ISSN 1613-8856

Vienna Institute of Demography

Was leisten Großeltern heute?

2007 | Jahrgang 4 | 4. Quartal

Keywords: Großeltern, Enkel, Kinderbetreuung, Europa, Share

Isabella Buber und Karsten Hank

Menschen, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts geboren wurden, kannten ihre Großeltern meist nur aus Erzählungen. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde die Mehrgenerationenfamilie zu einem weit verbreiteten Phänomen. Kinder teilen mit ihren Großeltern seither oft Lebensspannen von 20 bis 30 Jahren. Der Anstieg der Lebenserwartung wirkte sich wesentlich auf die Familienstruktur und auf die Möglichkeit intergenerativer Transfers aus. Diese Transfers finden in beiden Richtungen statt. Neben den klassischen Unterstützungsleistungen zwischen den Generationen wie finanzielle Hilfe für die Jüngeren und die Pflege der Älteren wird eine weitere Form der Beziehung möglich, nämlich eine intensivere Mithilfe der Großeltern bei der Betreuung der Enkelkinder. 

Die vorliegende Studie des Vienna Institute of Demography (VID) und des Mannheim Research Institute for the Economics of Aging (MEA) geht der Frage nach, ob und wie oft Großeltern bei der Betreuung ihrer Enkelkinder mithelfen und ob es dabei Unterschiede zwischen verschiedenen europäischen Ländern gibt. 

Bei der Betreuung von Kindern durch ihre Großeltern ist zwischen der alleinigen Betreuung durch die Großeltern – etwa im Falle von sozialen Problemen der Eltern – und der unterstützenden Betreuung zu unterscheiden. In der amerikanischen Literatur gibt es eine Reihe von Studien zur alleinigen Betreuung von Kindern durch Großeltern, aber auch zu den emotionalen und sozialen Umständen von unterstützender Betreuung durch die Großeltern. Für Europa gibt es hingegen bislang kaum vergleichende Studien über die Rolle der Großeltern bei der Betreuung der Enkelkinder.

In Rahmen des „Survey of Health, Ageing and Retirement in Europe“ (SHARE) wurden in den Jahren 2004 und 2005 umfassende Angaben zur gesundheitlichen und ökonomischen Situation von rund 31.000 älteren Personen in zwölf vorwiegend europäischen Ländern erhoben, nämlich in Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Israel, Italien, Spanien, Österreich, Schweden, Schweiz und in den Niederlanden. Neben Fragen zu Freizeitaktivitäten, zur Freiwilligenarbeit, zur Wohnsituation und zu Erfahrungen mit dem Älterwerden lag ein Schwerpunkt der Erhebung auf der sozialen und finanziellen Unterstützung von anderen und durch andere. Basierend auf der ersten Welle des als Panel angelegten Datensatzes wurde ermittelt, inwieweit ältere Menschen in die Betreuung der Enkelkinder eingebunden sind. 

Sämtliche Großeltern wurden im Zuge der SHARE-Erhebung befragt, ob sie innerhalb der vergangenen zwölf Monate regelmäßig oder gelegentlich auf ihr(e) Enkelkind(er) aufgepasst haben - ohne dass die Eltern dabei waren. Die Abwesenheit der Eltern war entscheidend, um Besuche oder Treffen ausschließen zu können, bei denen die Großeltern keine aktive oder alleinige Betreuungsleistung erbringen. Im Falle der Angabe, auf ein Enkelkind aufgepasst zu haben, wurde weiter gefragt, wessen Kind dieses Enkelkind war und wie oft es betreut worden war. Da auch Eckdaten zu den einzelnen Kindern und deren eigenen Kindern erhoben wurden, sind Angaben zu drei Generationen Großeltern, Kindern und Enkelkindern – enthalten, die eine detaillierte Analyse der intergenerativen Unterstützung ermöglichen. Ausgangspunkt der Studie waren Befragte mit mindestens einem Enkelkind unter 15 Jahren. Dies traf auf 14.532 Personen im Alter von 50 oder mehr Jahren zu (6.242 Großväter und 8.290 Großmütter). 

