Eine Studie der Universitäten von North Carolina und Massachusetts*, die gegenwärtig am Max-Planck-Institut für demografische Forschung fortgesetzt wird, zeigt, wie familienpolitische Strategien das Armutsrisiko von Frauen beeinflussen – von Frauen mit und ohne Partner, von Müttern und Kinderlosen. Die Politikstrategien stützen sich dabei auf Frauenleitbilder, die unterschiedlicher kaum sein können.
Während noch vor einigen Jahrzehnten in vielen Ländern das Ernährer-Hausfrauen- Modell gelebt wurde, sind Frauen heute zunehmend sowohl Ernährerinnen als auch Betreuerinnen ihrer Kinder. Die Familienpolitik berücksichtigt dies von Land zu Land in unterschiedlichem Ausmaß. Die Unterschiede lassen sich zu vier familienpolitischen Strategien zusammenfassen (Abbildung 1):
Abb. 1: Zuordnung der Familien- und Arbeitsmarktpolitik von elf untersuchten OECD-Ländern zu vier Politikstrategien. Jahresangaben beziehen sich auf Stichproben der Luxemburg Income Study.
Die Betreuungsstrategie ist dem Ernährer-Hausfrauen-Modell am nächsten. Sie geht von Frauen aus, die ihre Kinder zu Hause erziehen und belohnt sie für dieses Engagement. Damit stärkt die Politik die traditionelle Rollenaufteilung der Geschlechter. Charakteristische Elemente sind Betreuungsgeld, lange Elternzeiten oder eine Förderung der Teilzeitarbeit als ideale Form der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Diese Strategie ist für Länder wie die Niederlande, Luxemburg und Deutschland kennzeichnend.
Die Ernährerin-Strategie steht für eine Gesellschaft, in der Männer und Frauen sich gleichermaßen am Erwerbsleben beteiligen. Die Politik konzentriert sich darauf, Hürden und Diskriminierungen auf dem Arbeitsmarkt abzubauen, kümmert sich aber nicht um Ungleichgewichte bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Diese Strategie ist im angloamerikanischen Raum verbreitet (USA, Kanada, Großbritannien).
Die Wahlfreiheitsstrategie ist für eine Gesellschaft charakteristisch, in der Frauen sowohl für ihre kindererziehende Rolle als auch für ihre Erwerbsarbeit wertgeschätzt werden. Sie stützt sich auf ein ambivalentes Frauenbild: Einerseits unterstützt die Politik die Erwerbstätigkeit von Frauen, etwa durch ein ausgebautes Netz der Kinderbetreuung, andererseits wird auch die Betreuung der Kinder zu Hause finanziell und durch die Gewährung von Elternzeiten gefördert. Eine gleichberechtigte Rolle von Männern bei der Familienarbeit wird dagegen weniger beachtet. Diese Strategie ist in Ländern wie Frankreich und Belgien umgesetzt.
Die Gleichstellungsstrategie zielt schließlich auf ein Gesellschaftsmodell, in dem Männer und Frauen sich gleichberechtigt an Familien- und Erwerbsarbeit beteiligen. Beide werden zu beruflichen Auszeiten ermuntert, eine hochwertige, staatlich subventionierte Kinderbetreuungsinfrastruktur ermöglicht die Erwerbstätigkeit der Eltern. Schweden bietet das beste Beispiel für diese in Skandinavien verbreitete Strategie. Doch trotz geförderter Frauenerwerbstätigkeit und eingeführter Vätermonate arbeiten auch dort mehr Frauen in Teilzeit oder lassen sich bei Krankheit der Kinder häufiger beurlauben als Männer.
Diese Strategien können sich auf die Beschäftigung, die Geburtenrate, die Entwicklungsperspektiven von Kindern und vieles mehr auswirken. Uns interessiert, welchen Einfluss sie auf das Armutsrisiko von Frauen und insbesondere von Müttern nehmen. Basierend auf Daten der Luxemburg Income Study (LIS) der Jahre 1995 bis 2000 wurden Armutsraten in elf OECD-Ländern (Belgien, Finnland, Frankreich, Deutschland, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen, Schweden, Großbritannien, USA und Kanada) gemessen.
Als Armutsgrenze wird ein Einkommen von weniger als 50 Prozent des mittleren Einkommens (Median) des Landes angenommen. Entscheidend ist das Einkommen nach Steuern einschließlich aller Transferleistungen. So wird deutlich, wie sich die Rahmenbedingungen auf das Familieneinkommen auswirken. Andere Einflüsse auf das Armutsrisiko wie das Alter, der Beschäftigungsumfang sowie der Bildungshintergrund der Frauen wurden ebenfalls berücksichtigt.
