Vienna Institute of Demography

Klosterleben gleicht soziale Ungleichheiten aus

2025 | Jahrgang 22 | 1. Quartal

Keywords: Gesundheitliche Ungleichheiten, Klosterstudie, Religionsgemeinschaften, Sozioökonomischer Status, Sterblichkeit

Wissenschaftlicher Ansprechpartner: Marc Luy

Wer gebildet und wohlhabender ist, der lebt länger. Dieser Zusammenhang zwischen sozioökonomischem Status und der Sterblichkeit gilt für alle Industrieländer und ist kein neues Phänomen, sondern eines, das schon seit Langem beobachtet wird. Der Unterschied ist immens – je nach betrachteter Bevölkerungsgruppe und Land beträgt er fünf bis zehn Jahre. Theoretisch hätte er sich auflösen müssen, seitdem Krankheiten verschwunden sind und sich die Lebensumstände geändert haben, von denen man dachte, dass sie ursächlich seien für die höhere Mortalität von Personen mit niedrigem sozioökonomischem Status, wie zum Beispiel schlechte Hygienebedingungen und Infektionskrankheiten. Dem ist aber nicht so. Wenn man überhaupt eine Veränderung über den Verlauf der Zeit hinweg feststellen konnte, dann dahingehend, dass die Kluft in der Lebenserwartung zwischen sozioökonomisch schwachen und sozioökonomisch reichen Gruppen wächst. 

Überlebenskurven katholischer Mönche nach Bildungsabschluss

Überlebenskurven katholischer Mönche nach Bildungsabschluss

Abb. 1: Die Überlebenskurven zeigen, dass Mönche mit geringer Bildung (hellblaue Linien) eine ähnliche Sterblichkeit haben wie Mönche mit hohem Bildungsabschluss (dunkelblaue Linien) – und zwar unabhängig davon, wann sie geboren sind. Quelle: Klosterstudie, eigene Berechnungen der Studienautor*innen.

Diese Beobachtung führte zu der so genannten „Theorie der grundlegenden Ursachen“ (theory of fundamental causes), die 1995 von den US-amerikanischen Wissenschaftler*innen Jo C. Phelan und Bruce G. Link entwickelt wurde. Die Theorie besagt, dass es einen Zusammenhang zwischen sozioökonomischem Status und Gesundheitszustand gibt, weil sozioökonomischer Status eine Reihe „flexibel einsetzbarer Ressourcen“ verkörpert, etwa Geld, Wissen, Ansehen, Einfluss und vorteilhafte soziale Verbindungen, die die Gesundheit schützen, unabhängig davon, welche Mechanismen zu einem bestimmten Zeitpunkt relevant sind. Auch Marc Luy vom Vienna Institute of Demography forscht schon länger zum Zusammenhang zwischen sozioökonomischen Faktoren und Gesundheit. Sein Ziel: Er will das gesunde Altern besser verstehen. Um diese Forschung voranzutreiben, hat er vor einigen Jahren schon mit der sogenannten „Klosterstudie“ eine einzigartige Datenquelle aufgebaut, die Forscher*innen ermöglicht, Gesundheit und Langlebigkeit unter quasi standardisierten Bedingungen zu untersuchen. Sie enthält die Lebensdaten von Mitgliedern katholischer Ordensgemeinschaften. Die Ordensleute eignen sich besonders gut, um wissenschaftliche Fragestellungen zu bearbeiten, die sich um das sogenannte „erfolgreiche Altern“ drehen, weil ihre Lebensumstände sehr ähnlich sind. Sie haben den gleichen Tagesablauf, ernähren sich vergleichbar, wohnen unter den gleichen Bedingungen, unterscheiden sich nicht im Familienstand und teilen den gleichen Glauben. Dies sind alles Aspekte, die Gesundheit und Langlebigkeit beeinflussen. Darüber hinaus ermöglichen die Klosterarchive vieler Gemeinschaften die Rekonstruktion der Lebensläufe ihrer Mitglieder für einen Zeitraum von mehreren Jahrhunderten. Gemeinsam mit anderen Wissenschaftler*innen hat Marc Luy nun in einer aktuellen Studie diese Daten genutzt, um die Theorie der fundamentalen Ursachen zu testen. Auch hierfür bilden die Daten der Klosterstudie einzigartige Voraussetzungen: Obwohl sich Ordensleute ebenfalls bezüglich der klassischen sozialen Statusindikatoren Bildung, Berufstätigkeit und soziale Herkunft unterscheiden, haben alle den gleichen Zugang zu den in der Theorie der fundamentalen Ursachen beschriebenen flexibel einsetzbaren Ressourcen. Die Analyse basiert auf den Lebensdaten von rund 2.500 Mönchen, die zwischen 1840 und 1959 geboren wurden und in klösterlicher Gemeinschaft lebten oder leben. Als Kriterium für den sozialen Status wurde der Bildungsgrad herangezogen, der sich aus den Ordenstiteln „Padres“ und „Brüder“ ableiten lässt. Padres sind diejenigen, die studiert haben und überwiegend als Priester tätig sind oder waren, während die Brüder niedrigere Bildungsabschlüsse aufweisen und in der Regel mit einfacheren, oft manuellen Tätigkeiten betraut werden. 

