Rostocker Zentrum zur Erforschung des Demografischen Wandels

Erfüllter Kinderwunsch – eine Sache des Geldes?

2022 | Jahrgang 19 | 1. Quartal

Keywords: Assistierte Reproduktion, Unfruchtbarkeitshilfe, Deutschland, Gesetzgebung

Mitautorin der wissenschaftlichen Studie: Katja Köppen

Die Wahrscheinlichkeit (statistisch korrekt: Chance), dass reproduktionsmedizinische Leistungen in Anspruch genommen werden, ist bis zu 40 Prozent niedriger, wenn Paare nicht verheiratet sind. Liegt das Haushaltsnettoeinkommen über 2100 Euro, verdoppelt sich dagegen diese Wahrscheinlichkeit im Vergleich zu Paaren mit geringerem Einkommen. Das zeigen Katja Köppen und Heike Trappe von der Universität Rostock sowie Christian Schmitt, Leiter des Amtes für Statistik und Wahlen in Leipzig, in einer neuen Studie, die auf Daten des Beziehungs- und Familienpanels pairfam fußt. In dem Panel wurden Menschen, die in den Jahren 1971-73, 1981-83 und 1991-93 geboren wurden, von 2008 bis 2019 jährlich befragt. Katja Köppen und ihre Kolleg*innen verwendeten für ihre Analyse die Angaben jener Befragten, die älter als 25 Jahre waren und die im letzten Jahr versucht hatten, ein Kind zu bekommen, oder die zum Befragungszeitpunkt ein Kind erwarteten. Insgesamt waren das knapp 1500 Befragte, die während des Untersuchungszeitraumes über 250-mal reproduktionsmedizinische Methoden angewendet hatten. Dabei entschieden sich zwei Drittel der Befragten in dem Zeitraum nur einmal dafür, 21 Prozent zweimal und 15 Prozent dreimal oder noch häufiger. Gleichgeschlechtliche Partner*innen und Singles wurden aufgrund der geringen Anzahl von Befragten in der Analyse nicht berücksichtigt. 

Das Spektrum der erlaubten reproduktionsmedizinischen Maßnahmen ist in Deutschland relativ eng gefasst. Das Embryonenschutzgesetz aus dem Jahr 1990 erlaubt zwar die Samenspende, verbietet allerdings die Eizellspende oder Leihmutterschaft. Auch die Selektion von Embryonen mit voraus-sichtlich höchstem Entwicklungspotential ist nicht erlaubt. 

Die erlaubten medizinischen Maßnahmen lassen sich einteilen in nicht invasive Methoden wie die zeitliche Bestimmung des Eisprungs oder die Einnahme von Medikamenten sowie in invasive Methoden wie Operationen, die intrauterine Insemination (IUI), die In-vitro-Fertilisation (IVF) oder die intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI). Hinter den schwer verständlichen Namen verbergen sich Methoden der medizinisch unterstützten Befruchtung. Bei der IUI etwa werden Spermien zum optimalen Zeitpunkt direkt in die Gebärmutter injiziert. Für eine IVF entnimmt man Spermien und Eizelle, führt sie in einem Reagenzglas zusammen und setzt dann die befruchtete Eizelle in die Gebärmutter ein. Bei der ICSI werden ebenfalls Spermien und Eizelle entnommen, ein einziges Spermium wird dann allerdings direkt in die Eizelle injiziert. Auch hier wird der Frau später die befruchtete Eizelle eingesetzt. 

Die am häufigsten angewandten invasiven Maßnahmen waren die In-vitro-Fertilisation und die intrazytoplasmatische Spermieninjektion (zusammen 26 %). Auf die intrauterine Insemination entfielen neun und auf Operationen oder andere Maßnahmen knapp 6 Prozent. Gerade die invasiven Methoden sind allerdings nicht ganz billig: Eine In-vitro-Fertilisation kostet immerhin bis zu 4000 Euro, eine intrazytoplasmatische Spermieninjektion sogar bis zu 5000 Euro. 

Je nach Versicherung werden die Kosten ganz (für privat Versicherte) oder anteilig (für gesetzlich Versicherte) für die ersten drei Behandlungen übernommen. Oft ist zudem eine Ehe für die Zahlungen Voraussetzung, so dass anzunehmen ist, dass die hohen Kosten unverheiratete Paare oder Paare mit geringerem Einkommen von der assistierten Reproduktion eher abschrecken. 

Katja Köppen, Heike Trappe und Christian Schmitt haben daher untersucht, ob Bildung, Einkommen und Partnerschaftsstatus der Befragten die Wahrscheinlichkeit beeinflussen, mit der Menschen sich für eine reproduktionsmedizinische Maßnahme entscheiden. Darüber hinaus berücksichtigten sie in ihrer Analyse, welches Geschlecht und welches Alter die Befragten hatten, in welcher Region sie zu Hause sind, ob sie einen Migrationshintergrund haben, wie viele Kinder sie bereits haben, wie sie ihre eigene Gesundheit und ihre Fruchtbarkeit einschätzen und wie stark ihr Kinderwunsch ist. 

