ISSN 1613-8856

Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB)

Zwischen Panikmache und Verharmlosung

2015 | Jahrgang 12 | 3. Quartal

Keywords: Alterung, Schrumpfung, Soziale Sicherungssysteme, Rentenversicherung, Demografischer Wandel

Autor der wissenschaftlichen Studie: Martin Bujard

Der Demograf und Politikwissenschaftler unterscheidet in seiner Analyse zwischen zwei verschiedenen Prozessen, die in der Debatte oft durcheinander  geworfen werden: dem Prozess der Alterung und dem der Schrumpfung. Beide werden erhebliche Auswirkungen auf Gesellschaft, Wirtschaft und Politik haben. Allerdings können sie unterschiedlich stark gesteuert und abgemildert werden, haben verschiedene zeitliche Abläufe und unterscheiden sich in ihrer Vorhersagbarkeit sowie in ihren konkreten Folgen. 

Die gravierenderen Auswirkungen wird dabei die Alterung haben, schreibt Bujard und hat dabei vor allem die sozialen Sicherungssysteme im Blick. Durch die lange Phase mit niedrigen Geburtenraten ist schon heute sicher, dass sich die Zahl der Rentner im Verhältnis zu den Erwerbsfähigen bis 2040 ungefähr verdoppeln wird (s. Abb. 1). Weil sehr geburtenstarke Jahrgänge ins Rentenalter kommen, können selbst ein Anstieg der Geburtenrate und/oder mehr Zuwanderer an diesem Szenario nur noch wenig ändern. 

Abb. 1: Der Altenquotient ist die Zahl der über 64-Jährigen (Rentner), die auf 100 Erwerbsfähige, hier 20- bis 64-Jährige, kommen. Selbst wenn die Geburtenrate (TFR) noch in diesem Jahr auf das Bestandserhaltungsniveau von 2,1 Kindern pro Frau ansteigen würde, würde sich an dem Anstieg des Altenquotienten bis 2041 kaum etwas ändern. Quelle: Statistisches Bundesamt 2009b, eigene Darstellung.

Was dies etwa für die Rentenversicherung bedeutet, macht Bujard an einer simplen Modellrechnung deutlich: Wenn sich der sogenannte Altenquotient verdoppelt (s. Abb.1), müsste sich auch der Beitragssatz der Arbeitnehmer und -geber verdoppeln. Oder andersherum: Bei stabilem Beitragssatz würde sich das Rentenniveau halbieren. Oder noch anders: Bei stabiler Rente und stabilem Beitragssatz müsste das Renteneintrittsalter auf 75 Jahre angehoben werden. Drei Szenarien, die sich niemand wünscht. 

Um hier gegenzusteuern gibt es verschiedene Maßnahmen, die teilweise schon durchgeführt wurden: Die Anhebung des Rentenalters zum Beispiel, eine höhere Frauenerwerbstätigkeit, mehr private Vorsorge oder Steuerzuschüsse. Doch auch damit wird eine weitere Erhöhung des Beitragssatzes, wie sie seit 1953 ganze 27 mal beschlossen wurde, kaum zu umgehen sein. Nicht nur der Altenquotient, auch der Anteil der über 80-Jährigen, der sogenannten Hochbetagten, wird sich mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit von fünf Prozent auf um die 14 Prozent im Jahr 2060 verdreifachen. Für die Kranken- und Pflegeversicherung sind daher die Folgen ähnlich wie für die Rentenversicherung. Sie sind jedoch nicht ganz so drastisch, weil die Rentner auch selbst in die Krankenkasse einzahlen und weil Rentenjahre nicht mit Krankheitsjahren gleichzusetzen sind. Ab 2030 könnten daher für mehrere Jahrzehnte die Leistungen der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherungen deutlich geringer sein und zu Altersarmut führen. Auf der anderen Seite werden Arbeitnehmer einen sehr viel größeren Anteil ihres Lohnes an die sozialen Sicherungssysteme abführen müssen. Ob sich die Situation zwischen 2040 und 2060 weiter verschärft oder sich aber verbessert, hängt stark von der zukünftigen Fertilität ab. 

Abb. 2: Deutschland könnte schon Mitte des Jahrhunderts weniger Einwohner haben als Großbritannien und Frankreich. Die Modellrechnungen für die Entwicklung der Bevölkerungen beruhen auf der Annahme, dass Geburtenrate und Zuwanderung auf derzeitigem Niveau bleiben und sind für das Jahr 2100 noch mit großen Unsicherheiten behaftet. Quelle: UN (2012), eigene Darstellung.

Im Unterschied zur Alterung ist die Schrumpfung weniger gut vorherzusagen. Sie ist von der zukünftigen Migration und Geburtenrate noch stark beeinflussbar, so dass die Bevölkerung je nach Szenario bis 2060 sogar konstant bleiben oder aber um bis zu 24 Prozent auf dann 61 Millionen schrumpfen könnte. Viel wichtiger als die Frage, wie stark die Einwohnerzahl abnimmt, ist für das Leben der Menschen aber die Frage, wo sie schrumpft. Wachstumszentren mit sehr hohen Mieten wird es ebenso geben, wie entvölkerte Regionen. Für den Staat ist darüber hinaus der mit einem Schrumpfen einhergehende Machtverlust von großer Bedeutung. Schon in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts werden Frankreich und Großbritannien das bisher größte EU-Land voraussichtlich mit ihrer Einwohnerzahl überholen (vgl. Abb.2). Die Türkei könnte im Jahr 2100 sogar dreimal so viele Einwohner haben wie Deutschland, wobei dieses Szenario mit sehr großen Unsicherheiten behaftet ist. 

Der demografische Wandel sei somit weder ein Glücksfall, wie manchmal pauschal behauptet wird, noch eine Katastrophe, wie sie vielfach heraufbeschworen wurde, schlussfolgert Martin Bujard. Zumindest die Alterung ist aber für die nächsten Jahrzehnte nicht mehr abzuwenden. Ihre Folgen für Wirtschaft, Arbeitsmarkt, Rente und Gesundheit, aber auch für die politische Partizipation und den Generationenzusammenhalt lassen sich allerdings politisch gestalten.

Literatur

  • M. Bujard: Folgen der dauerhaft niedrigen Fertilität in Deutschland. Demografische Projektionen und Konsequenzen für unterschiedliche Politikfelder. CPoS Comparative Population Studies 40(2015)2.
    DOI: 10.12765/CPoS- 2015-06de.

Titelseite dieser Ausgabe

Aus Ausgabe 2015/3

Artikel

Infoletter

Der kostenlose Infoletter erscheint viermal jährlich und ist sowohl als elektronische wie auch als Druckversion erhältlich.