Die Analyse zeigte: Es gibt keine statistisch signifikanten Unterschiede in der Sterblichkeit zwischen Mönchen mit höherem und Mönchen mit niedrigerem sozioökonomischem Status. Dies gilt für alle der untersuchten Geburtsjahrgänge (Abb. 1). Innerhalb der Klostermauern wird der Effekt der Bildung auf die Lebenserwartung also neutralisiert. Aus einer früheren Studie, in der die Sterblichkeit der Padres und Brüder mit jener von weltlichen Männern für die 1980er- und 1990er-Jahre verglichen wurde, ging hervor, dass die fehlende Bildungsdifferenz in der Lebenserwartung bei den Ordensmännern aus der geringen Sterblichkeit der Brüder resultiert, also der Mönche mit geringerem Bildungsniveau (Abb. 2). Die neue Studie fügt nun die Erkenntnis hinzu, dass das Aufheben der sozioökonomischen Nachteile in der Lebenserwartung durch den Eintritt in das Kloster nicht nur in der jüngeren Vergangenheit beobachtet werden kann, sondern sogar über einen Zeitraum von mehr als 100 Jahren. Und das, obwohl sich während dieser Zeit die Einflussfaktoren auf die Sterblichkeit und die Todesursachen selbst wesentlich verändert haben. 

Überlebenskurven nach Bildungsabschluss von Mönchen und weltlichen Männern

Überlebenskurven nach Bildungsabschluss von Mönchen und weltlichen Männern

Abb. 2: Eine frühere Studie von Marc Luy zeigte, dass Mönche mit geringer Bildung die gleiche Sterblichkeit haben wie Mönche und weltliche Männer mit hohem Bildungsniveau. Dieses Ergebnis veranlasste den Forscher, noch einmal genauer hinzuschauen. In der aktuellen Studie hat er untersucht, ob die fehlende Bildungsdifferenz in der Sterblichkeit der Mönche auch über einen historisch längeren Zeitraum zu beobachten ist. Quelle: VID-Forschungsbericht 40: 112–132.

Diese Ergebnisse bedeuten aber nicht unbedingt, dass die Bildung selbst keinen Einfluss auf die Langlebigkeit hätte, so die Wissenschaftler*innen. Neben der im Kloster gegebenen gleichen Ressourcenverteilung könne auch ein „Peer-Effekt“ zur Neutralisierung des Bildungseffekts beitragen, also der Einfluss der Höhergebildeten, die mit ihrem Wissen über Gesundheit das Gesundheitsverhalten der anderen Ordensleute positiv beeinflussen. Unter den Ordensmännern ist nämlich der Anteil der Hochschulabsolventen deutlich höher als in der Gesamtbevölkerung. Endgültig abgeschrieben ist somit der direkte Zusammenhang von Bildung und Lebenserwartung nicht. Aber die Studie zeigt, dass sich der Unterschied in der Lebenserwartung unter bestimmten Voraussetzungen nicht nur reduzieren, sondern sogar komplett eliminieren lässt.

Literatur

  • Schmitz, A., P. Lazarevič and M. Luy: No socioeconomic inequalities in mortality among Catholic monks: a quasi-experiment providing evidence for the fundamental cause theory. Journal of Health and Social Behavior [First published online: 14 November 2024].
    DOI: 10.1177/00221465241291847

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Aus Ausgabe 2025/1

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