Max-Planck-Institut für demografische Forschung

Steigt die Lebenserwartung mit der Rentenhöhe?

2006 | Jahrgang 3 | 4. Quartal

Keywords: Deutschland, Lebenserwartung, Rentner, Sozioökonomisches Gefälle

Rembrandt Scholz, Vladimir Shkolnikov und Dimitri Jdanov

Sozio-ökonomische Ungleichheiten der Sterblichkeit im höheren Alter haben eine hohe Relevanz, weil der Umfang der älteren Bevölkerung in der Bundesrepublik schnell zunimmt und weil große Unterschiede in der sozio-ökonomischen Situation bestehen. Über die sozio-ökonomischen Differenzen in Deutschland und deren Einfluss auf die Lebenserwartung ist bisher wenig bekannt, was weitgehend der restriktiven Handhabung des Datenschutzes geschuldet ist. 

Durch die Öffnung der Rentenversicherungsdaten in Deutschland für die Forschung können nun – unter Berücksichtigung der strengen Datenschutzauflagen – erstmals Analysen der rentenberechtigten Personen durchgeführt werden. Eine Studie, die in Zusammenarbeit des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung Rostock mit dem Forschungsdatenzentrum (FDZ) der Deutschen Rentenversicherung (DRV-Bund) entstanden ist, wertet Mikrodaten des FDZ aus. Diese stehen anonymisiert seit 2005 für die Forschung zur Verfügung und umfassen Daten zu Zugang, Bestand, Wegfall, Berechnung und Bezug der Rente sowie demografische Daten der Versicherten.

Die DRV-Daten bestehen aus individuellen Datensätzen, die für jede Rente angelegt und die Grundlage aller Rentenzahlungen sind. Mit Ausnahme vieler Beamter und Selbstständiger führen die meisten Erwerbstätigen Beiträge an die Deutsche Rentenversicherung ab. Mehr als 90 Prozent der deutschen Männer über 65 Jahre beziehen gesetzliche Rente. Somit konnten in der Studie Angaben von über 5,2 Millionen männlichen Rentnern ausgewertet werden. Die Rentenstatistik ermöglicht, das Sterberisiko in Abhängigkeit von der persönlichen Einkommenssituation zu bestimmen, da ein Todesfall den Versicherungsanspruch beendet und gemeldet wird; die Analyse enthält 256.000 Sterbefälle. Die Höhe der Rente ist ein ungefähres Maß für die wirtschaftliche Lage des Versicherten; je mehr ein Erwerbstätiger im Laufe seines Lebens verdient hat, desto höher sind seine Altersbezüge. Jedoch sind vor allem in Westdeutschland, wo die traditionelle Rolle des Mannes als Ernährer der Familie erst langsam schwindet, nur die Angaben der Männer aussagekräftig. Viele Frauen der heutigen Rentengeneration waren nur wenige Jahre berufstätig oder nur teilzeitbeschäftigt, so dass die Beitragszahlungen keinen Rückschluss auf ihren sozialen Status zulassen. Auch konnten Personen mit nicht-deutscher Staatsbürgerschaft bzw. Personen mit Migrationshintergrund in der Studie nicht berücksichtigt werden. 

Der Rentenentgeltpunkt eines Jahres wird berechnet als relatives Verhältnis des Jahreseinkommens zum Durchschnitt aller Jahreseinkommen aller Personen des Jahres. Für den Durchschnitt ergibt sich der Wert 1, ein um zehn Prozent niedrigeres Einkommen entsprechend den Wert 0,9. Damit erzielt der durchschnittliche Rentner nach 45-jähriger Beschäftigung 45 Rentenentgeltpunkte. Die Multiplikation der Anzahl der Rentenpunkte mit dem Wert eines Rentenpunktes ergibt die Höhe der Rente. Der Wert eines Rentenentgeltpunktes beträgt in Ostdeutschland 22,97 Euro, in Westdeutschland 26,13 Euro (Stand 2004). 

Die Rentenentgeltpunkte sind ein guter Indikator für das Einkommen über das gesamte Arbeitsleben in abhängiger Beschäftigung. Die individuelle Rente hat den kumulierten relativen Beitrag aller Arbeitsjahre zur Grundlage und stellt eine Kumulation der Rentenentgeltpunkte über das gesamte Leben dar. Es ist zu vermuten, dass sich besonders in der Gruppe mit der geringsten Zahl von Rentenentgeltpunkten Personen befinden, die über andere Einnahmen verfügen, die zur Einschätzung des sozio-ökonomischen Status einbezogen werden müssten. So werden Beamte, Freiberufler, private Handwerker und Selbstständige nur teilweise im Rentensystem erfasst. Um diese Unschärfe zu vermeiden, werden die Personen in den ersten beiden Dezilen der Rentenpunkte ausgeschlossen. Die Analyse wird also eingeschränkt auf Personen, die mehr als 32 Rentenpunkte erreicht haben. Dieser Ausschluss von Personen betrifft 22 Prozent der Männer in Westdeutschland und drei Prozent der Männer in Ostdeutschland. 

