ISSN 1613-8856

Vienna Institute of Demography

Andere Länder, andere Wirkung

2014 | Jahrgang 11 | 1. Quartal

Keywords: Familienpolitik, Niedrige Geburtenraten, Agentenbasiertes Modell, Soziale Struktur, Fruchtbarkeitslücke

Mitautor der wissenschaftlichen Studie: Thomas Fent

Um die drohenden Folgen der niedrigen Geburtenraten – eine alternde Gesellschaft und einen langsamen Bevölkerungsschwund – abzuwenden, haben viele Industrieländer in der Vergangenheit massiv in ihre Familienpolitik investiert. Welche Maßnahmen es sind, die junge Menschen am ehesten dazu animieren, wieder mehr Kinder zu bekommen, darüber herrscht in der Fachwelt allerdings Uneinigkeit.  

Ein Team um den Österreicher Thomas Fent vom Vienna Institute of Demography ist dieser Frage nachgegangen. Die Forscher entwickelten am Computer ein agentenbasiertes Modell (siehe Glossar). Mit ihm untersuchten sie, inwieweit bestimmte familienpolitische Maßnahmen den Wunsch nach Kindern und die tatsächliche Geburtenrate beeinflussen. Besonderes Augenmerk legten die Demografen dabei auf die Frage, wie die soziale Struktur einer Gesellschaft die Erfolge dieser Maßnahmen beeinflusst. Zur Kalibrierung ihres Modells verwendeten Fent und seine Kollegen drei Datensätze der Statistik Austria aus dem Jahr 2008: die Statistik der natürlichen Bevölkerungsbewegung, den Allgemeinen Einkommensbericht und den „Generations and Gender Survey“, für den rund 5.000 Frauen und Männer zwischen 18 und 45 Jahren zu ihrer Familienplanung befragt worden waren. 

Mithilfe dieser Daten simulierten die Forscher sechs verschiedene Populationen mit je 5.000 Individuen und legten deren Alter, die Zahl vorhandener und noch gewünschter Kinder sowie das Haushaltsbudget fest. Die einzelnen Populationen unterschieden sich unter anderem im Grad ihrer Homophilie, also ihrer Neigung, bevorzugt mit ähnlichen Individuen Kontakte zu pflegen, und in ihrem Ausmaß, in dem sie sich mit anderen über ihre Familienplanung unterhalten. Finanzielle und andere Zuwendungen des Staates erfolgten in einem Teil der Simulationen einkommensunabhängig, im anderen, größeren Teil in verschiedenen Abstufungen einkommensabhängig. Insgesamt führten Fent und sein Team fast eine dreiviertel Million Simulationen durch.  

Ihre Ergebnisse zeigen zunächst, dass familienpolitische Maßnahmen generell einen positiven Einfluss auf die Geburtenrate haben (s. Abb. 1). Dies ist unabhängig davon, ob die Zuwendungen einkommensabhängig sind oder nicht. Auch die sogenannte Fruchtbarkeitslücke, also die Differenz zwischen der Zahl gewünschter und tatsächlich vorhandener Kinder, lässt sich mit ihnen verkleinern.  

Abb. 1: Die Grafik zeigt, wie sich die Zahl der gewünschten und tatsächlich vorhandenen Kinder bei einkommensabhängigen Zuwendungen verändert. Dargestellt sind die Werte jeweils für drei unterschiedliche Grade an Homophilie (a). Ein hoher a-Wert wirkt sich demnach positiv auf die Zahl der gewünschten und tatsächlich vorhandenen Kinder aus, vermag die Fruchtbarkeitslücke aber dennoch kaum zu schließen. Quellen: Statistik Austria, eigene Berechnungen.

Ein hoher Grad an Homophilie wirkt sich positiv auf die Geburtenrate und den Kinderwunsch aus, hilft aber nur in sehr geringem Maße, die Fruchtbarkeitslücke zu schließen. Daraus lasse sich folgern, dass die Homophilie innerhalb einer Gesellschaft eher einen Einfluss auf indirekte Effekte der Familienpolitik habe – zum Beispiel, indem sie den Wunsch nach einer bestimmten Anzahl von Kindern verändere, schreiben die Forscher.  

Ihre Simulationen zeigen auch, dass der Kinderwunsch umso stärker steigt, je wahrscheinlicher sich die untersuchten Personen von anderen Menschen beeinflussen lassen, die mehr Kinder als sie selbst haben. Allerdings ist auch hier der Einfluss auf den bloßen Wunsch nach Kindern deutlich stärker als auf das Ausmaß der Fruchtbarkeitslücke. Generell seien die indirekten Effekte familienpolitischer Maßnahmen immer dann besonders anfällig für den Einfluss sozialer Strukturen, wenn sie einkommensabhängig erfolgten, berichten Fent und seine Kollegen.  

Den Forschern ist bewusst, dass sie in ihrer Studie einige wesentliche Aspekte außer Acht lassen, die die Familienplanung beeinflussen – zum Beispiel die Sicherheit des Arbeitsplatzes. Dennoch ziehen sie aus ihrer Untersuchung folgendes Fazit: Wirklich erfolgreich sei Familienpolitik nur dann, wenn deren Maßnahmen nicht einfach von anderen Ländern übernommen würden. Stattdessen müsste jede Regierung ihre Strategien an die Besonderheiten der eigenen Bevölkerung anpassen.

Literatur

  • Fent, T., B. Aparicio Diaz and A. Prskawetz: Family policies in the context of low fertility and social structure. Demographic Research, 29(2013)37, 963-998.
    DOI: 10.4054/ DemRes.2013.29.37

Aus Ausgabe 2014/1

Artikel

Infoletter

Der kostenlose Infoletter erscheint viermal jährlich und ist sowohl als elektronische wie auch als Druckversion erhältlich.