Wie eine neue Studie von Wissenschaftlerinnen des Max-Planck-Instituts für demografi sche Forschung (MPIDR) in Rostock und des Deutschen Jugendinstituts ergab, liegt der Anteil von Stieffamilien in Westdeutschland bei 13 und im Osten bei 18 Prozent (siehe Abb. 1). Die hohe Verbreitung in Ostdeutschland war zu erwarten, da es dort im Vergleich zum Westen mehr Alleinerziehende und mehr Paare in nichtehelichen Lebensgemeinschaften gibt, die sich häufi ger trennen als Verheiratete. In den alten Bundesländern hatten die Forscherinnen aber wesentlich weniger Stieffamilien erwartet, da die Familienvorstellungen dort bisher als eher traditionell galten. Erhebungen um die Jahrtausendwende hatten zuletzt einen Anteil von nur etwa fünf Prozent im Westen ergeben.
Abb. 1: Anteil der Familienformen nach Typ (gerundete Werte, Quelle: Generations and Gender Survey 2004/2005).
Verlässliche amtliche Zahlen zu Stieffamilien liegen in Deutschland auf absehbare Zeit nicht vor, da sie weder im Mikrozensus, der großen amtlichen Haushaltsbefragung, noch im aktuellen Zensus ausreichend genau erfasst werden. Die Autorinnen der Studie nutzten darum Daten der Forschungserhebung „Generations and Gender Survey“ (GGS) aus den Jahren 2004 und 2005 für Frankreich, Deutschland und die Russische Föderation. Unter den etwa 10.000 befragten Familien galten Paare, die nur mit gemeinsamen Kindern zusammenlebten, als „Kernfamilien“. In „Stieffamilien“ musste mindestens ein Kind aus einer früheren Partnerschaft mit im Haushalt leben. Ob die Paare verheiratet waren, spielte keine Rolle.
Eigenen Aussagen zufolge haben westdeutsche Familien demnach generell die wenigsten ökonomischen Probleme (siehe Abb. 2). Die Kernfamilien gaben dort sogar an, durchschnittlich „relativ gut“ über die Runden zu kommen. Gleichzeitig ist das Gefälle zur schlechteren Situation der Stieffamilien mit zehn Prozent Rückstand nirgendwo so groß wie in Westdeutschland. In Frankreich stehen Stieffamilien nur um knapp sechs Prozent schlechter da als Kernfamilien, in Ostdeutschland und der Russischen Föderation waren beide Familientypen gleichauf. Alleinerziehende sind überall deutlich im Nachteil.
Abb. 2: Durchschnittliche Werte nach Selbsteinschätzung auf die Frage „Wie gut kommt Ihre Familie mit ihrem Gesamteinkommen zurecht?“ mit den Antwortmöglichkeiten: 1: mit großen Schwierigkeiten, 2: mit Schwierigkeiten, 3: mit kleineren Schwierigkeiten, 4: relativ gut, 5: gut, 6: sehr gut (Quelle: Generations and Gender Survey 2004/2005).
Wieso bleiben in Frankreich und Westdeutschland die Stief- hinter den Kernfamilien zurück? In Fankreich geben sozio-ökonomische Unterschiede der Familientypen den Ausschlag: Vor allem weil Stieffamilien dort deutlich mehr Kinder als Kernfamilien versorgen (durchschnittlich 3,19 im Vergleich zu 2,23 Kindern), geht es ihnen wirtschaftlich schlechter. In Westdeutschland hingegen sind weder die verschiedenen Familiengrößen (Stieffamilien im Schnitt mit 2,25 und Kernfamilien mit 2,01 Kindern), noch andere sozio-ökonomische Faktoren wie Bildung oder Arbeitslosigkeit für die Benachteiligung verantwortlich.
Entscheidend könnten dort die 2005 noch großzügigen Unterhaltszahlungen gewesen sein: Vor allem männliche Partner mussten nach der Trennung nachehelichen Unterhalt zahlen, und hatten so weniger Geld für ihre neuen Familien. Dafür spräche, dass im Osten, wo Stief- und Kernfamilien gleich gut zurecht kommen, nacheheliche Unterhaltszahlungen nie eine große Rolle gespielt haben. Ob die ökonomischen Unterschiede in Westdeutschland auch nach der jüngsten Reform des Unterhaltsrechts bestehen bleiben, wird eine wichtige Frage künftiger
Forschung sein.