Abb. 1: Fernere Lebenserwartung in Deutschland für Männer im Alter von 65 Jahren nach Anzahl der persönlichen Rentenentgeltpunkte; Quelle: Daten des FDZ der DRV, 2003 (eigene Berechnungen).

Die Berechnung von Sterbetafeln nach dem ökonomischen Status zeigt eine stetige Entwicklung (siehe Abbildung 1): Die Lebenserwartung ist am geringsten für Personen mit 32 bis 39 Rentenpunkten. Für Männer mit einer höheren Anzahl an Rentenentgeltpunkten steigt die Lebenserwartung linear. Die fernere Lebenserwartung im Alter von 65 Jahren und älter variiert zwischen 14,6 und 19,1 Jahren. Die Gruppe mit der besten sozio-ökonomischen Situation erreicht die höchste Lebenserwartung. Im Ost-West-Vergleich zeigt sich das gleiche Bild. Dies spricht dafür, dass die Rentenhöhe die sozio-ökonomische Lage der Personen in Ost- und  Westdeutschland in gleicher Weise beschreibt und den gleichen Zusammenhang zur Lebenserwartung hat. 

Abb. 2: Fernere Lebenserwartung für 65-jährige Männer im Ländervergleich und Streuung in den sozio-ökonomischen Gruppen in Deutschland; Quelle: Daten des FDZ der DRV, 2003 (eigene Berechnungen); Human Mortality Database.

In Abbildung 2 ist die fernere Lebenserwartung in ausgewählten Ländern von Männern im Alter von 65 Jahren dargestellt. Für Deutschland sind die niedrigste und die höchste sozio-ökonomische Gruppe sowie der Mittelwert abgebildet. Einerseits ist bemerkenswert, wie klein der Streubereich (+/-2,3 Jahre) in Deutschland ist. Andererseits relativiert die Einordnung der sozio-ökonomischen Streuung der Lebenserwartung in den internationalen Vergleich der Lebenserwartung die Bedeutung dieser Differenzen. Zu erkennen ist, dass auch die niedrigeren sozio-ökonomischen Gruppen in Deutschland im internationalen Vergleich im Mittelfeld der durchschnittlichen ferneren Lebenserwartung liegen. 

Die Ergebnisse bestätigen, dass ein sozio-ökonomischer Gradient in der Sterblichkeit auch im höheren Alter besteht. Die signifikanten Mortalitätsunterschiede im hohen Alter lassen auf unterschiedliche Lebenschancen und Verhaltensweisen in verschiedenen sozialen Gruppen schließen. Die Männer mit der höchsten Lebenserwartung sind in der Rentnergruppe mit den höchsten persönlichen Entgeltpunkten zu finden. 

Allerdings sind daraus keine Kausalitätsaussagen abzuleiten. Wahrscheinlich wird der Zusammenhang über die Bildung und den Gesundheitszustand erklärt: Personen mit höherer Bildung gehen anders mit Gesundheitsgefährdungen um; weil sie zum Beispiel weniger Alkohol trinken und seltener rauchen, sind ihre Ernährung und Lebensstil insgesamt günstiger. Sie können sich bessere Wohnbedingungen leisten und die Angebote des Gesundheitssystems besser nutzen. 

Bisher ist Deutschland ein klassisches Land mit universellem Zugang zum Gesundheitsversorgungssystem. Mit der aktuellen Entwicklung im Gesundheitswesen und einer erhöhten Selbstbeteiligung ist jedoch zu erwarten, dass soziale Differenzierungen in der Lebenserwartung zunehmen werden.

Literatur

  • Gaudecker, H.-M. von and R.D. Scholz: Lifetime earnings and life expectancy. Max Planck Institute for Demographic Research, Rostock 2006 (MPIDR working paper; WP-2006-008).
  • Shkolnikov, V.M., R.D. Scholz, D.A. Jdanov, M. Stegmann und H.-M. von Gaudecker: Length of live and wealth of German men after retirement. Präsentation beim Symposium „Herausforderung Alternde Gesellschaft – Wie kann die Demografie zu einer neuen Perspektive beitragen?“zum zehnjährigen Bestehen des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung, Rostock, 17. Oktober 2006.

Aus Ausgabe 2006/4

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