Der kleine Rabennachwuchs flüchtet bereits aus dem Nest, wenn er noch gar nicht fliegen kann. Unbeholfen hüpft er dann auf dem Boden herum. Es ist aller Voraussicht nach dieses Bild der scheinbar verlassenen Vogelkinder gewesen, das den Begriff „Rabeneltern“ im Deutschen geprägt hat. Und wenn er heute noch angewendet wird, so geht es oft eben darum: wann Kinder das Nest verlassen dürfen oder sollten, beziehungsweise wann Väter und besonders Mütter wieder beginnen zu arbeiten.
Die Meinungen dazu gehen in Europa weit auseinander. Wie weit, konnten Ralina Panova vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung in Wiesbaden sowie Isabella Buber-Ennser vom Vienna Institute of Demography mit Hilfe des Generations and Gender Survey (GGS) zeigen. Über 80.000 Menschen im Alter bis zu 45 Jahren hatten für diese Studie den Grad ihrer Zustimmung zu folgenden Aussagen angegeben: „Ein Vorschulkind leidet, wenn seine Mutter arbeitet“ und „Kinder leiden oft, weil ihre Väter sich zu stark auf die Arbeit konzentrieren“.
Ländertypologie nach der Zustimmung zu der Aussage: „Ein Vorschulkind leidet, wenn seine Mutter arbeitet.”
Abb. 1: Sehr traditionelle Ansichten gibt es vor allem in Osteuropa. Mit Rumänien, der Tschechischen Republik und vor allem Estland sind hier aber auch liberalere Einstellungen zur Erwerbstätigkeit von Müttern kleiner Kinder zu finden.
Quelle: GGS
Arbeitende Mütter von Vorschulkindern werden vor allem in Osteuropa kritisch gesehen (vgl. Abb.1). In Ungarn glauben vier von fünf Befragten, dass die Kinder in diesem Fall leiden. Auch in Georgien (72%), Russland (64%), Bulgarien (62%), Polen (57%) und Litauen (56%) ist eine Mehrheit dieser Meinung. Westdeutschland, das aufgrund der unterschiedlichen kulturellen Prägungen unabhängig vom Osten des Landes erfasst wurde, führt mit 46% Zustimmung zu der Aussage die mittlere Gruppe an. Hierher gehören auch Australien und Rumänien (45%), Österreich (42%), sowie die Tschechische Republik (41%). Auch in Frankreich, einem Land, in dem die Mütter sehr häufig schon früh wieder arbeiten, sind immerhin 41% der Befragten der Meinung, dass die Kinder in einem solchen Fall leiden. Dass viele Mütter kleiner Kinder wieder arbeiten, bedeutet also nicht zwangsläufig, dass die Eltern negative Konsequenzen für ihre Kinder ausschließen. Vergleichsweise wenig Sorgen macht man sich hierüber in Belgien (29%), Japan (24%), Ostdeutschland (19%), sowie Estland (18%) und Norwegen (11%).
Dabei waren es grundsätzlich eher die Männer, die bei der Erwerbstätigkeit ihrer Frauen negative Konsequenzen für die Kinder fürchteten. Erstaunlicherweise fielen die Geschlechterunterschiede ausgerechnet in Norwegen, einem der Vorreiter in Sachen Gleichberechtigung, sowie in Österreich und Westdeutschland sehr hoch aus. Auch in den meisten anderen Ländern hatten die Männer die traditionelleren Ansichten. Lediglich in Australien, Bulgarien und Georgien waren sie liberaler eingestellt als die Frauen. Darüber hinaus zeigte sich, dass ältere, schlecht gebildete, verheiratete sowie kinderreiche Studienteilnehmer der Erwerbstätigkeit von Müttern besonders kritisch gegenüber standen.
Zustimmung zu der Aussage „Kinder leiden oft, weil ihre Väter sich zu sehr auf die Arbeit konzentrieren.“
Abb. 2: Vor allem die Österreicher und viele Osteuropäer sehen ein Problem darin, dass Väter zu wenig Zeit für ihre Kinder haben. Quelle: GGS
Inwieweit eine zu hohe Arbeitsbelastung der Väter als Problem angesehen wird, ist auf Grundlage der Daten weitaus schwieriger zu beantworten (vgl. Abb. 2). Denn die Aussage „Kinder leiden oft, weil sich ihre Väter zu sehr auf ihre Arbeit konzentrieren“, kann unterschiedlich interpretiert werden: Entweder dass viele Kinder leiden, weil Väter zu viel arbeiten, oder dass Kinder oft leiden, falls ihre Väter viel arbeiten. Neben Ungarn (77%) und Polen (73%), die eine häufige Abwesenheit der Väter ähnlich problematisch finden wie die Erwerbstätigkeit von Müttern junger Kinder, ist auch Österreich mit 80% hier in der Gruppe mit hoher Zustimmung. Norwegen, Rumänien und Australien hingegen sehen die Rolle der Väter weniger kritisch. Das kann allerdings ebenso gut daran liegen, dass viele Väter schon sehr viel Zeit mit ihren Kindern verbringen, als auch daran, dass eine aktivere Rolle von Vätern gar nicht so stark gewünscht wird.