Die Anzahl der in Deutschland lebenden Kameruner ist in den vergangenen Jahren stetig gestiegen. Von den südlich der Sahara gelegenen afrikanischen Staaten stellen sie inzwischen die drittgrößte Einwanderergruppe. Viele der Migranten aus Afrika sind jung und kommen als Studenten an die hiesigen Universitäten. Ein Blick auf die Zahlen macht den Unterschied zur stark alternden deutschen Bevölkerung deutlich: Mit einer relativ hohen Geburtenrate von 4,65 Kindern pro Frau sowie einer in jüngster Vergangenheit sinkenden Säuglings- und Kindersterblichkeit liegt das mittlere Alter (Median) in Kamerun heute bei etwa 18 Jahren. In Deutschland hingegen hat dieser Wert die 40 Jahre mittlerweile überschritten.
Wie kommt es zu der Entscheidung, dass junge Kameruner ihr Land verlassen und nach Deutschland kommen? Um dies zu beantworten, wertet die vorliegende Studie des Max-Planck-Institutes für demografische Forschung in Kamerun geführte Interviews sowie informelle Gespräche aus den Jahren 2005 und 2006 aus. Befragt wurden dabei Verwandte von bereits in Deutschland lebenden Migranten oder Familien, bei denen die Auswanderung eines Angehörigen in Planung war. Vor allem die Frage, welche Rolle das Familiennetzwerk bei der Entscheidungsfindung spielt, steht im Fokus der Untersuchung. Der familiäre Einfluss ist in Kamerun auch heute noch sehr ausgeprägt, vorrangig die älteren Familienmitglieder treffen die Entscheidungen in der Gemeinschaft.
Der Familienbegriff wird dabei wesentlich weiter gefasst als in Deutschland. So zählen alle befragten Kameruner nicht nur ihre Eltern, Geschwister oder Kinder zur Familie im engeren Sinne, sondern auch ihre Großeltern, Onkel, Tanten, Neffen, Nichten, Cousins und die Familienangehörigen des Partners. Auch Freunde oder andere nicht-verwandte Personen haben in vielen Fällen ein Mitspracherecht.
Die Entscheidung, für eine bestimmte Zeit ins Ausland zu gehen, treffen die Migranten in den seltensten Fällen allein – zu kostspielig und risikobehaftet erscheint die Auswanderung ohne familiäre Unterstützung. Erst Eltern, ältere Geschwister oder Cousins, die häufig die Rolle erstgeborener Brüder übernehmen, ermöglichen die Migration, indem sie die finanziellen Mittel bereit- sowie wichtige Kontakte im In- und Ausland herstellen. Dass beim Auswanderungsland die Wahl – neben den USA, Kanada und anderen europäischen Staaten – häufig auf Deutschland fällt, ist dabei unter anderem geschichtlich begründet: Kamerun stand von 1884 bis 1916 unter deutscher Kolonialherrschaft und auch heute noch wird Deutsch als zweite Fremdsprache unterrichtet. Zudem gilt Deutschland als attraktiver Technologie- und Wirtschaftsstandort; durch eine Ausbildung oder Erfahrung auf dem hiesigen Arbeitsmarkt hoffen viele Kameruner, ihre beruflichen Aussichten entscheidend zu verbessern.
Abb. 1: Migration von Kamerun nach Deutschland: Aufwendungen und Hilfestellungen seitens der erweiterten Familie sowie die von Migranten erwarteten Gegenleistungen.
Die Interviewstudie verdeutlicht wichtige Aspekte zur Rolle der Familie: So gibt es die Hilfe durch die Verwandtschaft nicht ohne Wiedergutmachung; denn die Familienangehörigen, die die Kosten für die Ausreise übernehmen, hoffen auf Gegenleistung (Abbildung 1). Sie erwarten, dass der Migrant erfolgreich in Europa Fuß fasst, und rechnen mit Rückzahlungen an die Familie, ob in Form von Geld, Gütern oder auch der Bereitschaft, jüngere Geschwister bei deren zukünftiger Auswanderung zu unterstützen. Sich dieser Abmachung zu entziehen, ist den jungen Migranten kaum möglich – sind es doch die familiären Autoritätspersonen, wie Vater oder ältester Bruder, die zuvor in ihre Ausbildung investiert oder die Aufwendungen für Reise und Visa gezahlt haben.
Zu einer solchen Investitionsstrategie passt, dass die Entscheidung, wer ins Ausland gehen darf, offensichtlich streng geprüft wird. Nach den Befragungen sollen mögliche Kandidaten beispielsweise sprachtalentiert und aufgeschlossen, aber auch diszipliniert, fleißig und durchsetzungsstark sein – das heißt Fähigkeiten mitbringen, um in Deutschland mit Erfolg zu studieren oder schnell Arbeit zu finden. Eher untergeordnet ist hingegen der Wille, überhaupt die Heimat hinter sich lassen zu wollen: Halten Eltern eins ihrer Kinder für geeignet, wird deren Auswanderung auch gelegentlich gegen ihren Wunsch geplant und umgesetzt.
Die hohe Zahl an Auswanderern aus Kamerun steht im direkten Zusammenhang mit der schwierigen Arbeitsmarktsituation in dem afrikanischen Staat, dessen Arbeitslosenquote hoch ist und insbesondere für gut ausgebildete Arbeitskräfte wenig Möglichkeiten bietet. Zeitgleich verzeichnet Kamerun im Bildungssystem erfreuliche Entwicklungen, wie etwa bei der Bekämpfung des Analphabetentums: 2004 konnten 65 Prozent der Frauen und 81 Prozent der Männer lesen und schreiben; wohl auch, weil Grundschulen seit einigen Jahren kostenlos und verpflichtend sind. Zudem stieg die Anzahl der Universitäten. Doch nach wie vor ist deren Ausstattung dürftig und das Angebot an Kursen und Studiengängen gering – ein Grund dafür, dass viele junge Kameruner ihre Ausbildung im Ausland beenden wollen.Verliert das Land seine Talente? Laut OECD für das Jahr 2005 jedenfalls haben 57000 Kameruner ihre Heimat in Richtung USA, Kanada und Europa verlassen, davon wiesen 42 Prozent eine sehr gute Ausbildung auf.