Abb. 1: Anteil der Großmütter und Großväter, die in den vergangenen 12 Monaten Enkelkinder betreut haben; Quelle: SHARE Release 2.0.1; gewichtete Daten; eigene Berechnungen; Anmerkung: Daten für Israel sind ungewichtet

Durchschnittlich fast 60 Prozent der Großmütter und knapp die Hälfte der Großväter betreuen im Laufe eines Jahres zumindest gelegentlich ein Enkelkind (Abbildung 1). Die höchsten Anteile dieser gelegentlichen Betreuung finden sich in den nördlichen Ländern Europas (65 Prozent der Großmütter; 60 Prozent der Großväter), während die südeuropäischen Länder unterdurchschnittliche Werte aufweisen (52 Prozent der Großmütter, 40 Prozent der Großväter). Israel stellt einen Ausreißer dar, da einerseits der Anteil der Mithilfe durch Großmütter mit 77 Prozent am höchsten ist, andererseits die israelischen Großväter mit nur 41 Prozent zu den Schlusslichtern zählen. Großmütter sind grundsätzlich stärker in die Betreuung der Enkelkinder eingebunden als Großväter. Doch Großväter bringen sich durchaus aktiv in die Enkelkinderbetreuung ein. 

Die Interpretation der Ergebnisse ist nicht einfach. Das geografische Muster des Engagements der Großeltern bei der Betreuung der Enkelkinder steht in scheinbarem Widerspruch zu der weit verbreiteten Vorstellung der ‚starken' Familienbande in Südeuropa. Betrachtet man jedoch die Häufigkeit der Betreuung, so dreht sich die Reihenfolge der Länder fast vollständig um (Abbildung 2): Die deutlich höchsten Anteile regelmäßig betreuender Großeltern finden sich mit etwa 40 Prozent in Griechenland, Italien und Belgien, während in den skandinavischen Ländern nur etwa halb so viele Großeltern mindestens wöchentlich eines ihrer Enkelkinder betreuen. Auch bei der Intensität der Großelternbetreuung ragen israelische Großmütter heraus. Welche Erklärungen dieses länderspezifischen Musters bieten sich an? 

Abb. 2: Anteil der Großmütter und Großväter, die in den vergangenen 12 Monaten mindestens wöchentlich Enkelkinder betreut haben; Quelle: SHARE Release 2.0.1; gewichtete Daten; eigene Berechnungen; Anmerkung: Daten für Israel sind ungewichtet.

Eine erste denkbare Erklärung könnte ein kulturell bedingtes methodisches Artefakt sein: Nordund Südeuropäer verstehen die Frage, ob sie ein Enkelkind betreuen, möglicherweise anders. Während es im Mittelmeerraum so selbstverständlich ist, gelegentlich auf die Enkel aufzupassen, dass es in einer Befragung erst dann erwähnt wird, wenn es sich um ein regelmäßiges Betreuungsarrangement handelt, geben Skandinavier möglicherweise jede Gelegenheit an, bei der sie sich um ihre Kindeskinder gekümmert haben. 

Eine zweite Erklärung böten die niedrigen Geburtenraten in den südeuropäischen Ländern, die dazu führen, dass die Großeltern weniger Enkelkinder ‚teilen'. Mit anderen Worten: Das Zahlenverhältnis von Großeltern zu Enkelkindern in einer Familie ist ein größeres als in den nördlichen Ländern. Betreut ein Großelternteil in einem südeuropäischen Land – entsprechend dem ‚erwarteten' Muster einer sehr familiär orientierten Gesellschaft – ein Enkelkind sehr intensiv, so ist die Mithilfe anderer, oft weiter entfernt wohnender Großelternteile nicht mehr ‚notwendig'. 

Eine dritte denkbare Interpretation ergibt sich aus einem möglichen Zusammenhang zwischen Enkelkinderbetreuung, dem Angebot an öffentlicher Kinderbetreuung und Frauenerwerbstätigkeit. So erfordert das gut ausgebaute System öffentlicher Kinderbetreuung in Skandinavien trotz hoher Müttererwerbstätigkeit keine regelmäßige Betreuung durch die Großeltern, die aber in Ausnahmefällen (etwa bei Überstunden) umso dringender einspringen müssen. In Südeuropa kümmert sich die große Mehrheit der Mütter hingegen Vollzeit um die Kinder, so dass die Hilfe der Großeltern in der Regel nicht gebraucht wird. Die vergleichsweise geringe Zahl erwerbstätiger Mütter ist hier allerdings auf regelmäßige familiäre Unterstützung bei der Betreuung ihrer Kinder angewiesen, da es kaum institutionelle Betreuungsmöglichkeiten gibt. 

Eine abschließende Bewertung erlauben die Ergebnisse der Studie nicht, doch sie machen deutlich, dass die Rolle der Großeltern in der modernen Familie mehr Aufmerksamkeit verdient

Literatur

  • *Hank, K. und I. Buber: Grandparents Caring for Their Grandchildren: Findings from the 2004 Survey of Health, Ageing and Retirement in Europe. Mannheim Research Institute for the Economics of Aging, Mannheim 2007, 24 pp. (MEA discussion paper ; 127-2007).

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Aus Ausgabe 2007/4

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