Max-Planck-Institut für demografische Forschung

Verbesserte medizinische Versorgung zahlt sich aus

2009 | Jahrgang 6 | 3. Quartal

Keywords: Lebenserwartung, Ost-West-Unterschiede, Medizinische Versorgung, Sterblichkeit, Gesundheitspolitik

Eva Kibele und Rembrandt Scholz

Vor 1989 waren alle Altersgruppen von der Ost-West-Differenz der Lebenserwartung betroffen. Besonders große Unterschiede verursachte die Sterblichkeit in den höheren Altersgruppen, die in Ostdeutschland viel höher war als im Westen. Nach 1990 kam es sehr schnell zu einer Annäherung der Lebenserwartung, da vor allem die Sterberaten im höheren Alter im Osten Deutschlands überproportional zurückgingen. 

Bei Frauen liegt die Lebenserwartung heute bei etwa 82 Jahren und ist in Ost- und Westdeutschland auf gleichem Niveau. Für Männer in Ostdeutschland beträgt die Lebenserwartung heute 76 Jahre, während sie bei westdeutschen Männern knapp 1,5 Jahre höher ist. Diese Differenz ist weitgehend durch die höhere Sterblichkeit von Männern im jungen und mittleren Erwachsenalter im Osten zu erklären. 

Eine neue Studie des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung Rostock* ist der Frage nachgegangen, wie die Angleichung der Lebenserwartung in Ost- und Westdeutschland erreicht wurde. Dazu wurde die Lebenserwartung im Altersbereich von 0 bis 75 Jahren zu den Zeitpunkten 1990 bis 1994 und 2000 bis 2004 untersucht. Sterbefälle wurden nach dem Konzept der „vermeidbaren Sterblichkeit“ klassifiziert. Das Konzept beurteilt, ob Sterbefälle durch effektive und rechtzeitige medizinische Versorgung oder Prävention vermeidbar sind und, wenn ja, wodurch. Die Klassifikation nach Nolte et al. (2002) teilt hierzu Sterbefälle im Altersbereich von 0 bis 75 Jahren in drei Gruppen ein:

 * durch adäquate medizinische Versorgung vermeidbar; 

* durch entsprechende Prävention vermeidbar (Lungenkrebs, Verkehrsunfälle, Leberzirrhose); 

* ischämische Herzkrankheiten, also teils durch gesundheitsrelevantes Verhalten, teils durch entsprechende medizintechnische Versorgung vermeidbar. Die übrigen Sterbefälle gelten als nicht vermeidbare Sterbefälle. Mit Hilfe dieser Klassifikation lassen sich die Ursachen der Angleichung der Lebenserwartung zwischen Ost und West bewerten.

Abb. 1: Differenz der Lebenserwartung nach Vermeidbarkeit (im Altersbereich 0 bis 75 Jahre) zwischen West- und Ostdeutschland zu den Zeitpunkten 1990-94 und 2000-04. Quelle: Statistische Landesämter (eigene Berechnungen).

Abbildung 1 zeigt die Differenz der Lebenserwartung zwischen Ost- und Westdeutschland, aufgeteilt nach den Gruppen der Vermeidbarkeit. Bei Männern liegt die Lebenserwartung in Ostdeutschland im Zeitraum 1990 bis 1994 zwei Jahre unter der Lebenserwartung der Westdeutschen. Etwa ein Drittel dieser Differenz lässt sich durch höhere Sterblichkeit im Bereich der Prävention im Osten erklären, wovon besonders die jungen und mittleren Erwachsenenalter betroffen sind. Ein weiteres Drittel wird dem Bereich der medizinischen Versorgung und den ischämischen Herzkrankheiten zugeordnet. Dies betrifft vor allem die höheren Altersklassen. 

Bei Frauen ist die Differenz der Lebenserwartung geringer. Zum ersten Analysezeitpunkt, direkt nach der deutschen Einheit, beträgt der Unterschied 0,8 Jahre. Hier ist etwa ein Drittel der Differenz der besseren medizinischen Versorgung im Westen geschuldet. 

Zehn Jahre später gibt es bei Frauen keinen Unterschied mehr in der Lebenserwartung (im Alter 0 bis 75). Bei Männern ist er auf 0,8 Jahre geschrumpft. Ost-West-Unterschiede in der Sterblichkeit, die aus Versorgungsunterschieden resultieren, sind aufgehoben. Jedoch bestehen noch große Unterschiede in der Sterblichkeit, die hinsichtlich Prävention im gesundheitspolitischen Bereich und des gesundheitsrelevanten Verhaltens vermeidbar ist. 

Wenn sich die gesellschafts- und sozialpolitischen Änderungen in den vergangenen 20 Jahren in Ostdeutschland auch nicht alle positiv auf die Lebensbedingungen ausgewirkt haben und es in manchen Bereichen weiter Diskrepanzen zwischen Ost und West gibt – die Veränderungen im Gesundheitsbereich haben die Lebensqualität der Menschen verbessert. Eine Angleichung der Lebensbedingungen in gesundheitsrelevanten Bereichen in Ost und West führte zu einer Angleichung der Lebenserwartung, wobei Frauen eine Vorreiterrolle einnehmen. Zu beachten ist, dass sich die Untersuchung nur auf den Altersbereich 0 bis 75 Jahre bezieht, wodurch ein großer Teil der Sterbefälle nicht berücksichtigt wird. Es ist plausibel anzunehmen, dass die Verbesserungen in der medizinischen Versorgung sich besonders auch auf höhere Altersgruppen positiv ausgewirkt haben. Die Höhe der Lebenserwartung hängt von dem Niveau der medizinischen Versorgung ab und kann durch die Verbesserung von Prävention forciert werden. Um das erreichte Niveau zu halten, darf die Aufmerksamkeit in diesem Bereich nicht nachlassen.

Literatur

  • * Kibele, E. und R. Scholz: Trend der Mortalitätsdifferenzen zwischen Ost und West unter Berücksichtigung der vermeidbaren Sterblichkeit. Die Bevölkerung in Ost- und Westdeutschland: demografische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklungen seit der Wende, I. Cassens, M. Luy und R. Scholz (Eds.). VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2009, 124-139 (VS Research: Demografischer Wandel – Hintergründe und Herausforderungen).
  • Nolte, E., R. Scholz, V. Shkolnikov and M. McKee: The contribution of medical care to changing life expectancy in Germany and Poland. Social Science and Medicine 55(2002)11: 1905-1921.

Aus Ausgabe 2009/3

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