In Schweden und Norwegen haben sich die Unterschiede in der Fertilität zwischen Frauen verschiedener Bildungsgruppen verkleinert. Die Wende von einer höheren Kinderlosigkeit unter Höherqualifizierten zu einer Angleichung an die Raten der Kinderlosigkeit unter Frauen mit niedrigeren Bildungsabschlüssen beginnt mit den Geburtsjahrgängen der frühen 1950er-Jahre. Frauen dieser Geburtskohorten profitierten als Erste von der Expansion des Bildungswesens, des Arbeitsmarktes für Frauen und der sozialen Dienstleistungen sowie den politischen Anstrengungen zur Verringerung der Geschlechterdifferenzen im Bildungssystem und am Arbeitsmarkt.
Eine neue Studie des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung zeigt, dass der Bildungsgrad allein kein hinreichender Indikator für Kinderlosigkeit ist. Auswertungen von schwedischen Registerdaten über Geburtenverhalten und Bildung von Frauen, die in den Jahren 1955 bis 1959 geboren wurden, ergeben, dass die Ausbildungsrichtung ein entscheidender Faktor in Bezug auf Kinderlosigkeit ist. Frauen mit einer höheren Ausbildung bleiben zwar häufiger kinderlos als Frauen mit einem niedrigeren Bildungsgrad, doch gilt dies im Wesentlichen für Frauen derselben Ausbildungsrichtung.
Unabhängig von der Höhe des Bildungsabschlusses haben Frauen, die für einen Beruf im Unterrichts- oder Gesundheitswesen ausgebildet sind, eine niedrigere Kinderlosigkeit als jene, die eine berufliche Ausbildung in den Sozialwissenschaften, im Verwaltungs-, Wirtschafts- oder Dienstleistungsbereich haben (Abbildung 1). Die Kinderlosigkeit unter Frauen mit je einem Hochschulabschluss in Medizin und für das Lehramt an Gymnasien entspricht etwa dem nationalen Durchschnitt von 16 Prozent. Frauen mit einem Hochschulabschluss in diesen Bereichen bleiben seltener kinderlos als etwa Frauen, die nach ihrer – bis zum 16. Lebensjahr dauernden – Pflichtschulausbildung eine weiterführende, zweijährige Schule mit Berufsausbildung für das Hotel- und Gastgewerbe, in allgemeinen Dienstleistungen, in der Landwirtschaft oder eine dreijährige weiterführende Schule ohne spezifische Berufsausbildung abgeschlossen haben. Ebenso bleiben Frauen mit einer Ausbildung als Grundschullehrerin, Sozialarbeiterin oder Lehrerin für den Sonderschulbereich, die in Schweden alle mit einem Hochschuldiplom enden, seltener kinderlos als Frauen, die nach ihrer Schulausbildung keine weitere oder eine zwei- bzw. dreijährige Schule ohne Berufsausbildung besuchten.
Abb. 1: Anteil der dauerhaft Kinderlosen nach dem Bildungsgrad; schwedische Frauen der Geburtsjahrgänge 1955 bis 1959. Die Linien veranschaulichen den Trend des Kinderlosenanteils von Frauen in den Ausbildungsbereichen Unterricht und Gesundheit (rote Linie); Gewerbe, Industrie, technische Berufe, Ingenieur- und Naturwissenschaften (schwarze Linie); Verwaltung, Wirtschaft, Handel, Sozialwissenschaften (blaue Linie). Insgesamt liegen der Grafik 60 zusammengefasste Bildungsabschlüsse zugrunde
Die höchste Kinderlosigkeit weisen Frauen mit einer Ausbildung in Sozialwissenschaften, Geisteswissenschaften, Religion, Kunst oder Bibliothekswesen auf. Etwa ein Viertel bis ein Drittel der Frauen, die eine dieser Fachrichtungen wählen, bleibt kinderlos. Die Kinderlosigkeit unter diesen Frauen ist mehr als doppelt so hoch wie die Kinderlosigkeit unter Frauen, die eine Ausbildung im Gesundheits- oder Bildungsbereich haben, obwohl alle einen Hochschulabschluss mit demselben Grad besitzen.
Insgesamt betrachtet hat die Bildungsrichtung einen stärkeren Effekt auf das Geburtenverhalten als die Bildungshöhe. Für die größere Bedeutung der Bildungsrichtung gegenüber der Bildungshöhe scheinen mehrere, miteinander verschränkte Gründe ausschlaggebend. Ein wesentlicher Aspekt sind die Organisation des Bildungswesens sowie die Verknüpfung von Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten mit der Berufstätigkeit. Das schwedische Bildungssystem ist flexibel gestaltet und erlaubt Ausbildungen und Umschulungen über den gesamten Lebensverlauf nach persönlichen, familiären und arbeitsmarktbedingten Notwendigkeiten. Ein-, Aus- und Wiedereinstiege ins Bildungswesen, Unterbrechungen von Ausbildungen wegen Berufstätigkeit und von Berufstätigkeiten wegen Ausbildung sind in Schweden Alltag. Ein Angebot an institutioneller Kinderbetreuung für Kinder aller Altersstufen, eine flexibel gestaltbare Elternzeit, ein Elterngeld, das einen wesentlichen Teil des Einkommens ersetzt, und eine Geschlechterpolitik, die Mädchen, Frauen und Mütter fördert, reduzieren die negativen wirtschaftlichen und bildungsbezogenen Konsequenzen, die sich aus einer Mutterschaft für Frauen aller Bildungsebenen ergeben. Dies kann die Unterschiede in der Kinderlosigkeit zwischen Frauen mit hohem Bildungsabschluss und jenen mit niedrigerem verringern.
Auch kann die Geschlechterstruktur in den Bildungs- und den entsprechenden Berufsbereichen dazu beitragen, dass Frauen mit bestimmten Ausbildungsrichtungen Mutterschaft und Berufstätigkeit eher als vereinbar erachten als Frauen mit anderen Ausbildungsrichtungen. Frauen, die sich Kinder wünschen, tendieren möglicherweise dazu, Ausbildungsrichtungen zu wählen, die sie für einen Beruf qualifizieren, in dem Elternschaft und Berufstätigkeit leichter vereinbar erscheinen. Frauen, die eine Ausbildung für einen Beruf wählen, in dem sich – praktisch oder normativ – eine Vereinbarkeit von Elternschaft und Berufstätigkeit nur als beschränkt möglich erweist, verzichten unter Umständen auf Kinder. Die Unterschiede in der Kinderlosigkeit nach Bildungsrichtungen können daher als ein Indikator für unterschiedliche Arbeitsmarkt- und Berufsbedingungen von Frauen und Müttern betrachtet werden. Soll eine Elternschaft für alle möglich sein, ist es notwendig, die Strukturen des Bildungssystems und des Arbeitsmarktes, die Familienpolitik und die Geschlechterpolitik darauf auszurichten.