Insgesamt berichteten von den Befragten rund 13 Prozent, Probleme bei der Fortpflanzung zu haben. Rund ein Drittel dieser Befragten nutzte reproduktionsmedizinische Methoden. Die Mehrheit hierunter war weiblich (64 %) und fast drei Viertel verfügten über ein überdurchschnittliches Einkommen. Insgesamt war unter den Befragten, die sich für die Reproduktionsmedizin entschieden, auch ein größerer Anteil verheiratet (77 %), kinderlos (79 %) und hatte nach eigenen Angaben häufiger einen eher schlechten Gesundheitszustand (23 %) sowie Fruchtbarkeitsprobleme (52 %). Der Bildungsstand dagegen scheint überraschenderweise nicht ausschlaggebend zu sein bei einer Entscheidung für oder gegen reproduktionsmedizinische Maßnahmen (Abb. 1). 

Wer nutzt reproduktionsmedizinische Behandlungen?

Wer nutzt reproduktionsmedizinische Behandlungen?

Abb. 1: Unter den Befragten, die reproduktionsmedizinische Behandlungen in Anspruch nahmen, waren verhältnismäßig viele Menschen, die ein hohes Einkommen hatten, kinderlos waren und ihre Gesundheit als schlecht einschätzten. Quelle: pairfam, eigene Berechnungen

Was sich in den prozentualen Anteilen bereits andeutet, bestätigt sich auch in der Regressionsmodellierung: Die Wahrscheinlichkeit, dass Befragte sich für eine reproduktionsmedizinische Maßnahme entscheiden, steigt mit dem verfügbaren Monatseinkommen stark an (Abb. 2). Auch ein schlechter subjektiver Gesundheitszustand im Jahr vor der Behandlung erhöhte die Wahrscheinlichkeit einer reproduktionsmedizinischen Behandlung um 50 Prozent. Ob die Befragten einen Migrationshintergrund hatten oder in einem Bundesland lebten, das die Zuzahlungen für künstliche Befruchtungen abdeckte, hatte dagegen keinen Einfluss. 

Bestimmende Faktoren für eine Kinderwunsch-Behandlung

Bestimmende Faktoren für eine Kinderwunsch-Behandlung

Abb. 2: Vor allem das Einkommen, der Familienstand, die Anzahl der Kinder und der subjektive Gesundheitszustand waren einflussreiche Indikatoren für die Inanspruchnahme der Reproduktionsmedizin. Quelle: pairfam, eigene Berechnungen

Ein sehr wichtiger Faktor scheint indes auch der Partnerschaftsstatus zu sein. Liegt doch die Wahrscheinlichkeit einer reproduktionsmedizinischen Behandlung bei unverheiratet zusammenlebenden Paaren um 40 Prozent niedriger als bei verheirateten Paaren. Schaut man allerdings etwas genauer und teilt die Befragten in Haushalte, die mehr als 3000 Euro bzw. weniger als 3000 Euro Monatseinkommen haben, sieht das anders aus (Abb. 3): Verheiratete und unverheiratete Paare unterschieden sich nicht signifikant, wenn sie über ein überdurchschnittliches Einkommen verfügten. Nur für unverheiratete Paare mit einem unterdurchschnittlichen Einkommen war die Wahrscheinlichkeit für eine reproduktionsmedizinische Behandlung signifikant geringer. 

Kinderwunsch-Behandlungen nach Einkommen und Partnerschaftsstatus

Kinderwunsch-Behandlungen nach Einkommen und Partnerschaftsstatus

Abb. 3: Der Partnerschaftsstatus ist für die Wahrscheinlichkeit einer reproduktionsmedizinischen Behandlung vor allem dann relevant, wenn die Befragten ein geringes Einkommen haben. Quelle: pairfam, eigene Berechnungen

Die sich ändernden Lebens- und Familienformen sowie die damit verbundenen rechtlichen Reformen könnten solche Beschränkungen jedoch zunehmend aufweichen, vermuten die Autor*innen. Es sei daher wahrscheinlich, dass der Zugang zur Reproduktionsmedizin in Zukunft nicht mehr so stark an bestimmte Lebensformen gebunden sein wird. 

Literatur

  • Köppen, K., H. Trappe and C. Schmitt: Who can take advantage of medically assisted reproduction in Germany? Reproductive Biomedicine & Society Online 13(2021), 51-61.
    DOI: 10.1016/j.rbms.2021.05.002

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Aus Ausgabe 2022/1

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