Universität Rostock

In Deutschland bekommen türkische Zuwanderinnen später und seltener Kinder

2012 | Jahrgang 9 | 1. Quartal

Keywords: Integration, Nachkommen von Einwanderern, Zweite türkische Generation, Sozio-demografische Faktoren

Wissenschaftliche Ansprechpartnerin: Nadja Milewski

Mit vier Millionen Menschen bilden türkische Zuwanderer in Europa die größte Gruppe. Dass sie im Durchschnitt relativ viele Kinder bekommen und in jungem Alter mit der Familiengründung beginnen, ist bekannt. Und so haben sich bisherige Studien zur Fertilität zumeist mit den Unterschieden zwischen den türkischen Migranten und anderen Nationalitäten in einem einzelnen Einwanderungsland beschäftigt. In einer neuen Studie des Rostocker Zentrums geht es nun darum, nach Gemeinsamkeiten zwischen den Einwanderern in verschiedenen Ländern zu forschen. Nadja Milewski hat dafür das Geburtenverhalten türkischer Einwanderer, die bereits in der zweiten Generation in Europa leben, untersucht: Passen sie sich den Bedingungen in den jeweiligen Ländern an, oder halten sie an den türkischen Traditionen fest? Und sind die Unterschiede zur einheimischen Bevölkerung durch soziodemografische Faktoren wie Bildung und Familienstand zu erklären? 

Abb. 1: Relative Wahrscheinlichkeit (Odds ratio) für ein erstes Kind bei türkischen Migrantinnen in verschiedenen Staaten (links) und mit verschiedenen Bildungsabschlüssen (rechts). Die Werte für Deutschland und den Haupt-/ Realschulabschluss sind mit dem Wert 1 standardisiert. Werte unter 1 bedeuten eine entsprechend geringere, Werte über 1 eine höhere Wahrscheinlichkeit. Quelle: TIES 2006-2008, eigene Berechnung.

Für ihre Untersuchung konnte die Demografin der Universität Rostock auf eine Umfrage unter türkischen Einwanderern der zweiten Generation zurückgreifen (The Integration of the European Second Generation; TIES 2006-2008). Sie wurde unter anderem in Frankreich, den Niederlanden, der Schweiz und Deutschland durchgeführt – und damit in Ländern mit sehr unterschiedlichen Integrationspolitiken und Geburtenmustern. Da die Migrantinnen der zweiten Generation ihre Familienbildung zumeist noch nicht abgeschlossen haben, gingen zwar nur die Geburten der ersten Kinder in die Untersuchung ein. Doch schon hier zeigten sich erstaunliche Übereinstimmungen mit dem Einwanderungsland: Die Erstgeburtenrate für türkische Migrantinnen in den Niederlanden und Frankreich etwa ist erheblich höher als in der Schweiz oder in Deutschland. Damit haben sich die Frauen vermutlich an die Bedingungen des jeweiligen westeuropäischen Landes angepasst, denn die Geburtenraten in Deutschland und in der Schweiz waren zum Zeitpunkt der BefragYung mit 1,3 Kindern pro Frau wesentlich niedriger als in den anderen beiden Ländern, die fast 2 Kinder pro Frau verzeichneten. 

Entscheidend für das Geburtenverhalten der Zuwanderer ist aber nicht nur das Einwanderungsland, sondern auch soziodemografische Faktoren. So haben etwa Migrantinnen mit beruflicher Ausbildung, Hochschulreife oder Hochschulabschluss wesentlich niedrigere Erstgeburtenraten. Um auszuschließen, dass solche Unterschiede zum Beispiel durch einen höheren Anteil von Akademikerinnen die Ergebnisse verzerren, wurden die Daten der einzelnen Länder hierzu ebenfalls berücksichtigt. Doch selbst wenn verschiedenste Faktoren wie Bildung, Ehestand, Zugehörigkeit zu einer Religion und Geburtsjahrgang in die Berechnung der Erstgeburtenraten einflossen, blieb der Unterschied zwischen zugewanderten Frauen in Frankreich und den Niederlanden auf der einen sowie Deutschland und Schweiz auf der anderen Seite erhalten. 

Das heißt jedoch nicht, dass die Migrantinnen in der zweiten Generation sich vollkommen an das jeweilige Einwanderungsland angepasst hätten. Vielmehr gehen Anpassung und Tradition bei der Familienbildung der Migranten Hand in Hand. Ihr Durchschnittsalter bei der ersten Geburt ist zwar höher als das in der Türkei lebender Frauen. Noch immer aber bekommen sie früher Nachwuchs als westeuropäische Frauen. Zudem bringen die zugewanderten Frauen ihr erstes Kind fast immer in einer Ehe zur Welt. Während außereheliche Kinder in den westeuropäischen Einwanderungsländern nichts Ungewöhnliches mehr sind, ist die Wahrscheinlichkeit, ein erstes Kind zu bekommen, für verheiratete Migrantinnen elf Mal so hoch wie für unverheiratete. Dass sich dieser Einfluss der türkischen Traditionen bei der Familienbildung hält, mag auch an der Partnerwahl liegen. Denn diese sind oft in der Türkei aufgewachsen oder selbst Einwanderer der zweiten Generation. 

Literatur

  • Milewski, N.: Transition to a first birth among Turkish second-generation migrants in Western Europe. Advances in Life Course Research 16(2011)4: 178-189.

Titelseite dieser Ausgabe

Aus Ausgabe 2012/1

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