Fast in allen Kreisen und kreisfreien Städten stieg die Lebenswartung in den Nullerjahren. Doch wie erleben wir diese zusätzliche Lebenszeit: als rüstige Rentner und Rentnerinnen? Oder resultiert die zusätzliche Lebenszeit einfach daraus, dass der Tod schwer kranker Menschen mit medizinischer Hilfe hinausgezögert wird? Um es zugespitzt zu formulieren: Ist es also eher kranke oder gesunde Lebenszeit, die wir hinzugewinnen?
Um Antworten auf diese Fragen zu finden, haben Daniel Kreft und Gabriele Doblhammer vom Rostocker Zentrum zur Erforschung des demografischen Wandels die Daten der Pflegestatistik analysiert, die alle Pflegebedürftigen, ihr Alter, ihr Geschlecht, ihren Wohnort sowie ihre genaue Pflegestufe beinhaltet. Demnach ist im untersuchten Zeitraum von 2001 bis 2009 die Zahl der Menschen in Langzeitpflege von 2,04 auf 2,34 Millionen gestiegen. Das entspricht rund 2,5 Prozent (2001) beziehungsweise 2,9 Prozent (2009) der deutschen Bevölkerung. Dieser Anstieg ist nicht verwunderlich – kommen doch in Deutschland gerade die Babyboomer-Generationen in ein höheres Alter. Die gute Nachricht dabei ist: Jeder Zweite benötigt vergleichsweise wenig Hilfe (Pflegestufe 1).
Doch damit ist nichts über die Qualität der über die Zeit hinzugewonnenen Lebensjahre gesagt. Diese wird durch das Verhältnis von gesunden und kranken Lebensjahren bzw. -monaten ausgedrückt, dem Health Ratio oder Gesundheitsquotienten. Kreft und Doblhammer beschreiben hierfür fünf etablierte Gesundheitsszenarien (vgl. Abb. 1): Im besten Fall nimmt die absolute Zahl der in Gesundheit verbrachten Jahre zu und Zeiten in Pflege ab (absolute Abnahme der Pflegebedürftigkeit), das ist in 97 Kreisen und kreisfreien Städten der Fall. Nimmt die Zahl der gesunden Jahre zwar zu, die Zeit der Pflegebedürftigkeit aber auch, spricht man von relativer Abnahme (21 Kreise) oder relativer Zunahme (263 Kreise) der Pflegebedürftigkeit, je nachdem, ob die in Gesundheit oder die in Krankheit verbrachte Zeit stärker gestiegen ist. Steigt beides gleich stark, bleibt der Gesundheitsquotient unverändert. Im ungünstigsten Fall sinkt die absolute Zahl der gesunden Jahre und die Zeiten in Pflegebedürftigkeit nehmen zu (absolute Zunahme) wie in vier deutschen Kreisen und kreisfreien Städten.
Abb. 1: Betrachtet man alle Pflegestufen, nimmt die Pflegebedürftigkeit in den meisten deutschen Kreisen zu. Der Anteil der schweren Pflegefälle (Stufe 2 und 3) ist dagegen zumeist rückläufig. Quelle: Statistische Landesämter, Pflegestatistik 2001- 2009, Regionalstatistik 2013, eigene Berechnungen.
Für das gesamte Bundesgebiet konnten Kreft und Doblhammer eine Zunahme sowohl der gesunden Jahre als auch der kranken Jahre feststellen. Letztere stiegen bei den Männern von 1,58 im Jahr 2001 auf 1,83 Jahre im Jahr 2009 und bei den Frauen von 3,05 auf 3,38 Jahre. Das liegt allerdings vor allem an der zunehmenden Zahl von Menschen, die vergleichsweise wenig Hilfe benötigen, also in die Pflegestufe 1 eingeteilt wurden. Die Zeitspanne, die Menschen in der Pflegestufe 2 oder 3 verbrachten, veränderte sich sowohl bei den Männern (0,85 Jahre) als auch bei den Frauen (1,61 Jahre) kaum. Die ohne Pflege verbrachten Jahre stiegen dagegen bei den Männern stärker an als bei den Frauen. Insgesamt ist der Anteil der Jahre mit Pflegebedürftigkeit (alle Pflegestufen) in den meisten Kreisen gestiegen, der Anteil starker Pflegebedürftigkeit (Pflegestufe 2, 3 und Härtefälle) aber ist stabil geblieben oder sogar zurückgegangen.
Es gibt jedoch relativ viele Kreise, die von diesem Gesamttrend stark abweichen – eine Heterogenität, die im untersuchten Zeitraum sogar noch zugenommen hat. Besonders deutlich zu erkennen ist dieser regionale Unterschied für schweren Pflegebedarf (vgl. Abb. 1, rechts): Hier stehen 126 Kreisen mit einer relativen Zunahme 160 bzw. 73 Kreise mit einer absoluten bzw. relativen Abnahme gegenüber. Die Qualität der hinzugewonnenen Lebensjahre kann also von Kreis zu Kreis sehr stark variieren, was nachweislich eher auf Unterschiede in den Pflegequoten als in den Sterblichkeitstrends zurückzuführen ist. Wie es zu diesen starken Unterschieden kommt, muss Gegenstand weiterer Untersuchungen sein.