Max-Planck-Institut für demografische Forschung

Mütter zwischen finanzieller Unabhängigkeit und Gefährdung

2005 | Jahrgang 2 | 2. Quartal

Keywords: Ost-West-Unterschied, Erwerbsarbeit, Mutterschaft

Wissenschaftliche Ansprechpartner*innen: Dirk Konietzka, Michaela Kreyenfeld

In Deutschland haben sich – wie in den meisten europäischen Ländern – Ehe, Elternschaft und Geschlechterrollen seit den 1970er- Jahren drastisch gewandelt. Die Familiengründung erfolgt heute häufig außerhalb der Ehe; nichteheliche Lebensgemeinschaften und Alleinerziehende prägen zunehmend das Bild der Familie. Der Wandel der Familienformen ist zugleich mit einem Bedeutungsverlust des traditionellen Familienmodells mit einer strikten Arbeitsteilung zwischen dem erwerbstätigen Mann und der vorrangig Haus- und Familienarbeit verrichtenden Frau einhergegangen. Diese Entwicklungen waren in Ostdeutschland schon zu DDR-Zeiten deutlicher ausgeprägt als in Westdeutschland. 

Im Verlauf des vergangenen Jahrzehnts haben sich allerdings die Arbeitsmarktbedingungen verschlechtert. Gerade in Ostdeutschland waren nach der Wende 1989 Frauen verstärkt von Erwerbslosigkeit und instabilen Beschäftigungsverhältnissen betroffen. In Folge der zunehmenden Brüchigkeit von Partnerschaften und dem Anstieg der Arbeitslosigkeit haben auch die sozioökonomischen Risiken, denen Familien ausgesetzt sind, zugenommen. 

Abb. 1: Anteil Vollzeit erwerbstätiger Mütter nach Alter des jüngsten Kindes; Frauen im Alter von 16 bis 45 Jahren. Quelle: Scientific Use File des Mikrozensus 2000 (eigene Berechnungen)

Vor diesem Hintergrund ist zu fragen, wie sich die ökonomische Lage für junge Mütter in Ost- und Westdeutschland, die Alleinerziehende sind oder mit dem Partner in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft leben, darstellt. Sind es vor allem Frauen mit hoher Erwerbsneigung, die nach der Geburt eines Kindes auf die traditionelle soziale Absicherung durch die Ehe verzichten? Oder bedeutet nichteheliche Mutterschaft vor allem eine prekäre Lebenssituation und Abhängigkeit von Sozialhilfe und anderen sozialstaatlichen Transferleistungen? 

In Abbildung 1 wird dargestellt, zu welchem Anteil Frauen – differenziert nach dem Alter des jüngsten Kindes und der Familienform – einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachgehen. Es zeigt sich, dass in Westdeutschland Frauen in nichtehelichen Lebensgemeinschaften, aber auch Alleinerziehende deutlich häufiger Vollzeit erwerbstätig sind als verheiratete Frauen.Vergleicht man ost- und westdeutsche Frauen in den verschiedenen Familienformen, wird deutlich, dass Frauen in den neuen Ländern insgesamt häufiger Vollzeit erwerbstätig sind. Am wenigsten unterscheidet sich im Ost-West-Vergleich das Erwerbsverhalten der Alleinerziehenden. 

Am größten sind die Ost-West-Unterschiede im Hinblick auf das Erwerbsverhalten verheirateter Frauen. Wenn das jüngste Kind im Grundschulalter ist, sind nur 16 Prozent der verheirateten westdeutschen Mütter, aber 60 Prozent der verheirateten ostdeutschen Mütter Vollzeit erwerbstätig. Die Ost-West-Differenzen in der Erwerbsbeteiligung von Müttern sind also nach wie vor groß. Tabelle 1 gibt einen Einblick in die Frage, wie hoch die Anteile der Frauen mit Kindern sind, die ihren überwiegenden Lebensunterhalt durch staatliche Transferzahlungen – vor allem Arbeitslosengeld/-hilfe, Sozialhilfe, Erziehungsgeld und Leistungen nach Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAFöG) – bestreiten. Es zeigen sich große Unterschiede im Ausmaß der überwiegenden Abhängigkeit der Mütter von staatlichen Transferleistungen zwischen den verschiedenen Familienformen. Insgesamt sind in Westdeutschland 62 Prozent der Alleinerziehenden auf Transferzahlungen, darunter hauptsächlich Sozialhilfe, angewiesen, wenn das jüngste Kind jünger als drei Jahre ist. Dieser Anteil sinkt, wenn das Kind zwischen sieben und zehn Jahren ist, auf 30 Prozent. Der staatliche Transferbezug hat für Frauen in nichtehelichen Lebensgemeinschaften mit 20 Prozent (Kind unter drei Jahren) und 13 Prozent (Kind zwischen sieben und zehn Jahren) eine deutlich geringere Relevanz, und verheiratete Frauen beziehen schließlich kaum Transferleistungen. 

