Vienna Institute of Demography

Lernen und Familie gründen schließen sich nicht aus

2006 | Jahrgang 3 | 1. Quartal

Keywords: Wohlfahrtsstaatstypen, Mutterschaft, Ländervergleich, Bildungsbeteiligung

Francesco C. Billari und Dimiter Philipov

Menschen treffen die Entscheidungen für ihr persönliches Leben im gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Umfeld. Eine Studie der Mailänder Bocconi-Universität und des Wiener Institutes für Demographie untersucht den Einfluss des Kontextes auf die Familiengründung von Frauen in elf westeuropäischen Ländern Ende des 20. Jahrhunderts. Die Länder werden in vier wohlfahrtsstaatliche Typen eingeteilt (nach Esping-Andersen), die sich an verschiedenen Familienbildern orientieren und diese entsprechend fördern. 

Familienrelevante Kennzeichen der Wohlfahrtsstaatstypen sind: 

* Universalistischer Wohlfahrtsstaat: Der Wohlfahrtsgedanke ist auf das Individuum gerichtet und universal. Arbeitende Elternteile bekommen erhebliche Unterstützung. 

* Konservativer Wohlfahrtsstaat: Familienpolitische Maßnahmen adressieren die Familie und sind in erster Linie nach dem Beschäftigtenstatus ausgerichtet. Die Familienpolitik unterstützt die traditionelle Arbeitsteilung zwischen Frau und Mann. 

* Liberaler Wohlfahrtsstaat: Unterstützung orientiert sich am Kampf gegen Armut und ist gering. Für Kinderbetreuungsangebote werden privatwirtschaftliche Initiativen gefördert. 

* Südeuropäischer Wohlfahrtsstaat: Familienpolitische Maßnahmen beinhalten nur bescheidene Auszahlungsbeträge. Eine Vereinbarkeit von Mutterschaft und Erwerbstätigkeit wird nicht gefördert. Die Unterstützung junger Menschen, einschließlich einer Familiengründung, wird deren Eltern überlassen. 

Betrachten wir die Auswirkung der Bildungsbeteiligung auf die Geburt eines ersten Kindes in den verschiedenen Gruppen von Wohlfahrtsstaaten (siehe Tabelle 1.a). In allen Ländern beschleunigt ein Ausscheiden aus der Ausbildung den Übergang in die Mutterschaft. Die höchsten Raten (Multiplikatoren) werden in den Ländern mit konservativem Wohlfahrtssystem beobachtet. In Westdeutschland ist die relative Neigung von nicht mehr in Ausbildung befindlichen Frauen, ein erstes Kind zu bekommen, fast fünf Mal so groß wie die von Frauen, die sich noch in Ausbildung befinden. In Österreich forciert ein Ausbildungsende die Geburt eines ersten Kindes um das mehr als Dreifache. In den übrigen Wohlfahrtssystemen ist der Beschleunigungseffekt schwächer. 

Tab. 1: Zusammenhang von Ausbildungsbeteiligung und Übergang zur Mutterschaft: Quelle: Fertilitäts- und Familien-Survey; eigene Berechnungen.

Schauen wir uns die umgekehrte Reihenfolge der beiden Prozesse an  –  also den Einfluss einer Geburt auf den Verbleib der Mutter in einem Ausbildungsprozess –, sind ebenfalls Unterschiede zwischen den Wohlfahrtssystemen zu finden. So haben Mütter nach der Geburt des ersten Kindes in den konservativen Ländern Österreich, Deutschland (West), Frankreich und Belgien (Flandern) eine erhöhte Neigung, die Ausbildung vorzeitig zu beenden, verglichen mit kinderlosen Frauen (siehe Tabelle 1.b, Multiplikatoren größer als 1). In den übrigen untersuchten Ländern verzögert ein erstes Kind den Austritt aus der Ausbildung lediglich (Multiplikatoren kleiner als 1). 

Somit wirkt sich eine Teilnahme an Ausbildungsgängen auf den Beginn der Mutterschaft in jenen Ländern stärker aus, die zu den konservativen Wohlfahrtsstaaten gehören. Diese lassen wegen einer nur geringen Flexibilität im Bildungssystem und in der Erwerbstätigkeit kaum zu, dass Bildung und Mutterschaft vereinbart werden können. Weniger problematisch ist die Kombination von Mutterschaft und Ausbildung in den universalistischen Wohlfahrtsstaaten Norwegen, Finnland und Schweden. Auch in Italien und Spanien sind Ausbildung und Mutterschaft vereinbar. Dies resultiert offenbar aus der Unterstützung, die Mütter in den mediterranen Ländern durch ihre Herkunftsfamilien erfahren. Ein weiteres gemeinsames Merkmal der nordischen und der südeuropäischen Staaten ist, dass die Geburt des ersten Kindes während der Ausbildung dort zu einer Verlängerung der Ausbildungsdauer führt. 

Wie können wir diese Resultate erklären? Die vier Typen von Wohlfahrtsstaaten beeinflussen auf unterschiedliche Art das gesamte „Paket“ von wechselseitig wirkenden Verhaltensweisen im Übergang zum Erwachsenenleben, so den Zusammenhang zwischen Bildungslaufbahn und Zeitpunkt eines ersten Kindes. Im universalistischen Wohlfahrtsstaat hängt die Rolle der Frau in wesentlich geringerem Maße von den Kräften des Marktes ab. Der familienpolitische Ansatz in den nordischen Ländern hat zu einer guten Vereinbarkeit der Mutterrolle mit der Teilnahme am Ausbildungsangebot und damit zu einer geringen Wechselwirkung zwischen diesen beiden Lebensbereichen beigetragen. Ausgeprägte Unterstützung durch die Herkunftsfamilie, wie sie in Südeuropa typisch ist, kann schaffen, was im Norden politische Maßnahmen bewirken: die Dauer der Ausbildung zwar zu verlängern, aber diese abzuschließen. Somit muss die Geburt eines Kindes nicht nach sich ziehen, dass eine Frau ihre Ausbildung abbricht. Hingegen führen die familienbezogenen Maßnahmen der konservativen Staaten nicht zum selben Ergebnis wie in den universalistischen Systemen; in konservativen Ländern und in der liberalen Marktwirtschaft ist die Wahrscheinlichkeit eines vorzeitigen Ausbildungsendes für junge Mütter höher. 

Die Wechselwirkung zwischen dem Zeitpunkt der Geburt eines ersten Kindes und dem Ende der Ausbildung ist in jenen Ländern größer, deren Bildungssysteme Frauen weniger Unterstützung bieten – entweder für die Vereinbarkeit mit der Mutterschaft oder für eine Ausdehnung der Ausbildungsdauer. Die Resultate unterstreichen, dass der Vereinbarkeit von Bildung oder Erwerbstätigkeit und Elternschaft eine zentrale Rolle im Lebenslauf von Frauen zukommt.

Literatur

  • * Billari, F.C. and D. Philipov: Education and the transition to motherhood: a comparative analysis of Western Europe. Vienna Institute of Demography, Vienna 2004, 40 p. (European demographic research papers; 3).
  • Esping-Andersen, G.: Social foundations of post- industrial economies. Oxford 1999.

Aus Ausgabe 2006/1

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