Alt und allein in der Fremde

2013 | Jahrgang 10 | 4. Quartal

Keywords: Einsamkeit im Alter, Gastarbeiter, Migrationshintergrund, Gesundheit, Senioren

Mitautor der wissenschaftlichen Studie: Robert Naderi

Anfang der 1960er-Jahre kamen die ersten von ihnen nach Deutschland: junge Türken, die als Gastarbeiter eigentlich nur einige Jahre lang bleiben und dann in ihre Heimat zurückkehren wollten. Doch viele von ihnen sind geblieben, haben ihre Familie nach Deutschland geholt oder in der neuen Heimat eine Familie gegründet.  

Lebten 1961 in der alten Bundesrepublik Deutschland nur 6.700 Türken, so war ihre Zahl im Jahr 2011 auf 1.607.000 gestiegen. Inzwischen haben die jungen Migranten von einst das Rentenalter erreicht. Auch wenn viele von ihnen mehrere Monate im Jahr in der Türkei verbringen, haben sie ihren Lebensmittelpunkt meist in Deutschland.  

Tineke Fokkema vom NIDI (Nederlands Interdisciplinair Demografisch Instituut) in Den Haag und Robert Naderi vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung in Wiesbaden haben untersucht, wie es den türkischen Senioren hierzulande ergeht. Sie wollten herausfinden, ob sie – wie vielfach angenommen – einsamer sind als ihre Altersgenossen ohne Migrationshintergrund, woran das liegen und was sie davor bewahren könnte.  

Die Forscher verwendeten dazu Daten des deutschen „Generations and Gender Survey“, für den in den Jahren 2005 und 2006 rund 10.000 Deutsche und 4.000 türkische Migranten befragt worden waren. In ihre eigene Analyse flossen die Antworten von 3.248 in Deutschland und 494 in der Türkei geborenen Menschen im Alter zwischen 50 und 79 Jahren ein. Wie einsam sich die Senioren fühlten, wurde anhand der von Jenny de Jong Gierveld entwickelten Einsamkeitsskala ermittelt. Darüber hinaus machten die Befragten Angaben zu ihrer Gesundheit, ihrem sozioökonomischen Status, ihrer Familiensituation und zu ihrem Freundeskreis.  

Die Analyse bestätigte, was Soziologen bereits vermutet hatten: Türkische Menschen fühlen sich hierzulande im Alter einsamer als in Deutschland geborene Senioren. 53,6 Prozent der befragten Türken gaben an, dass sie einsam seien. 8,5 Prozent erreichten auf der Einsamkeitsskala sogar den größtmöglichen Wert von sechs Punkten. Bei den Deutschen waren es nur 42,9 beziehungsweise 4,6 Prozent. Berücksichtigten Fokkema und Naderi das unterschiedliche Alter der Befragten, traten die Differenzen noch deutlicher zu Tage. 

Tab. 1: Vergleich der gesundheitlichen und sozioökonomischen Situation von deutschen und türkischen Senioren im Alter zwischen 50 und 79 Jahren. Stichprobengröße: 3.742 (3.248 Deutsche, 494 Türken). 51,7 % der deutschen und 49,2 % der türkischen Befragten waren Frauen. Quellen: Generations and Gender Survey 2005–2006, eigene Berechnungen.

Die Unterschiede ließen sich vor allem darauf zurückführen, dass türkische Senioren öfter als deutsche an gesundheitlichen Problemen litten, schreiben die Forscher. Zudem sei ihre berufliche, finanzielle und Wohnsituation insgesamt schlechter (s. Tab. 1). 

Zwar leben die türkischen Migranten öfter mit einem Ehepartner zusammen (79,1 %) als die in Deutschland geborenen Senioren (69 %). Auch bereits erwachsene Kinder wohnen bei ihnen häufiger im gleichen Haus (32,2 %) als bei den deutschen Probanden (10,6 %), weswegen die türkischen Senioren auch öfter ihre Enkelkinder um sich haben. Dafür seien bei ihnen allerdings die Beziehungen zu Freunden und Nachbarn weniger intensiv als bei den deutschen Altersgenossen, berichten Fokkema und Naderi. Zudem lebten Letztere zwar seltener mit ihren erwachsenen Kindern unter einem Dach, das schmälere aber nicht die Qualität der Beziehung zu ihnen. 

Ihre Analysen hätten gezeigt, dass das Zusammenleben mit einem Partner oder ein häufiger Kontakt zu den Kindern und Enkelkindern die türkischen Migranten im Alter kaum oder gar nicht vor dem Gefühl der Einsamkeit schütze, schreiben die Forscher. Und sie werden noch deutlicher: „Wären die türkischen Senioren in Deutschland so gesund und wohlhabend wie ihre hier geborenen Altersgenossen, würden zwischen den beiden Gruppen keine Unterschiede hinsichtlich ihrer Einsamkeit existieren“, heißt es im Fazit ihrer Studie. Wolle man es den türkischen Migranten erleichtern, am sozialen Leben teilzuhaben, um so ihre Einsamkeit im Alter zu besiegen, müsse man an diesen beiden Punkten ansetzen.

Literatur

  • Fokkema, T. and Naderi, R.: Differences in late-life loneliness: a comparison between Turkish and native-born older adults in Germany. European Journal of Ageing [First published online: March 6, 2013].
    DOI: 10.1007/s10433-013-0267-7

Aus Ausgabe 2013/4

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