ISSN 1613-8856

Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB)

COVID-19 und Depressionen

2023 | Jahrgang 20 | 1. Quartal

Keywords: Pandemie, Schulschließungen, Depression, Geschlechtsunterschiede

Wissenschaftliche Ansprechpartnerin: Helena Ludwig-Walz

Depressionen und Angststörungen bei Kindern und Jugendlichen waren auch schon vor der COVID-19-Pandemie ernstzunehmende Probleme, sie sind die am häufigsten auftretenden psychischen Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen in Europa. Mit Beginn der Pandemie und den damit verbundenen Schulschließungen und Lockdowns prognostizierten viele Mediziner*innen eine Zunahme von Depressionen in der jungen Generation. Dementsprechend wurden einige wissenschaftliche Studien durchgeführt, eine systematische Analyse dieser Einzelstudien gab es bisher aber nicht für Europa. Diese Lücke haben nun die Wissenschaftler*innen Helena Ludwig Walz und Martin Bujard vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, Indra Dannheim von der Hochschule Fulda, Lisa M. Pfadenhauer von der Ludwig-Maximilians-Universität München und Jörg M. Fegert vom Universitätsklinikum Ulm mit einer Meta-Analyse, die in der Fachzeitschrift „Child and Adolescent Psychiatry and Mental Health“ erschienen ist, geschlossen. Für diese Meta-Analyse haben sie eine umfangreiche Recherche in sechs verschiedenen medizinischen Datenbanken durchgeführt und wissenschaftliche Artikel zu dem Thema gesucht. Nach Sichtung der Studien blieben 22 Stück aus neun europäischen Ländern übrig. Insgesamt sind so die Daten von über 800.000 Kindern und Jugendlichen in die Meta-Analyse eingeflossen.

Einfluss der Schulschließungen auf die Depressionsraten bei Kindern und Jugendlichen

Einfluss der Schulschließungen auf die Depressionsraten bei Kindern und Jugendlichen

Abb. 1: Im oberen Teil der Grafik (grau) sind die Ergebnisse von Studien aus Ländern aufgeführt, in denen die Schulen sehr lange geschlossen waren. Im unteren Teil (grün) sieht man die Daten aus Ländern, in denen die Schulen zum Messzeitpunkt nur partiell geschlossen oder offen waren. Die sich überschneidenden Altersklassen rühren daher, dass die Studien unterschiedlich aufgebaut waren und verschiedene Altersklassen untersucht haben. Messeinheit: Standardisierte Differenzen der Mittelwerte und 95%-Konfidenzintervall.  Quelle: verschiedene Studien, eigene Berechnungen.

Die Forscher*innen stellten fest, dass allgemeine Depressionssymptome während der COVID-19-Pandemie tatsächlich deutlich zugenommen haben, sowohl bei Mädchen als auch bei Jungen und auch bei Jugendlichen. Ein Ländervergleich zeigte, dass deutlich mehr Depressionen auftraten, wenn es strenge Lockdowns mit starken Einschränkungen der sozialen Kontakte oder Schulschließungen gab. Dies sei, so die Wissenschaftler*innen, ein starker Hinweis darauf, dass insbesondere Maßnahmen zur Kontaktreduktion zu einer Steigerung der Depressionssymptome beigetragen haben. 

Die Untersuchungen bestätigen frühere Analysen, wonach Depressionen bei Kindern und Jugendlichen in allen Altersklassen während der Pandemie zugenommen haben, mit einer Ausnahme: Die Meta-Analyse kam zu dem Ergebnis, dass es bei den weiblichen Jugendlichen in der Altersklasse 16 bis 19 Jahre keine Zunahme gab. Bei den männlichen Jugendlichen war in der gleichen Altersklasse der Anstieg deutlich erhöht. Eine mögliche Erklärung für diesen Unterschied könnte sein, dass Jungen und männliche Jugendliche vor der Pandemie seltener an Depressionen erkrankten und deswegen in dieser Gruppe ein höheres Potential für eine Zunahme der Erkrankungsfälle  vorhanden sei, so die Forscher*innen.  Eine weiteres wichtiges Ergebnis: Während die Zunahme allgemeiner Depressionssymptome bei Mädchen und weiblichen Jugendlichen geringer ausfiel, stieg die Zahl der klinisch relevanten Depressionen bei ihnen deutlich an. 

Angesichts der Tatsache, dass rund 76 Millionen Kinder und Jugendliche in Europa von Lockdowns und Schulschließungen betroffen waren, stufen die Forschenden ihre Ergebnisse als beunruhigend ein. Sie empfehlen dringend, die betroffenen Geburtsjahrgänge 2001 bis 2010 in den kommenden Jahren genau zu überwachen, da Screening und frühzeitige Diagnostik entscheidend seien, um rechtzeitig Behandlungsangebote machen zu können. Lehrkräfte und Schulsozialarbeiter*innen sollten zudem für Depressionsrisiken und deren Ausprägungen sensibilisiert werden. Somit könnten zum Beispiel Betroffene frühzeitig identifiziert werden, die dringend eine stationäre Behandlung benötigen. 

Literatur

  • Ludwig-Walz, H., I. Dannheim, L. M. Pfadenhauer, J. M. Fegert and M. Bujard: Increase of depression among children and adolescents after the onset of the COVID-19 pandemic in Europe: a systematic review and meta-analysis. Child and Adolescent Psychiatry and Mental Health 16(2022)109, [1-20].
    DOI: 10.1186/s13034-022-00546-y

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Aus Ausgabe 2023/1

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