Wie sich dieser Effekt darstellen lässt und wie er sich in den nächsten hundert Jahren auswirken könnte, zeigen Dimiter Philipov, Anne Goujon und Paola Di Giulio vom Vienna Institute of Demography am Beispiel Italiens. Dafür vergleichen sie zunächst die Höhe der Einkommen und der Renten, die durchschnittlich in den verschiedenen Bildungsklassen (s. Infokasten) erzielt werden. Und hier zeigen sich beträchtliche Unterschiede: Während 2007 in Italien ein Akademiker mit einem Gehalt von knapp 28000 Euro jährlich rechnen konnte, lag das durchschnittliche Jahreseinkommen in der niedrigen Bildungsstufe lediglich bei knapp 19000 Euro. Noch höher sind die Unterschiede bei den Rentnern: Während die Akademiker hier mit gut 27000 Euro an jährlicher Rente kaum Abstriche im Vergleich zum Einkommen machen müssen, erhalten Menschen mit niedrigem Bildungsabschluss nur knapp 11000 Euro.
Doch dies sind vorläufig nur sehr grobe Zahlen, weil sie vom Durchschnitt aller Rentner beziehungsweise aller Arbeitnehmer ausgehen. Im Weiteren berechnen die Wissenschaftler die Einkommen und Renten für jedes Alter von 20 bis 100, für alle drei Bildungsstufen und für beide Geschlechter getrennt. Um die Werte anschließend untereinander vergleichen zu können, wird das geringste Einkommen, nämlich das einer 20-jährigen Frau mit niedrigem Bildungsabschluss, gleich eins gesetzt. Daran werden alle anderen Einkommen gemessen: So erzielt etwa ein 50-jähriger Mann mit niedriger Bildung das 2,2-Fache an Einkommen. Hat er einen hohen Bildungsabschluss, ist es sogar das 4,7-Fache.
Abb. 1: Oben ist die gewöhnliche Bevölkerungspyramide für Italien zu sehen. Die untere Pyramide für Humankapital gewichtet die Bevölkerung nach Bildungsabschlüssen (berechnet für eine Modell-Bevölkerung mit 10.000 Menschen). Quelle: ISTAT-LFS 2007 und EU-SILC 2008, eigene Berechnungen.
Diese Zahlen sind entscheidend, um die Höhe des „Humankapitals“ in einer Altersstufe zu berechnen. Während bei einer einfachen Bevölkerungspyramide jeder Mensch als eine Einheit gezählt wird, geht hier der Akademiker bei den 50-jährigen Männern mit 4,7 Einheiten ein, während ein 50-Jähriger mit niedrigem Bildungsabschluss 2,2 Einheiten beiträgt (s. Abb. 1). Wenn es darum geht, die Alterung einer Gesellschaft und ihre zukünftige Entwicklung in Zahlen zu fassen, wird zumeist der Altenquotient herangezogen. Dabei wird gemessen, wie viele Rentner, also über 64-Jährige, auf 100 arbeitsfähige Menschen, also in der Regel 20- bis 64-Jährige, kommen.
Um nun nicht nur die Alterung der Gesellschaft anhand einzelner Menschen, sondern die Alterung des Humankapitals ausdrücken zu können, berechnen die Wissenschaftler den Altenquotienten mit Hilfe ihrer neuen nach Bildungsabschlüssen gewichteten Altersgruppen (s. Abb. 1). Nicht die Anzahl der Menschen einer Altersgruppe ist hier entscheidend, sondern die Höhe ihres Humankapitals. Wie stark dieses etwa in der Gruppe der über 64-Jährigen steigen, hängt davon ab, wie viele Menschen mit hohem, mittlerem und niedrigem Bildungsabschluss es hier gibt. Im Trend-Szenario gehen die Demografen davon aus, dass der Anteil der Menschen mit hohem und mittlerem Bildungsniveau in Italien wie prognostiziert ansteigen wird. Im konstanten Szenario bleiben die Anteile der einzelnen Bildungsstufen dagegen auf dem Niveau von 2007.
Abb. 2: Der Altenquotient gibt das Verhältnis von Menschen beziehungsweise Humankapital in der Altersgruppe 65+ zu der Altergruppe 20 bis 64 Jahre an. Hier ist die Entwicklung bis ins Jahr 2107 zu sehen. Quelle: ISTAT-LFS 2007 und EU-SILC 2008, eigene Berechnungen.
Setzt man den Wert des herkömmlichen Altenquotienten und der beiden Versionen des neuen Altenquotienten für Humankapital im Jahr 2007 nun gleich eins und verfolgt von dort die Entwicklung bis in das Jahr 2107, so zeigt sich ein deutliches Bild (s. Abb. 2): Die Altenquotienten für Humankapital steigen viel stärker an als der herkömmliche Altenquotient. Sie zeigen, dass die finanzielle Herausforderung des demografischen Wandels durch viele gut ausgebildete Menschen zwischenzeitlich verschärft werden könnte. Die Wiener Forscher betonen zwar, dass sie ebenfalls von der Bildung abhängige Faktoren wie etwa die Arbeitslosenrate, das Wirtschaftswachstum oder die Lebensarbeitszeit in ihrem Szenario nicht berücksichtigt haben – diese könnten sich bei einem höheren durchschnittlichen Bildungsniveau durchaus positiv entwickeln. Der hier erstmals aufgezeigte, deutlich negative Effekt dürfe dabei aber nicht unberücksichtigt bleiben.