Vienna Institute of Demography

Trend zu späterer Mutterschaft hält an

2006 | Jahrgang 3 | 3. Quartal

Keywords: Österreich, Fertilität, Fertilitätsmessung, Geburtensaisonalität

Tomásˇ Sobotka, Maria Winkler-Dworak

Österreich erlebte auch im vorigen Jahrhundert schon mehrmals deutliche Geburtenrückgänge, meist aber infolge äußerer Ereignisse, wie Krieg und Wirtschaftskrise. Die derzeit niedrige Fruchtbarkeit (1,41 Kinder pro Frau im Jahr 2005) fällt durch ihr langfristiges Anhalten und die relativ stabilen Zahlen auf. Dieses Phänomen wird jüngst sowohl in den Medien als auch in der Politik immer stärker diskutiert. 

Das wachsende Interesse für die niedrigen Geburtenraten erfordert eine genauere Analyse, die sich folgenden Fragen widmet: In welchem Ausmaß hat die zeitliche Verschiebung der Mutterschaft in höhere Lebensalter die beobachteten Trends und Werte der Fruchtbarkeitsrate beeinflusst? Ist die niedrige Fruchtbarkeit durch zunehmende Kinderlosigkeit zu erklären oder durch Einschränkungen der Familiengröße bei Frauen, die bereits Mutter sind? Gibt es kurzfristige Geburtentrends, die eng mit spezifischen Faktoren, insbesondere familienpolitischen Maßnahmen, verknüpft sind?

Am Wiener Institut für Demographie stellen wir uns solche Fragen mit dem „Geburtenbarometer“, einer monatlichen Beobachtung der Fruchtbarkeit in Österreich, bei der jeweils aktuellste Geburtendaten verwendet werden. Wir schätzen auf dieser Basis die konventionelle Gesamtfruchtbarkeitsrate (TFR, Zahl der Kinder pro Frau) ebenso wie Wahrscheinlichkeiten einer weiteren Geburt (Familienzuwachswahrscheinlichkeit). Für zweite und weitere Geburten wird nicht das Alter der Mutter, sondern der Abstand zur vorherigen Geburt herangezogen, um den Fertilitätsindikator Period Average Parity (PAP) zu berechnen. Die Geburtenintervalle waren in Österreich in den vergangenen Jahrzehnten relativ konstant. Daher ist die PAP weniger abhängig von der anhaltenden Verschiebung der Mutterschaft in höhere Lebensalter, während die TFR durch den sogenannten Tempoeffekt in den meisten Ländern Europas verzerrt wird (siehe Demografische Forschung Aus Erster Hand 1/2005). Schließlich gestattet das monatliche Format dieser Analyse präzise Rückschlüsse auf Einflussfaktoren, denen Österreichs Geburtenziffern unterliegen, vor allem hinsichtlich wirtschaftlicher Veränderungen und Familienpolitik. 

Abb. 1: Gesamtfruchtbarkeitsrate (TFR) und Period Average Parity (PAP) in Österreich von Januar 1984 bis April 2006.

Die Ergebnisse des „Geburtenbarometers“ werden mit einer zeitlichen Verzögerung von drei Monaten in der Mitte des Kalendermonats publiziert. Eine Saisonbereinigung berücksichtigt langfristige jahreszeitliche Geburtenmuster ebenso wie zufällige Fluktuationen der monatlichen Geburtenzahlen. Abbildung 1 zeigt, dass die PAP systematisch höher liegt als die meist verwendete TFR. Der Unterschied betrug von 1984 bis 2005 im Durchschnitt 0,20 Kinder pro Frau und zieht sich bis in die Gegenwart: im April 2006 lag die TFR bei 1,39, während die PAP 1,61 erreichte. Der gesamte Beobachtungszeitraum war also von einem allmählichen Trend zu späterer Mutterschaft geprägt, was die TFR wesentlich stärker zurückgehen lässt als die PAP. 

Die Familienzuwachswahrscheinlichkeiten von kinderlosen Frauen und Müttern von einem Kind sind in Österreich beinahe gleich. Nach den Zahlen von 2005 bekamen 76 Prozent dieser Frauen ein erstes beziehungsweise ein zweites Kind. Die Wahrscheinlichkeit für weitere Geburten liegt weitaus niedriger: 37 Prozent für Mütter von bereits zwei Kindern und 30 Prozent für Frauen, die schon drei Kinder haben. 

Obwohl die Zuwachswahrscheinlichkeiten in Österreich in den vergangenen zwei Jahrzehnten relativ stabil waren, gab es zwei deutliche Umwälzungen in der Fruchtbarkeit, die jeweils eng mit Änderungen in der Familienpolitik in Zusammenhang standen: Zunächst nahm die Fruchtbarkeit vorübergehend Anfang der 1990er-Jahre zu; dies ging mit der Verlängerung des Karenzurlaubs einher. Zu geringen Steigerungen der Fruchtbarkeitsrate kam es zwischen Oktober 2001 und August 2004, die einem Rekordtief der Geburten folgten (TFR bei 1,33 und PAP bei 1,55). Diese Steigerung fiel wiederum zeitlich mit einer weiteren Verlängerung des bezahlten Erziehungsurlaubs auf bis zu 30 Monate sowie einer Ausweitung des Kreises der Anspruchsberechtigten zusammen; diese Änderungen wurden im April 2001 von der Regierung beschlossen und traten per Januar 2002 in Kraft. Die Analyse zeigt, dass die relative Zunahme der Geburten bei Müttern von zwei und drei Kindern am stärksten war. Jedoch deutet ein aktueller Rückgang in den Zuwachsraten zur zweiten und dritten Geburt eher darauf hin, dass der Trend nur vorübergehend ist. 

Obwohl die Geburtenraten in Österreich nicht von so ausgeprägten Schwankungen gekennzeichnet sind, wie sie sich in jüngster Zeit in anderen Staaten Europas  zeigen, bringt die monatliche Analyse der Geburtenzahlen gemeinsam mit der Verwendung von Familienzuwachswahrscheinlichkeiten wichtige Einsichten. Die weitere Verbreitung des Konzepts der Period Average Parity (PAP) als Alternative zur Gesamtfruchtbarkeitsrate TFR könnte das Verständnis der europäischen Fruchtbarkeitstrends und der Unterschiede zwischen den Ländern bedeutend erhöhen.

Literatur

  • Sobotka, T., M. Winkler-Dworak, M. R. Testa, W. Lutz, D. Philipov, H. Engelhardt and R. Gisser: Monthly estimates of the quantum of fertility: towards a fertility monitoring system in Austria. Vienna Yearbook of Population Research 2005, W. Lutz and G. Feichtinger (Eds.). Vienna Institute of Demography of the Austrian Academy of Sciences, Vienna 2005, 109-141.
  • Sobotka, T.: Fertility in Austria: An Overview. Vienna Yearbook of Population Research 2005, W. Lutz and G. Feichtinger (Eds.). Vienna Institute of Demography of the Austrian Academy of Sciences, Vienna 2005, 243-259.
  • Geburtenbarometer: eine neue Methode zur Messung der monatlichen Geburtenentwicklung. Institut für Demographie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 2006.

Aus Ausgabe 2006/3

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