ISSN 1613-8856

Max-Planck-Institut für demografische Forschung

Die Welt nach dem Wandel

2015 | Jahrgang 12 | 1. Quartal

Keywords: Alternde Gesellschaft, Demografischer Wandel, Kohlendioxid-Emission, Gesunde Lebensjahre

Mitautor der wissenschaftlichen Studie: Tobias Vogt

Deutschland ist ein Vorreiter, wenn es um die Alterung der Gesellschaft geht: Mit 44,3 Jahren hat die Bundesrepublik hinter Japan den zweithöchsten Wert beim Median-Alter. Und dieser Wert wird weiter ansteigen: Die Geburtenrate ist seit langem unter dem Bestandserhaltungsniveau, und die Lebenserwartung nimmt konstant zu. Zudem wird in den kommenden Jahren die Generation der Babyboomer nach und nach in den Ruhestand gehen. In nicht allzu ferner Zeit werden so auf zehn Personen im Alter 65+ nur noch sechs Menschen im arbeitsfähigen Alter kommen. Ein Horrorszenario? Nicht unbedingt, schreiben Tobias Vogt und Fanny Kluge vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung in Rostock, Elke Loichinger vom Wittgenstein Center for Demography and Global Human Capital und Emilio Zagheni von der University of Washington, Seattle. Die Demografen bestreiten die Herausforderungen, die diese Veränderungen bergen, nicht. Doch sie zeigen auch Entwicklungen auf, die bisher noch nicht so sehr im Fokus standen: Die CO2-Emissionen könnten deutlich zurückgehen, die Höhe der Erbschaften könnte wachsen, die Produktivität des Einzelnen ansteigen und die Zeit, die Menschen in guter Gesundheit verbringen, könnte zunehmen.Wenn es zum Beispiel um die Zahl der Erwerbspersonen geht, sieht die Zukunft in Deutschland auf den ersten Blick düster aus: Standen dem Arbeitsmarkt 2008 fast 43 Millionen Erwerbspersonen zur Verfügung, so wären es im Jahr 2053 bereits knapp ein Drittel weniger, wenn man die heutigen Erwerbsquoten zugrunde legt und diese konstant hält. Allerdings verändert sich in dieser Zeit nicht nur die Altersstruktur der Bevölkerung, sondern auch das Bildungsniveau: Der Anteil der Erwerbspersonen, die mindestens einen Berufsschul-, Fachhochschul- oder Hochschulabschluss haben, wird voraussichtlich von 25% im Jahr 2008 auf 41% im Jahr 2053 ansteigen. Ein wichtiger Faktor, schließlich arbeiten Männer und vor allem auch Frauen mit höherer Bildung häufiger und länger als weniger gut Gebildete (vgl. Abb. 1). Demnach gäbe es im Jahr 2053 zwar immer noch nur knapp 30 Millionen Erwerbspersonen in Deutschland. Es ist aber gut möglich, dass diese kleinere Zahl an Erwerbspersonen deutlich produktiver ist und die ökonomischen Nachteile zumindest teilweise wettmachen kann. 

Erwerbsquoten (in %) von Männern und Frauen in Deutschland (Stand: 2008)

Erwerbsquoten (in %) von Männern und Frauen in Deutschland (Stand: 2008)

Abb. 1: Frauen und Männer, die mindestens einen Berufsschul- oder (Fach-)Hochschulabschluss haben, arbeiten häufiger und länger als weniger gut ausgebildete Menschen. Quelle: EU LFS, eigene Berechnungen.

Gleichzeitig könnten das Schrumpfen und die Alterung der Bevölkerung auch dazu führen, dass weniger CO2-Emissionen ausgestoßen werden. Da der individuelle CO2-Ausstoß in jungen Jahren sehr gering ist, dann ansteigt und im Alter wieder abnimmt, ist nicht nur die reine Anzahl von Menschen, sondern auch deren Alter für den Gesamtausstoß eines Landes von Bedeutung. Für Deutschland zeigt sich hier, dass die Emissionen von Kohlendioxid bis 2020 zwar noch ansteigen werden, danach könnten sie aber rapide abnehmen und am Ende des Jahrhunderts deutlich unter dem Level von 1950 liegen (vgl. Abb.2). 

CO²-Emissionen (1950=100)

CO²-Emissionen (1950=100)

Abb. 2: Die Kohlendioxid-Emissionen werden ca. ab 2020 allein aufgrund der Altersstruktur und der Anzahl der in Deutschland lebenden Menschen abnehmen. Quelle: UN Bevölkerungsprognose, Zagheni, E. (2011): The leverage of demographic dynamics on carbon dioxide emissions: does age structure matter? Demography 48: 371–399, eigene Berechnungen.

Deutlich über dem Niveau der vergangenen Jahre und Jahrzehnte wird dagegen die Lebenszeit liegen, die Menschen in guter Gesundheit verbringen, sollte sich der in der Vergangenheit beobachtete Trend fortsetzen. So zeigte eine Erhebung, dass 1984  im Schnitt mit gut 40 Jahren die ersten Gesundheitsbeschwerden einsetzten. 2011 lag das durchschnittliche Alter hier schon bei fast 50 Jahren. Und die Studienautoren gehen davon aus, dass dieser Wert weiter steigen wird. Während Männer derzeit 63% ihrer Lebenszeit in guter Gesundheit verbringen, könnten es 2053 bereits 80% sein. Bei Frauen steigt der Wert in der gleichen Zeit von ungefähr 60% auf 70%.  Natürlich sind diese Zahlen keine unausweichlichen Prognosen unserer Zukunft. Es ist nicht möglich, Entwicklungen wie die hier genannten für mehrere Jahrzehnte genau vorherzusagen. Doch die erwarteten Effekte können zumindest in ihrer ungefähren Größenordnung beschrieben und benannt werden. Insgesamt erwarten die Autoren, dass der demografische Wandel bis 2040 eher negative Auswirkungen haben wird. Danach aber könnten sich vermehrt auch die Chancen einer älteren und kleineren Bevölkerung zeigen.

Literatur

  • Kluge, F.A., E. Zagheni, E. Loichinger and T. Vogt: The advantages of demographic change after the wave: fewer and older, but healthier, greener, and more productive? PLoS One 9(2014)9, e108501.
    DOI: 10.1371/ journal.pone.0108501

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Aus Ausgabe 2015/1

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