In Ostdeutschland spielt der Transferbezug für Frauen mit Kindern im Alter unter drei Jahren in allen Familienformen eine größere Rolle als in Westdeutschland. Für 82 Prozent aller Alleinerziehenden und 65 Prozent der Mütter in nichtehelichen Lebensgemeinschaften, aber auch für 50 Prozent der Mütter in ehelichen Lebensgemeinschaften sind Transferleistungen in dieser Lebensphase die überwiegende Quelle des Lebensunterhalts. Diese Frauen beziehen allerdings nicht häufiger Sozialhilfe als die westdeutschen Frauen, sondern vor allem „andere Transferzahlungen“. Diese werden im Mikrozensus nicht genauer aufgeschlüsselt, es dürfte sich jedoch überwiegend um Leistungen nach dem Erziehungsgeldgesetz handeln. Auch wenn mit zunehmendem Alter des jüngsten Kindes die Bedeutung der Transferzahlungen deutlich abnimmt, sind immer noch 41 Prozent der alleinerziehenden Frauen, 24 Prozent der Frauen in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft und auch 21 Prozent der verheirateten Frauen auf Transferzahlungen als hauptsächliche Unterhaltsquelle angewiesen, wenn das jüngste Kind zwischen sieben und zehn Jahren alt ist. 

Tab. 1: Überwiegender Lebensunterhalt von Frauen mit Kindern. Quelle: Scientific Use File des Mikrozensus 2000; Frauen im Alter von 16 bis 45 Jahren (eigene Berechnungen).

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass im Westen Deutschlands Mütter in nichtehelichen Lebensgemeinschaften häufiger Vollzeit erwerbstätig sind als Mütter in anderen Familienformen. Damit sind sie auch seltener vom Partnereinkommen oder von Transferleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts abhängig. Alleinerziehenden Frauen gelingt es zwar ebenfalls in vielen Fällen, Kind und Erwerbsarbeit miteinander zu vereinbaren. Dennoch sind sie häufiger als andere Mütter auf wohlfahrtsstaatliche Transferzahlungen angewiesen. 

In Ostdeutschland sind Mütter insgesamt deutlich öfter erwerbstätig als Mütter in Westdeutschland. Am häufigsten Vollzeit erwerbstätig sind Mütter in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft; die verheirateten Frauen folgen ihnen aber mit geringem Abstand. Nur eine kleine Minderheit der verheirateten Frauen lebt in den neuen Ländern überwiegend vom Einkommen des Partners. In Ostdeutschland ist also die Ehe – anders als in Westdeutschland – nach wie vor nur schwach mit dem Modell des männlichen Ernährers verknüpft. 

Der Wandel der Familie in den 1990er-Jahren weist damit in Ost- und Westdeutschland unterschiedliche Merkmale auf. In Ostdeutschland hat sich eine Modernisierung der Familie, wie sie in der zunehmenden Erwerbsorientierung von Müttern zum Ausdruck kommt, über alle Familienformen hinweg durchgesetzt. Frauen bleiben überwiegend ökonomisch unabhängig, auch wenn sie verheiratet sind. Jedoch sind ostdeutsche Mütter zudem häufiger auf sozialstaatliche Transferleistungen angewiesen. Die im Vergleich zu Westdeutschland höheren Anteile der Frauen, die Arbeitslosengeld/-hilfe beziehen, verweisen auf eine stärkere ökonomische Gefährdung von Familien in Ostdeutschland. Ob es sich aus der Sicht der Frauen nur um einen temporären Transferbezug handelt, ob diese insbesondere in der intensiven Familienphase den Transferbezug bewusst in Kauf nehmen oder ob eine dauerhafte Abhängigkeit eines Teils der Mütter von wohlfahrtsstaatlichen Leistungen vorliegt, ist eine Frage, die nur im Längsschnitt des Lebensverlaufs untersucht werden kann.

Literatur

  • Konietzka, D. und M. Kreyenfeld: Nichteheliche Mutterschaft und soziale Ungleichheit: zur sozio- ökonomischen Differenzierung der Familienformen in Ost- und Westdeutschland. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 57(2005)1: 32-61.
  • Kreyenfeld, M. und D. Konietzka: Angleichung oder Verfestigung von Differenzen? Geburtenentwicklung und Familienformen in Ost- und Westdeutschland. Berliner Debatte Initial: Sozial- und Geistes- wissenschaftliches Journal 15(2004)4: 26-41.

Aus Ausgabe 2005/2

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