ISSN 1613-8856

Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB)

Langer Arbeitsweg, weniger Kinder?

2017 | Jahrgang 14 | 4. Quartal

Keywords: Arbeitsbedingte geografische Mobilität, Dienstreisen, Fernpendeln, Fertilität, Sequenzanalyse, Länderübergreifender Vergleich

Mitautor der wissenschaftlichen Studie: Heiko Rüger

Während die einen im Kinderzimmer schon Bauklötze übereinander stapeln, sitzen die anderen noch im Auto oder weit entfernt in einem Hotelzimmer. Es ist nicht eben familienfreundlich, wenn Mütter und Väter für den Beruf sehr mobil sein müssen. Und dennoch gibt es Länder, in denen sich eine solche berufliche Mobilität kaum oder gar nicht auf die Anzahl der Kinder auswirkt. Das zeigten Heiko Rüger vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung und Gil Viry von der Universität Edinburgh anhand von Daten der Studie „Job Mobilities and Family Lives in Europe“. Sie konnten dabei auf Angaben von gut 1000 Personen zurückgreifen, die in Frankreich, Spanien, der Schweiz oder Deutschland leben und zum Zeitpunkt der Befragung älter als 40 Jahre waren – ihre Familienbildung also weitestgehend abgeschlossen hatten. 

Die beiden Autoren untersuchten die ganze Erwerbsbiografie der Befragten und fanden heraus, dass rund 15 Prozent der Männer und fünf Prozent der Frauen „beruflich hochmobil“ waren, und zwar im Schnitt gut 20 Jahre lang. Das heißt, sie pendelten täglich mehr als zwei Stunden oder hatten mehr als 60 berufsbedingte auswärtige Übernachtungen im Jahr. Ob es einen Zusammenhang zwischen einer solch hohen Mobilität und der Größe der eigenen Familie gibt, hänge stark mit den sozialen und kulturellen Bedingungen im Heimatland ab, schreiben Rüger und Viry. Fasst man alle beruflich Mobilen aus den vier Ländern zusammen, so zeigt sich bei Männern ein leichter, bei Frauen ein deutlicher Effekt der Mobilität auf die durchschnittliche Kinderzahl. Bei den übrigen Frauen lag die durchschnittliche Kinderzahl rund 37 Prozent höher als bei den Pendlerinnen. Allerdings war dies sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen fast ausschließlich auf die Angaben deutscher und schweizerischer Befragter zurückzuführen (vgl. Abb. 1). 

Abb. 1: Signifikante Abweichungen von der durchschnittlichen Kinderzahl im Heimatland haben beruflich hochmobile Frauen nur in Deutschland und der Schweiz. Werte unter eins bedeuten eine geringere, Werte über eins eine höhere durchschnittliche Anzahl von Kindern im Vergleich zu Frauen, die für ihren Beruf nicht hochmobil sein müssen. Quelle: Job Mobilities and Family Lives in Europe, eigene Berechnungen.

In Frankreich könnten Anforderungen der beruflichen Mobilität vermutlich durch eine bessere Kinderbetreuung, durch eine positivere Wahrnehmung arbeitender Mütter und eine hierauf abgestimmte Familienpolitik aufgefangen werden, ver- muten die Autoren. In Deutschland und der Schweiz hingegen sind die Angebote für Kinderbetreuung noch nicht so umfangreich, es gibt ein traditionelleres Familienbild und nicht zuletzt: die wirtschaftliche Situation in den Ländern ist sehr stabil, so dass Jobs, die eine hohe Mobilität erfordern, möglicherweise eher ausgeschlagen werden könnten.

Die vergleichsweise schlechte wirtschaftliche Situation in Spanien wiederum könnte ein Grund dafür sein, dass die Doppelbelastung von beruflicher Mobilität und einer höheren Kinderzahl hier eher in Kauf genommen wird, obwohl auch hier das Familienbild als eher traditionell gilt. Fernpendlerinnen haben in Spanien sogar mehr Kinder als der Durchschnitt. Die beiden Autoren führen das auch darauf zurück, dass in Spanien die Unterstützung der Familie durch Großeltern oder andere Verwandte eine größere Rolle spielt. Spanierinnen und Spanier würden daher eher einen weiteren Weg zur Arbeit in Kauf nehmen, als von den nahen Verwandten wegzuziehen. 

Bei Frauen, die für den Beruf häufig auswärts übernachten müssen, zeigte sich bei den deutschen und schweizerischen Frauen ein negativer Effekt auf die Anzahl der Kinder; Französinnen mit vielen auswärtigen Übernachtungen unterschieden sich hingegen nicht von den übrigen Frauen in Frankreich. Überraschenderweise zeigt sich ein solcher Zusammenhang auch bei Männern in der Schweiz und Deutschland: Wenn sie über viele Jahre hinweg oft auswärts übernachten müssen, haben sie häufiger gar keine Kinder als die übrigen Männer.

Literatur

  • Rüger, H. and G. Viry: Work-related travel over the life course and its link to fertility: a comparison between four European countries. European Sociological Review 33(2017)5, 645-660.
    DOI: 10.1093/esr/jcx064

Aus Ausgabe 2017/4

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