Die Ergebnisse der Analyse machen deutlich, dass in allen Ländern das Armutsrisiko für alleinlebende Frauen größer ist als für solche, die in Partnerschaft leben – gleich, ob sie Kinder haben oder nicht. Kinder zu haben, insbesondere kleine Kinder unter sechs Jahren, erhöht das Armutsrisiko weiter. Unter den Frauen mit Partnern leben im Durchschnitt drei Prozent der kinderlosen Frauen in Armut, sechs Prozent der Mütter und sieben Prozent der Mütter mit kleinen Kindern. Alleinerziehende Mütter sind dagegen stark von Armut gefährdet: 19 Prozent leben unter der Armutsgrenze, bei den alleinerziehenden Müttern kleiner Kinder sind es sogar 24 Prozent.
Abb. 2: Armutsraten nach Steuern einschließlich staatlicher Transferleistungen nach Politikstrategien für 1. Mütter mit Partner, 2. Mütter kleiner Kinder unter 6 Jahren mit Partner, 3. alleinerziehende Mütter und 4. alleinerziehende Mütter kleiner Kinder unter 6 Jahren. „Mit Partner“: verheiratet oder mit Partner des anderen Geschlechts zusammen lebend.
Die Familienpolitik spielt dabei eine Rolle: Die skandinavische Gleichstellungsstrategie erweist sich als die wirkungsvollste, um Armut unter Müttern, auch unter alleinerziehenden, einzudämmen (Abbildung 2). Die französische Wahlfreiheitsstrategie bietet ein ähnliches Paket an Maßnahmen, welche die Erwerbstätigkeit von Müttern fördern, unterstützt aber auch die Betreuung kleiner Kinder zu Hause. Das Modell hält so stärker an der traditionellen Rollenverteilung fest und ist durch höhere Armutsraten geprägt – besonders bei alleinstehenden Müttern. In den angloamerikanischen Ländern der Ernährerin-Strategie wird die Kinderbetreuung weitgehend dem Einzelnen oder dem Markt überlassen – mit erheblichen Konsequenzen für die Armut von Frauen, unter der jede dritte alleinerziehende Mutter leidet. In den Ländern der Betreuungsstrategie unterstützt die Politik Mütter dabei, zu Hause bei den Kindern zu bleiben. Partnerschaft mildert in diesem Modell das Armutsrisiko, alleinerziehende Mütter sind dagegen hohen Armutsraten ausgesetzt.
Dass wir in den Ländern der Ernährerin-Strategie hohe Armutsraten für Mütter finden, überrascht weniger als das hohe Armutsniveau alleinerziehender Mütter in Ländern der Betreuungsstrategie, zu denen auch Deutschland gehört. In einem System, das davon ausgeht, dass der Mann klassischerweise das Geld verdient und die Frau bei den Kindern bleibt, sind Alleinerziehende besonders benachteiligt. Doch sind alleinstehende Mütter keine vernachlässigbare Splittergruppe. Sie verkörpern im Gegenteil einen von Armut bedrohten, wachsenden Teil der Gesellschaft, der auf familienpolitische Maßnahmen in besonderer Weise angewiesen ist. Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Erhöhung der Betreuungsquote für Kinder unter drei Jahren das Armutsrisiko besonders für Alleinerziehende senkt.
Inzwischen sind in Deutschland 2007 mit Elterngeld und Vätermonaten Elemente der Gleichstellungsstrategie eingeführt worden. Das bedeutet jedoch noch keinen Strategiewechsel, da Elemente wie das Ehegattensplitting, die beitragsfreie Kranken- und Pflegeversicherung, die Anrechnung von Kindererziehungszeiten für die Rente und, zumindest in Westdeutschland, die geringe Betreuungsquote für unter Dreijährige, die Betreuungsrolle der Mutter weiter stützen. Zudem ist die Einführung eines Betreuungsgeldes für Mütter vorgesehen, die ihre Kleinkinder zu Hause erziehen.
Auch die dreijährige Elternzeit wie in Deutschland und Österreich kann zum Armutsrisiko beitragen. Elternzeiten haben grundsätzlich positive Effekte für die Versorgungslage von Müttern, doch ist die Dauer für den Erfolg entscheidend: Lange Erwerbsunterbrechungen wirken kontraproduktiv, indem sie die beruflichen Entwicklungschancen und das Einkommen von Frauen schwächen.
Wie lässt sich die Armut unter Müttern verringern? Der Schlüssel liegt in einer Politik, die Mütter und Väter auf dem Arbeitsmarkt und im Familienleben gleichstellt. Eine solche Politik beinhaltet finanzielle Unterstützung für Familien, zeitlich begrenzte Elternzeiten und vor allem Kinderbetreuung. Wenn dann Erwerbsstellen noch Zeit für die Familie lassen und sowohl Frauen als auch Männer diese Zeit für die Kinderbetreuung verwenden, wäre viel erreicht.