Rostocker Zentrum zur Erforschung des Demografischen Wandels

Zahl der Betroffenen steigt auf mindestens zwei Millionen

2010 | Jahrgang 7 | 3. Quartal

Keywords: Deutschland, Lebenserwartung, Trends, Psychische Gesundheit

Uta Ziegler und Gabriele Doblhammer

In Deutschland leben gegenwärtig etwa 1,2 Millionen Menschen mit einer mittelschweren bzw. schweren Demenz. Da künftig die Zahl der älteren Menschen in Deutschland zunimmt, wird auch die Anzahl der Demenzpatienten steigen. Aber wie stark wird dieser Anstieg sein? 

Für Deutschland liegen für das Jahr 2050 geschätzte Zahlen zwischen 2,1 und 3,5 Millionen Demenzkranken vor. Fast alle bisherigen Studien basieren dabei auf vergleichbaren  Prävalenzen, die über den Prognosezeitraum als konstant angenommen werden. Die Hauptursache für die unterschiedlichen Ergebnisse sind demzufolge unterschiedliche Annahmen zur Entwicklung der Lebenserwartung. 

Abb. 1: Szenarien für die Entwicklung der Zahl der Demenzkranken in Deutschland bis zum Jahr 2050. Quelle: Daten der Gesetzlichen Krankenversicherung und der Human Mortality Database (eigene Berechnungen).

Die neue Rostocker Studie hingegen verwendet verschiedene Annahmen für die Demenzprognosen. In Szenario 1 bleiben die Lebenserwartung und die Demenzprävalenz konstant, um den reinen Effekt der sich ändernden Bevölkerungsstruktur zu zeigen. Des Weiteren werden zwei Szenarien der Bevölkerungsentwicklung mit jeweils zwei Szenarien der Demenzentwicklung verknüpft. Die Lebenserwartung steigt in Szenario 2 auf 84,3 und 89,1 Jahre, in Szenario 3 auf 87,9 und 92,5 Jahre für Männer bzw. Frauen. Der Anstieg im Szenario 2 entspricht in etwa dem Anstieg der „Basisannahme“ der 11. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes; in Szenario 3 werden etwa 3,5 Jahre höhere Annahmen für die Lebenserwartung getroffen, da bisherige Bevölkerungsvorausschätzungen die Lebenserwartung immer unterschätzten. 

Jedes Bevölkerungsszenario wird jeweils mit konstanten (Szenarios 2.1, 3.1.) und mit sinkenden Demenzprävalenzen (Szenarios 2.2, 3.2) kombiniert. Die Prävalenzen sinken so, dass sich ein dynamisches Gleichgewicht in der Lebenserwartung mit Demenz ergibt: Zum Beispiel haben heute 80-bis 84-jährige Frauen eine weitere Lebenserwartung von insgesamt 8,5 Jahren; davon verbringen sie ungefähr 20 Prozent, also 1,7 Jahre, mit Demenz. Mit konstanten Prävalenzen steigt der Anteil der mit Demenz verbrachten Lebensspanne an der verbleibenden Lebenszeit auf 26 Prozent, also im Szenario mit der hohen Lebenserwartung auf 4,2 Jahre. 

Im Szenario des dynamischen Gleichgewichtes werden jene Prävalenzen ermittelt, mit denen 80-bis 84-jährigen Frauen auch im Jahr 2050 nur etwa 20 Prozent der verbleibenden Lebenserwartung mit Demenz leben würden (3,2 Jahre für Szenario 3.2). Ein dynamisches Gleichgewicht findet sich in den vergangenen Jahrzehnten in vielen Bereichen der somatischen Gesundheit. Ein Hinausschieben von Demenzen in höhere Lebensalter erscheint möglich, wenn man bisherige Forschungsergebnisse betrachtet: Eine gesündere Lebensweise und die Vermeidung von Risikofaktoren, das steigende Bildungsniveau in der älteren Bevölkerung und die damit verbundene steigende kognitive Reserve, aber auch der medizinisch-technische Fortschritt senken das Demenzrisiko. 

Abbildung 1 stellt die Prognoseergebnisse dar. Das Ergebnis von Szenario 1 zeigt, dass durch die sich ändernde Altersstruktur der Bevölkerung in Deutschland mit einem Anstieg der betroffenen Personen über 60 Jahre von 0,96 Millionen im Jahr 2002 auf 1,52 Millionen im Jahr 2047 zu rechnen ist. Da aber nicht von einer konstanten Lebenserwartung auszugehen ist, ist dieses Szenario unwahrscheinlich. Ein zusätzlicher Anstieg der Lebenserwartung wie in Szenario 3.1 führt bei konstanter Prävalenz zu 2,7 Millionen Personen mit Demenz. Sinkende Prävalenzen im Sinne eines dynamischen Gleichgewichtes hingegen würden etwa 2,0 Millionen Demenzpatienten bedeuten. Die Studie verdeutlicht, dass es also ungeachtet der Prävalenzentwicklung zu einem deutlichen Anstieg der Anzahl Demenzkranker kommen wird. Die weiter steigende Lebenserwartung spielt dabei die entscheidende Rolle. Nur eine Reduktion der Prävalenzen kann die Zunahme der Zahl Demenzkranker bremsen, wobei ein dynamisches Gleichgewicht trotzdem mindestens zu einer Verdopplung führen würde. 

Diese Entwicklung stellt Deutschland vor große gesellschaftliche Herausforderungen, denn Demenzen sind nicht nur für die Betroffenen besonders schwere Krankheiten, sondern sie gehören auch zu den teuersten Krankheitsgruppen und verursachen einen besonders hohen Pflegebedarf.

Literatur

  • Doblhammer, G., U. Ziegler und E. Muth: Trends und Muster in Lebenserwartung und Gesundheit und Prognose der Demenzerkrankungen in Deutschland bis 2050. Ethik und Erinnerung: zur Verantwortung der Psychiatrie in Vergangenheit und Gegenwart, E. Kumbier, S.J. Teipel und S.C. Herpertz (Hrsg.). Pabst Science Publishers, Lengerich 2009, 91-108.
  • Ziegler, U., and G. Doblhammer: Projections of the number of people with dementia in Germany 2002 through 2047. Ageing, care need and quality of life: the perspective of care givers and people in need of care, G. Doblhammer and R. Scholz (Eds.). VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2010, 94-111.

Aus Ausgabe 2010/3

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